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DILJA/1223: Alter Kriegswein in neuem Strategieschlauch - Obamas Rede zu Afghanistan (SB)


Absurder Versuch des US-Präsidenten, die Intensivierung der Kriegführung in Afghanistan kleinzureden

Unbestätigte Forderungen an Deutschland nach Truppenaufstockung


Vor der Militärakademie in Westpoint hat US-Präsident Barack Obama am 1. Dezember eine Rede gehalten, die, wie zuvor angekündigt, eine neue Strategie für den Afghanistan-Krieg offenbaren sollte. Was dabei herauskam, ist schnell auf einen einfachen Nenner gebracht: Die USA werden ihre Kriegführung in Afghanistan noch intensivieren und dies aller Voraussicht nach auch von ihren Bündnisgenossen erwarten, wenn nicht einfordern. Konkret kündigte Obama an, daß die in Afghanistan stationierten US-Truppen in den kommenden Monaten um weitere 30.000 Soldaten auf insgesamt rund 100.000 aufstockt werden sollen, womit der derzeitige US-Präsident die Truppenstärke seit seinem Amtsantritt nahezu verdreifacht hätte. Der Vertrauensvorschuß, den die US-Wähler mehrheitlich dem jetzigen Amtsinhaber einzuräumen bereit gewesen waren - und sei es allein deshalb, um Kriegspräsident Bush abzuwählen -, scheint nach dessen bisheriger Amtszeit jedoch aufgebraucht zu sein.

Schon im September hatte CNN Umfrageergebnisse veröffentlicht, denenzufolge in den USA nur noch 39 Prozent der Bevölkerung den Afghanistan-Krieg ihres Landes befürworteten, während 58 Prozent ihn ablehnten. Die Entscheidung Barack Obamas, diesen Krieg entgegen der mehrheitlich ablehnenden Haltung seiner eigenen Bevölkerung nicht nur fortzusetzen, sondern durch Truppenverstärkungen über das bisherige Maß hinaus noch auszuweiten, kann schwerlich als Beweis für die demokratische Gesinnung des Präsidenten und Oberbefehlshabers der US-Streitkräfte genommen werden. Wäre dem so, hätte er den schnellstmöglichen vollständigen Abzug anordnen und seinen Verbündeten ein ähnliches Vorgehen empfehlen können.

Als "neu" kann die Strategie, die unterm Strich nichts anderes beinhaltet, als daß mit noch weiter verstärkten militärischen Mitteln der afghanische Besatzungswiderstand gebrochen werden soll, wahrlich nicht bezeichnet werden. "Neu" ist bestenfalls die Quadratur des Kreises oder auch der verbale Salto rückwärts, mit dem Obama versucht, der Öffentlichkeit im eigenen wie auch in den kriegsverbündeten Ländern etwas anderes als das, was er tatsächlich entschieden hat, zu suggerieren und wenn irgendmöglich glauben zu machen. So hat Obama in seiner Rede einen Termin genannt, den sein republikanischer Widersacher, der geschlagene Präsidentschaftskandidat John McCain, sofort als einen "Endpunkt" des Krieges zu kritisieren vorgab. Tatsächlich hatte der demokratische Präsident, der mit seiner angeblich neuen Strategie bezeichnenderweise unter den Republikanern auf mehr Unterstützung traf als in der eigenen Partei, lediglich erklärt, daß dieser Krieg im Juni 2011 beginnen würde aufzuhören.

Was da sprachlich verdrechselt daherkommt, ist inhaltlich nicht minder abstrus und leicht auf den einfachen Nenner, zur präventiven Befriedung womöglich drohender Antikriegsproteste eine Perspektive auf ein Kriegsende zu liefern, herunterzubrechen. Das Besondere an Obamas Strategie, so erläuterte die NDR-Korrespondentin Anna Engelke aus Washington die Situation, sei, daß er nicht nur die Truppen aufstocke, sondern erstmals ein Datum genannt habe, an dem die ersten US-Soldaten abgezogen werden sollen. Der weitere Abzug solle dann davon abhängig gemacht werden, wie "die Entwicklung in Afghanistan" sei. Engelke zufolge steht Obama nach dieser Erklärung unter "größtmöglichem Druck", indem er diesen Krieg nun endgültig zu seinem Krieg gemacht habe. Gemunkelt wird, daß die USA von ihren NATO-Verbündeten weitere 5.000 zusätzliche Soldaten anfordern werden, was Frankreich bereits mit einem klaren Nein, die Briten jedoch mit der Zusage, ihr Kontingent um 500 Soldaten auf 9.500 zu erhöhen, beantwortet haben sollen.

Walter Stützle, Experte für internationale Außen- und Sicherheitspolitik und ehemaliger Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium in der Regierung Schröder (von 1998 bis 2002) analysierte die neue Strategie Obamas gegenüber NDR Info und wies im Zuge dessen darauf hin, daß der US-Präsident einmal mehr klargestellt habe, daß es in diesem Krieg nicht um den Aufbau einer Demokratie in Afghanistan gehe, sondern um den Kampf gegen den internationalen Terrorismus in Afghanistan und Pakistan, sprich gegen Al Kaida. Damit hat Obama seinen eigenen Kriegsführungsabsichten einen Bärendienst erwiesen. Mit Verlautbarungen dieser Art verschärft er, unwissentlich oder nicht, die Legitimationskonflikte seiner Verbündeten. Hinzu kommt, daß die NATO-Verbündeten - so zumindest wurde es verlautbart - im Vorwege weder über die neue Strategie Obamas informiert, noch daß diese zuvor mit ihnen abgestimmt worden wäre.

Da der Afghanistan-Krieg von seiten der USA damit voll und ganz unter das Label "Antiterrorkampf" gestellt wurde, ist es für die deutsche Bundesregierung nahezu ein Ding der Unmöglichkeit geworden, den dortigen Bundeswehreinsatz faktenresistent als militärische Aufbauhilfe zu präsentieren. Hierzulande haben sich bereits 70 Prozent der Bevölkerung gegen diesen Krieg und die Beteiligung Deutschlands ausgesprochen, wobei die Ablehnung angesichts der Enthüllungen über das am 4. September von einem Bundeswehroffizier angeordnete Massaker noch weiter anzuwachsen droht. Zur Aufklärung der Vorfälle in der Nähe von Kundus wurde am heutigen Mittwoch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß eingerichtet, um die Wogen der öffentlichen Erregung ein wenig zu glätten, steht doch am 13. Dezember die Absegnung der Verlängerung dieses Kriegseinsatzes durch den Bundestag auf dem Programm.

Presseberichte über eine von den USA erhobene Forderung nach einer Erhöhung des derzeit 4.500 Soldaten umfassenden Bundeswehrkontingents um weitere 2000 oder 2500 wurden in Berlin nicht bestätigt. Außenminister Guido Westerwelle wollte Gerüchte um eine (deutsche) Truppenaufstockung ebenfalls nicht bestätigen und erklärte stattdessen, daß es nicht sinnvoll sei, darüber zu diskutieren. Das mag aus seiner Sicht zutreffend sein, vermag die aufkommende Sorge, daß der "ungeliebte" Krieg nicht nur fortgesetzt, sondern auch von deutscher Seite aus noch intensiviert werden soll, nicht zu zerstreuen. Westerwelle erklärte, daß es für Afghanistan "keine militärische Lösung" geben werde. Und: "Was wir brauchen, ist eine politische Lösung, die militärisch unterstützt wird".

Das klingt nach derselben Beschwichtigungsrhetorik, die auch Präsident Obama an den Tag gelegt hat, um aus einem X ein U zu machen. Eine politische Lösung, ganz gleich, was man darunter verstehen möchte, schließt eine militärische Option aus. Sobald und solange die Waffen sprechen, können keine für die Gegenseite akzeptablen Verhandlungsangebote vorgelegt werden schlicht und einfach deshalb, weil diese sich der militärischen Angriffe zu erwehren hat. Die Kriegführung in Afghanistan ist seitens der Bundesregierung nicht zuletzt auch deshalb so schwer plausibel zu machen, weil die Tatsache, daß ein anderes, weit entferntes Landes von westlichen Soldaten angegriffen und besetzt wurde, nicht in eine gegenteilige Behauptung umgedeutet werden kann.

Der frühere Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Walter Stützle, brachte dieses Dilemma auf den Punkt der einfach anmutenden Frage nach den politischen Zielen des Afghanistan-Einsatzes. "Was eigentlich wollen wir in Afghanistan mit unserer Präsenz erreichen?" fragte er auf NDR Info und fügte zur Erklärung hinzu, daß viele Soldaten vor Ort schon zu dem Schluß gekommen seien, daß ihnen nicht gesagt wird, warum sie dort hingeschickt werden und daß man sie "hängen" läßt, wenn etwas schiefgeht. Daß die Bundesregierung tatsächlich nicht wüßte, weshalb und wozu sie die Bundeswehr in den Hindukusch beordert hat in einen solchen Krieg, kann getrost ausgeschlossen werden. Anzunehmen, daß es hierüber in Berlin tatsächlich "Verwirrung" geben könnte und daß "wir" endlich einmal über die politischen Ziele diskutieren müßten, leistet der Fortsetzung eines Krieges, den inzwischen weder die US-amerikanische noch die deutsche Bevölkerung mehrheitlich akzeptiert, weiteren Vorschub.

2. Dezember 2009