Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

DILJA/1219: Indirekte Kriegserklärung Washingtons an die Linksstaaten Lateinamerikas (SB)


Die in Kolumbien stationierte US-Luftwaffe bedroht ganz Lateinamerika

Der eigentliche Aggressor sitzt nicht in Bogotá, sondern in Washington


Am 11. November 2009 nahm der UN-Sicherheitsrat in einer Sondersitzung die gegeneinander gerichteten Protestnoten Kolumbiens wie auch Venezuelas entgegen, enthielt sich jedoch jeglicher Reaktion. Die Regierung in Bogotá bezichtigte das sozialistische Nachbarland der gegen Kolumbien gerichteten Kriegsvorbereitungen und warf ihm verschärfte Grenzkontrollen und Handelshemmnisse vor. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez hatte diese Vorwürfe am Vorabend als "heuchlerisch" bezeichnet und wiederholt, daß er in seiner vorangegangenen Fernsehsendung Aló Presidente lediglich das venezolanische Volk und seine Soldaten dazu aufgerufen habe, "auf die Gefahr vorbereitet zu sein, die von sieben Militärbasen in Kolumbien ausgeht". Bogotá hatte bekanntlich den USA in einem Ende Oktober in Kraft getretenen Vertrag für zehn Jahre Nutzungsrechte an diesen Stützpunkten gewährt, wodurch eine militärische Bedrohungslage für die unmittelbaren Nachbarländer wie auch alle anderen Staaten Lateinamerikas entstanden ist.

"Ich rufe die Militärführung dazu auf, den Aufbau von Milizen zu verstärken. Studenten, Arbeiter und Frauen müssen in die Lage versetzt werden, das Vaterland zu verteidigen" [1], so die Worte des venezolanischen Präsidenten, aus denen, wie von Bogotá unterstellt, eine Angriffsabsicht nicht herausgelesen werden kann. Chávez benannte als möglichen Aggressor nicht bzw. nicht allein den Nachbarstaat Kolumbien, sondern die US-Streitkräfte, deren Luftwaffe unter Nutzung der ihnen nun zur Verfügung gestellten Stützpunkte die venezolanische Hauptstadt Caracas in nur 20 Minuten erreichen könnte. "Sollten uns die USA von Kolumbien aus angreifen, müssen wir vorbereitet sein", erklärte der Präsident eines Staates, der bei seinem Bestreben, die Gesellschaftsutopie Sozialismus zu verwirklichen, in diesem Herbst eine Großoffensive aller im eigenen Land bereits unternommenen Anstrengungen angekündigt und am vergangenen Wochenende bei einem internationalen Treffen linker Parteien in Caracas die Gründung einer Fünften Internationalen vorgeschlagen hat, damit diese zu einem "Instrument der Vereinigung der Volkskämpfe zur Rettung dieses Planeten" [2] werden könne.

In Lateinamerika steht Venezuela keineswegs allein da in seiner massiven Ablehnung der US-amerikanischen Stützpunkte auf kolumbianischem Boden. Die Präsidenten Ecuadors, das im vergangenen Jahr bereits von der kolumbianischen Lufwaffe angegriffen worden war, Brasiliens, das inzwischen laut über eine atomare Bewaffnung nachdenkt, um der möglichen Bedrohung durch die US-Streitkräfte standhalten zu können, und Boliviens, Rafael Correa, Luiz Inácio "Lula" da Silva und Evo Morales, stellten sich ebenfalls gegen dieses Abkommen. Vor dem UN-Sicherheitsrat hatte der diplomatische Vertreter Venezuelas, Jorge Valero, deutlich gemacht, daß und inwiefern seine Regierung als den eigentlichen Drahtzieher und Aggressor der aktuellen Krise die US-amerikanische Regierung ausgemacht hat [3]:

Die Einrichtung der Militärstützpunkte dient einem expansionistischen Plan der Obama-Administration. Kolumbien soll zu einer US-Enklave zur politischen, ökonomischen, kulturellen und militärischen US-Dominanz auf dem Kontinent werden.

Weit über die Grenzen Lateinamerikas wie auch der USA hinaus wirft dieser keineswegs regional begrenzbare Konflikt nicht nur seine Schatten, sondern weist weitere mögliche Drahtzieher und Helfershelfer aus, deren Absichten und strategischen Interessen am ehesten aufzuschlüsseln sind, wenn man die langjährigen Spannungen zwischen Kolumbien und Venezuela als einen von vielen Brennpunkten einer in ihrem Kern "klassenkämpferischen" und deshalb geographische Grenzen ignorierenden Auseinandersetzung begreift. So hat beispielsweise die bundesdeutsche taz als Sprachrohr einer regierungsnahen "Linken" das Ihre dazu beizutragen versucht, um die Warnungen des venezolanischen Präsidenten vor einer Kriegsgefahr gegen sein Land sowie den ganzen Kontinent als Auswüchse eines Politikers darzustellen, der "verbal Amok" [4] laufe:

Was den Umgang mit Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe betrifft, hat Hugo Chávez schon länger den politischen Riecher verloren. Seine bombastische Aufforderung an die Venezolaner, sich auf einen Krieg vorzubereiten, ist dafür nur das jüngste Beispiel. Dennoch: So schnell wird wohl aus dem kalten Krieg der Autokraten kein heißer.

In der Analyse stimmt Chávez' Argumentation: Das vor elf Tagen unterzeichnete Militärabkommen zwischen Kolumbien und den USA stellt in der Tat eine Provokation für das sich emanzipierende Lateinamerika dar. Die Chance, die Luftwaffenbasis Palanquero zu nutzen, sei eine "einzigartige Möglichkeit", Operationen in einer "kritischen Region" durchzuführen, deren "Sicherheit und Stabilität ständig durch Anti-US-Regierungen bedroht sind", heißt es in einer Kongressvorlage des Pentagon. Letzte Woche gab Bogotá zudem bekannt, dass US-Truppen künftig auch zivile Flughäfen nutzen dürfen.

Die Analyse des venezolanischen Präsidenten "stimmt" tatsächlich. Wie einem unlängst veröffentlichten Haushaltsentwurf des Pentagon für das Haushaltsjahr 2010 zu entnehmen ist, möchte die US-Luftwaffe den größten der sieben Stützpunkte in Kolumbien - Palanquero - für 46 Millionen US-Dollar nachrüsten. Dem Dokument zufolge bietet Palanquero "eine einmalige Gelegenheit, umfassende Operationen in einer kritischen Teilregion unserer Hemisphäre durchzuführen, in der Sicherheit und Stabilität ständig durch Rauschgift-finanzierte Aufstände, Anti-US-Regierungen, vorherrschende Armut und wiederkehrende Naturkatastrophen bedroht sind" [5]. Dazu muß man wissen, daß die vielleicht harmlos klingenden Worte "umfassende Operationen" keinerlei militärische oder geographische Einschränkungen möglicher Operationen des US-Militärs beinhalten.

Mit anderen Worten: In den dürren Worten eines Haushaltsentwurfs steckt eine indirekte Kriegsandrohung, um nicht zu argwöhnen Kriegserklärung an die Staaten Lateinamerikas, die sich gemeint fühlen können und müssen, wenn in dem Text von "Anti-US-Regierungen", die "Sicherheit und Stabilität" in einer "kritischen Teilregion unserer Hemisphäre" bedrohen, die Rede ist. Die Emanzipation der lateinamerikanischen Staaten, die zu keinem Zeitpunkt ihrer langen Kolonialgeschichte gefragt worden sind, ob sie die "Hemisphäre" der USA oder auch der übrigen führenden westlichen Staaten sein möchten, ist so weit vorangeschritten, daß der Griff zum letzten militärischen Mittel gegen einen so hohen Grad an Unbotmäßigkeit mehr als plausibel zu sein scheint. Dies nicht nur deshalb, weil sich Washington durch die sieben Stützpunkte in Kolumbien die Voraussetzungen für Operationen in bzw. Angriffe gegen jeden Punkt Lateinamerikas verschafft hat, sondern weil es den Kräften, die sich angemaßt haben, über die Völker und Regionen des gesamten Planeten zu verfügen bzw. verfügen zu wollen, längst zur zweiten Natur geworden ist, das Lied von Freiheit, Demokratie und gegenseitigem Respekt anderen vorzusingen, ohne sich selbst auch nur mit einer Silbe daran festmachen zu lassen.

Anmerkungen

[1] Chávez sieht Venezuela im Fadenkreuz. Armee und Bevölkerung sollen sich auf möglichen US-amerikanischen Angriff vorbereiten. Keine Kriegsdrohung gegen Kolumbien, von Maxim Graubner, Caracas, amerika21.de, 10.11.2009

[2] Chávez will "Fünfte Internationale" gründen, 23.11.2009, junge Welt, S. 6

[3] Venezuela und Kolumbien vor UN-Sicherheitsrat. Nachbarländer werfen sich gegenseitig Erhöhung der Kriegsgefahr vor. USA stellen sich dumm. Proteste in Venezuela, von Maxim Graubner, Caracas amerika21.de, 13.11.2009

[4] Chávez' Fehlkalkulation, von Gerhard Dilger, taz - die tageszeitung, zit. n. amerika21.de, 10.11.2009

[5] Südamerika hat reichlich Grund zur Sorge. Dokument der US-Armee beweist: Militärabkommen mit Kolumbien gestattet Militäroperationen gegen jedwedes Ziel in der Region, von Garry Leech, Übersetzung: Regina, Bearbeitung: Maxim Graubner, Colombia Journal, amerika21.de, 11.11.2009

23. November 2009