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DILJA/1235: Kriegsgefahr durch NATO-Staaten - Angriffsvorbereitungen gegen Venezuela (SB)


Stehen Venezuela US-Luftangriffe von den niederländischen Antillen aus bevor?

Sollten die Vorwürfe aus Caracas zutreffen, droht der gesamten Region ein von mindestens zwei NATO-Staaten geführter Krieg


Die führenden westlichen Staaten machen mobil gegen die Linksentwicklung in Lateinamerika, die allem Anschein nach längst ihren Toleranzbereich gegenüber politischen Tendenzen, die ihren Hegemonialinteressen eindeutig abträglich sind, verletzt hat. Während das sozialistische Kuba, seit einem halben Jahrhundert unter ein Embargo gestellt, das seine politische und wirtschaftliche Entwicklung einschränken soll, eine Nischenexistenz führt, die aus Sicht des Westens wenn auch zähneknirschend eine Koexistenz ermöglicht, ist mit dem Amtsantritt des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez im Jahre 1998 ein Stein ins Rollen gekommen, der nach Ansicht der kapitalistischen Frontstaaten dringend gestoppt werden muß. Da die bisherigen Versuche, durch Putsch, Aussperrung und Aktivitäten der rechten Opposition den Ansatz, in Venezuela wie auch auf dem gesamten lateinamerikanischen Kontinent eine sozialistische Entwicklung einzuleiten und voranzutreiben, zu beenden, ergebnislos geblieben sind, liegt die Schlußfolgerung, daß im nächsten und letzten Schritt zu militärischen Mitteln gegriffen werden könnte, um den "Verrückten" aus Caracas zu stoppen, nahe.

Diese schon aus grundlegenden Erwägungen heraus plausible Mutmaßung hat durch die konkreten Vorwürfe an Substanz gewonnen, die die venezolanische Regierung in einem am 30. Dezember 2009 erstellten offiziellen Kommuniqué [1] erhoben hat. Darin erneuert Caracas gegenüber der internationalen Gemeinschaft die von Präsident Chávez schon am Rande des Klimagipfels in Kopenhagen am 17. Dezember erhobene Anschuldigung, daß die USA eine militärische Offensive gegen Venezuela vorbereiten. Zu diesem Zweck würden die ehemals niederländischen Kolonialgebiete, die noch heute zu den Niederlanden gehörenden Antilleninseln Aruba und Curaçao, zu Aufmarschgebieten gemacht werden. Da diese Inseln unmittelbar, genauer gesagt in einer Entfernung von nur 80 Kilometern, vor der venezolanischen Küste liegen, würde, sollten die Vorwürfe aus Caracas zutreffend sein, eine hohe militärische Bedrohung für das lateinamerikanische Land von diesen Aktivitäten ausgehen.

Erste Reaktionen seitens der niederländischen Regierung hat es auf die offiziellen Proteste aus Venezuela bereits gegeben. Außenminister Maxime Verhagen erklärte unter Bezugnahme auf das am 31. Dezember veröffentlichte Kommuniqué, in dem davor gewarnt wurde, daß die USA Luftangriffe gegen Venezuela planen, gegenüber dem venezolanischen Botschafter in Den Haag, daß es den US-Streitkräften keineswegs erlaubt sei, die überseeischen Territorien seines Landes als militärische Stützpunkte für Angriffsvorbereitungen gegen Venezuela zu nutzen. Der Minister verwies darauf, daß seine Regierung eine solche Nutzung der Antilleninseln nicht autorisiert habe und daß Den Haag an einem Fortbestand der guten Beziehungen zu Venezuela interessiert sei. Caracas hatte die niederländische Regierung zuvor aufgefordert, seine internationalen Friedensverpflichtungen einzuhalten und nicht durch eine solche Kooperation mit den USA die bilateralen Beziehungen zu Venezuela zu belasten.

Tatsächlich dürfte die Erklärung Verhagens kaum geeignet sein, die schwerwiegenden Befürchtungen auf venezolanischer Seite angesichts eines dem Land womöglich bevorstehenden Luftkrieges durch die USA unter Beteiligung der niederländischen Regierung zu entkräften. Da die Niederlande als NATO-Verbündeter der USA gegenüber Washington in einem weitaus engeren und auf gemeinsamen Hegemonialabsichten gegenüber den ehemals kolonialisierten Kontinenten beruhenden Treueverhältnis steht, kann keineswegs ausgeschlossen werden, daß Den Haag durch sein Dementi lediglich versucht, die Geheimhaltung eines möglicherweise bereits beschlossenen und in konkreter Vorbereitung befindlichen Angriffs zu gewährleisten.

Daß die Situation für Caracas durch diese Erklärung des niederländischen Außenministers keineswegs zufriedenstellend sein kann, ergibt sich aus der umgekehrten Nagelprobe. Man stelle sich nur einmal vor, ein potentiell gegnerischer und nicht der eigenen Interessenhemisphäre angeschlossener Staat würde in großer Nähe zur niederländischen oder auch US-amerikanischen Küste einen Luftwaffenstützpunkt unterhalten... Kein NATO-Staat wäre bereit, ein derartiges Risiko hinzunehmen wie auch das gesamte Bündnis in einem solchen, ohnehin rein hypothetischen Fall sofort Maßnahmen - und seien sie präventiver Art - ergreifen würde. Erschwerend kommt hinzu, daß die US-Streitkräfte venezolanischen Angaben zufolge von Aruba und Curaçao aus den venezolanischen Luftraum bereits mehrfach verletzt haben und dies damit zu rechtfertigen suchen, daß die Aufklärungsflüge dem Kampf gegen den Drogenhandel gewidmet seien.

Ganz abgesehen davon, daß diese vermeintlichen Drogenbekämpfungsmaßnahmen bislang noch zu keinen nennenswerten Ergebnissen geführt haben, ist diese nachgeschobene Rechtfertigung keineswegs imstande, Luftraumverletzungen zu legitimieren. Ob der Zweck eines Eindringens in den Luftraum eines anderen Staates, die in jedem Fall, so dessen Erlaubnis nicht vorliegt, eine schwerwiegende Verletzung der Souveränität dieses Landes sowie eine Mißachtung internationaler Verpflichtungen darstellt, nun in der Drogenbekämpfung oder Verbrechensjagd bestehen soll, ändert nicht das Geringste an der Widerrechtlichkeit des Vorfalls. In umgekehrter Richtung würde es weder den USA noch den Niederlanden oder irgendeinem anderen NATO-Staat einleuchten, wenn Flugkörper eines ausländischen Staates, der nicht zu ihrem Bündnis gehört, in ihren Luftraum eindrängen, um Drogengeschäfte oder -handelswege auszukundschaften.

Auffällig ist auch, daß die Obama-Regierung ihrerseits nicht die geringsten Schritte unternommen hat, um die schweren, von der venezolanischen Regierung gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu entkräften. Wären sie unzutreffend, gäbe es keinen erkennbaren Grund, warum die von einem Präsidenten, der behauptet hat, die freundschaftlichen Beziehungen seines Landes zu den lateinamerikanischen Nachbarstaaten neu beleben zu wollen, geführte Administration nicht den Standpunkt des zu Unrecht Gescholtenen einnimmt und die venezolanische Regierung auffordert, sich auf den niederländischen Antillen selbst vor Ort ein Bild zu machen und durch eigene Experten prüfen zu lassen, daß die Vorwürfe gegenstandslos seien... Wäre dies geschehen, könnte Washington im zweiten Schritt der Regierung Chávez vorwerfen, unwahre Beschuldigungen erhoben zu haben. Da all dies nicht einmal im Ansatz geschieht, ist die Schlußfolgerung, daß die USA tatsächlich Luftangriffe gegen Venezuela von Aruba und Curaçao aus vorbereiten, weitaus plausibler.

Auf diese Weise könnten die US-Streitkräfte Venezuela in einem möglichen Kriegsfall "in die Zange nehmen". Das bilaterale Abkommen zwischen dem engsten US-Vasallen in der Region, dem venezolanischen Nachbarland Kolumbien, und Washington über US-Militärstützpunkte auf kolumbianischem Gebiet und damit auch in direkter Nähe zu Venezuela hat im vergangenen Jahr bereits zu massivsten Protesten der meisten Staaten Lateinamerikas geführt, die wie auch die venezolanische Regierung darin die Absicht der USA, auf ihrem Kontinent gegen ihnen mißliebige Staaten militärisch zu intervenieren, erkannt und der vorgeschobenen Behauptung, die Militärstützpunkte würden der Drogenbekämpfung dienen, keinen Glauben geschenkt haben. Wiederholt hatte der venezolanische Staatschef seinem kolumbianischen Amtskollegen Uribe den Einsatz von Aufklärungsdrohnen in seinem Land vorgeworfen und angedroht, daß der nächste Flugkörper, der den venezolanischen Luftraum verletze, abgeschossen werden würde.

Chávez' Erklärung, daß der militärische Aufmarsch der US-Streitkräfte auf den niederländischen Antillen nicht nur eine Bedrohung Venezuelas, sondern auch Ecuadors, Boliviens, Nicaraguas und Kubas sei, blieb auf dem Kopenhagener Gipfel, aber auch danach von seiten derjenigen, denen er Angriffsabsichten zum Vorwurf gemacht hatte, vollkommen unbeantwortet. Sollten die NATO-Staaten, die hier insgesamt gefragt sind, und insbesondere die USA weiterhin die Strategie verfolgen, beharrlich zu schweigen, dürfen sie sich nicht wundern, wenn dieses Schweigen als ein sehr wohl beredtes gedeutet wird, nämlich als stillschweigendes Eingeständnis in Hinsicht auf die öffentlich erhobenen Vorwürfe, Luftangriffe gegen Venezuela durchführen und damit einen Krieg in Lateinamerika eröffnen zu wollen, nur um zu verhindern, daß sich die Staaten und Völker dieses Kontinents vollends von ihrer Vergangenheit als "Hinterhof" der USA und willfährige Nutzpartner der EU-Staaten emanzipieren.

[1] http://vtv.gov.ve/noticias-nacionales/27953

4. Januar 2010