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DILJA/1238: US-Kriegsvorbereitungen? Venezuela beklagt Luftraumverletzungen (SB)


Venezuela wirft den USA und den Niederlanden kriegerische Absichten vor

Erneute Verletzung des venezolanischen Luftraums durch US-Kampfflugzeug


Das Streben westlicher Führungsstaaten nach unipolarer Weltdominanz duldet weder Widerspruch noch Infragestellung, und schon gar nicht ist es mit derartigen Weltherrschaftsplänen und -ambitionen zu vereinbaren, wenn Staaten aus verschiedenen Regionen und Kontinenten der Welt dem selbsternannten Welthegemon nicht nur Unterwerfung und Gehorsam verweigern, sondern um einer multipolaren Weltordnung willen miteinander zu kooperieren beginnen. Die drohenden Worte der US-amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton im Dezember vergangenen Jahres auf einer den Beziehungen zwischen den USA und den lateinamerikanischen Staaten gewidmeten Sitzung können vor diesem Hintergrund durchaus als Kriegsdrohung aufgefaßt werden. Clinton hatte laut afp erklärt: "Wer sich mit dem Iran einlässt, muss mit Konsequenzen rechnen, und wir wollen hoffen, dass jedes Land sich diesen Schritt gut überlegt." [1] Die oberste US-Diplomatin warnte die lateinamerikanischen Staaten vor einer "leichtfertigen Annäherung an den Iran" und ließ wissen, daß die Intensivierung bestehender Beziehungen "keine gute Idee" sei.

Hugo Fernández, Vizeaußenminister Boliviens, wies diesen Versuch einer Einmischung in die bilateralen Beziehungen anderer Staaten umgehend zurück: "Die Außenministerin Clinton sagt, die Beziehungen zum Iran zu intensivieren sei keine gute Idee. Das mag vielleicht für die USA gelten, aber wer denkt, das gilt automatisch für den Rest der Welt, irrt." [1] Mit nicht minder drohendem Unterton hatte die US-Außenministerin in diesem Zusammenhang Bolivien, aber auch Venezuela eigens hervorgehoben und erklärt, die USA wüßten um die Bemühungen des Iran, sich insbesondere in diesen Ländern "beliebt zu machen". Tatsächlich dürfte die iranisch-venezolanische Kooperation aus Sicht Washingtons ein besonderes Ärgernis darstellen, weil gleich zwei Staaten, die, wenn auch aus durchaus unterschiedlichen Gründen, den Zorn der selbsternannten Weltführungsmacht auf sich gezogen haben, auf politischer und wirtschaftlicher Ebene zusammenarbeiten. Schließlich wäre es für einen Weltpolizisten in wenn auch angemaßter Rolle weitaus leichter, sich die Zielstaaten seiner Ordnungspläne nacheinander und voneinander isoliert vorknöpfen zu können, um unter Anwendung bzw. Androhung sämtlicher, also auch letzten Endes militärischer Mittel die ihm genehmen Verhältnisse und Systeme durchzusetzen.

Venezuela pflegt aus Gründen, die etwaigen und von wem auch immer erhobenen Weltführungsansprüchen diametral entgegenstehen, intensive Beziehungen zum Iran, wie David Velásquez, venezolanischer Botschafter im Iran, in einem am 30. Dezember 2009 in der jungen Welt veröffentlichten Interview [2] klarstellte:

Venezuela und Iran haben auf ökonomischem, politischem und energiepolitischem Gebiet sehr enge und aktive Beziehungen aufbauen können, weil beide Regierungen in den Zielen der Wirtschaftskooperation übereinstimmen - vor allem mit Blick auf Technologietransfer - und weil deren Grundlage Solidarität und gegenseitige Unterstützung sind. Venezuela und Iran ermöglichen gemeinsam die Stärkung der Süd-Süd-Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen regionalen Blöcken wie zwischen den Mitgliedsstaaten der Bolivarischen Allianz ALBA mit den Ländern des Mittleren Ostens. Ein weiteres Element ist die Förderung einer multipolaren Weltordnung. In diesem Sinne sind Venezuela und der Iran strategische Verbündete.

An Motiven, die die Anschuldigungen des venezolanischen Staatspräsidenten Hugo Chávez, die USA würden in Kooperation mit Kolumbien, aber auch den Niederlanden eine militärische Aggression gegen sein Land planen und vorbereiten, plausibel machen könnten, mangelt es insofern nicht. Derartige Vorwürfe erhebt die venezolanische Regierung bereits seit Monaten, ohne daß die sogenannte internationale Gemeinschaft den Konflikt erkennbar zur Kenntnis genommen oder mit diplomatischen Bemühungen zu entschärfen versucht hätte. Der spanische Buchautor und Journalist Ignacio Ramonet griff in einem Leitartikel der französischen Zeitung Le Monde diplomatique die militärische Umzingelung Venezuelas auf und traf die Feststellung, daß "Venezuela und die Bolivarische Revolution ... von nicht weniger als 13 nordamerikanischen Basen ... umzingelt (sind) sowie von Flugzeugträgern und Kriegsschiffen der IV. Flotte" [3]. Offenbar lasse US-Präsident Obama dem Pentagon freie Hand, ergänzte Ramonet und zog unter Berücksichtigung der jüngsten Zuspitzung die Schlußfolgerung, "alles deutet auf einen Angriff hin".

Am vergangenen Freitag nun hat sich ein weiterer Vorfall ereignet, den Venezuela als feindseligen Akt gegen die Souveränität und territoriale Integrität des Landes aufgefaßt hat und auffassen konnte, auch wenn eine offizielle Bestätigung der US-Administration noch immer aussteht und nach Lage der Dinge auch nicht zu erwarten ist. Wie auch westlichen Pressemeldungen zu entnehmen ist [4], ist nach venezolanischen Angaben am vergangenen Freitag ein US-Kampfflugzeug, ein Patrouillenflugzeug vom Typ P-3 Orion, zweimal in den venezolanischen Luftraum eingedrungen. Wie Präsident Chávez auf einer Kabinettssitzung in Caracas mitteilte, sei das US-Flugzeug, von der zu den niederländischen Antillen gehörenden Insel Curaçao kommend, um 12.55 Uhr Ortszeit in das venezolanische Hoheitsgebiet eingedrungen. Es sei von zwei venezolanischen F-16-Jets eskortiert und nach einer Viertelstunde zum Verlassen des Luftraums gezwungen worden, nur um um 13.37 Uhr abermals für einen kurzen Zeitraum in den Luftraum Venezuelas einzudringen.

"Das sind Kriegsflugzeuge, die für den imperialen Krieg genutzt werden. Es handelt sich nicht, wie sie (die USA) sagen, um Spezialflugzeuge für den Kampf gegen den Drogenhandel", erklärte Präsident Chávez noch am selben Tag vor dem Kabinett und erhob den Vorwurf an die USA, aber auch die Niederlande, auf diese Weise einen Vorwand für eine beabsichtigte Militärintervention gegen Venezuela schaffen zu wollen [4]. Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums wies die Vorwürfe im Kern zurück und behauptete, kein US-Flugzeug habe am Freitag den venezolanischen Luftraum verletzt; im übrigen würde die US-Luftwaffe andere Länder generell nicht ohne vorherige Absprache und Genehmigung überfliegen. Venezuela hingegen machte geltend, Beweise für die neuerliche Luftraumverletzung durch Flugzeuge der US-Luftwaffe vorlegen zu können. "Wir kennen selbst den Namen des Piloten", so Chávez in der Kabinettssitzung am vergangenen Freitag [4].

Durch die jüngsten Vorfälle wurde das ohnehin höchst angespannte Verhältnis zwischen Venezuela und den USA, denen die Regierung in Caracas unverblümt vorwirft, Kriegsvorbereitungen gegen ihr Land zu treffen, noch weiter verschlechtert. Mit den Niederlanden verliert jedoch auch ein EU-Staat und NATO-Partner der USA seine vermeintlich neutrale Position. Wie an dieser Stelle [5] bereits berichtet, hatte der niederländische Außenminister Maxime Verhagen in Reaktion auf ein Kommuniqué der venezolanischen Regierung vom 31. Dezember 2009, in dem der Vorwurf erhoben worden war, daß die USA Luftangriffe gegen Venezuela ausgehend von den zu den niederländischen Antillen gehörenden Inseln Aruba und Curaçao vorbereiten würden, erklärt, daß die Niederlande eine solche Nutzung ihres Territoriums nicht autorisiert hätten und an einer Fortsetzung der guten Beziehungen zu Venezuela interessiert seien.

Nach venezolanischen Angaben sind die Niederlande in den neuerlichen Zwischenfall abermals involviert, da die luftraumverletzende US-Maschine am Freitag vom US-Luftwaffenstützpunkt auf Curacao stammte. Wie Ramón Carrizalez, Vizepräsident und Verteidigungsminister Venezuelas, auf einer Pressekonferenz anläßlich der Luftraumverletzung durch ein US-amerikanisches Kampfflugzeug vom 8. Januar ausführte, ist die Maschine von Curaçao aus gestartet. Auf Nachfrage habe man, so Carrizalez [6], aus Curaçao die Auskunft erhalten, daß es sich bei der fraglichen Maschine um ein Flugzeug der Küstenwache handeln und daß es nach Curaçao zurückkehren würde. Die Erklärung der niederländischen Regierung vom Jahreswechsel, sie werde den USA keine Nutzung der Antilleninseln für Vorbereitungen eines Luftangriffs gegen Venezuela erlauben, entbehrt womöglich nicht einer gewissen semantischen Feinsinnigkeit. Da Washington - bis zur Stunde X - niemals zugeben würde, einen Krieg vorzubereiten, finden solche Vorbereitungen nach dieser Lesart auch nicht statt.

Die umfangreichen Truppenbewegungen und US-Militärstützpunkte in der gesamten Region sind offiziell einzig und allein dem Zweck geschuldet, den Drogenhandel bzw. die illegale Einwanderung in die USA zu bekämpfen. Um nicht als potentieller Aggressor in Erscheinung treten zu müssen, werden Rechtfertigungskonstrukte ins Feld geführt, gegen die kein anderer Staat etwas einwenden kann und die allem Anschein nach die Souveränität anderer Länder nicht verletzen. Warum sich die militärischen Aktivitäten dennoch auf Venezuela konzentrieren, so als gäbe es, die USA betreffend, ein exorbitant großes Problem mit aus Venezuela kommenden Flüchtlingen oder mit aus diesem Land und nicht aus dem mit den USA verbündeten Nachbarland Kolumbien stammenden Drogen, bleibt eine offene Frage, die auch die niederländische Regierung kaum plausibel zu erklären in der Lage sein dürfte, hat sie doch im Jahre 2005 ihre vertragliche Vereinbarung mit den USA dahingehend erneuert, daß die US-Streitkräfte die Nutzung ihrer auf Aruba und Curaçao - und damit direkt vor der venezolanischen und nicht der kolumbianischen Grenze - gelegenen Militärstützpunkte noch ausweiten dürfe.

Am 17. Mai vergangenen Jahres, als schon einmal ein US-amerikanisches Kampfflugzeug vom Stützpunkt Curaçao aus in den venezolanischen Luftraum eingedrungen war, hatte der Pilot im Funkkontakt mit dem venezolanischen Kontrollturm von Maiquetía erklärt, daß es sich bei seinem Flugzeug um eines der US-amerikanischen Streitkräfte handele. Konfrontiert mit der Tatsache, ohne vorherige Genehmigung in den venezolanischen Luftraum eingedrungen zu sein, suchte der US-Pilot den Vorfall damit zu entschuldigen, daß er sich dessen nicht bewußt gewesen sei. Der vollständige Wortlaut des Funkkontaktes wurde - in spanischer Sprache - anläßlich der aktuellen Ereignisse und Zuspitzung von dem lateinamerikanischen Fernsehsender TeleSur auf seiner Internetseite veröffentlicht [7].

Bei dem jüngsten Vorstoß der US-Luftwaffe in den Luftraum Venezuelas fällt die Option, Nichtwissen vorzutäuschen, allerdings aus, da der Pilot spätestens beim zweiten Eindringen in das venezolanische Hoheitsgebiet voll informiert gewesen sein muß, worauf Vizepräsident Carrizalez auf der jüngsten Pressekonferenz eigens hinwies. Da das Patrouillenflugzeug vom Typ P-3 Orion gleich zweimal binnen kurzem denselben "Irrtum" begangen habe, kann der Pilot beim zweiten Eindringen kaum noch behaupten, sich der Sachlage nicht bewußt gewesen zu sein, wobei die Frage, wie überhaupt eine solch offensichtliche Luftraumverletzung mit dem vorgeblichen Zweck der gesamten US-Militäroperationen in dieser Region, nämlich Drogenhandel und illegale Einwanderung zu bekämpfen, in Verbindung gebracht werden könne, noch gar nicht berührt wurde.

Bereits am vergangenen Freitag hatte Venezuelas Staatspräsident Hugo Chávez anläßlich der aktuellen Vorfälle die sogenannte internationale Gemeinschaft sowie die übrigen Staaten Lateinamerikas auf die anwachsende militärische Bedrohungslage gegen sein Land aufmerksam gemacht und vor den verstärkten Aktivitäten der kolumbianischen wie auch der US-Streitkräfte sowie des Truppenaufmarsches auf den niederländischen Antilleninseln gewarnt. Schon im vergangenen Herbst hatte die zwischen Kolumbien und den USA getroffene Vereinbarung über die Nutzung kolumbianischer Stützpunkte durch die US-Streitkräfte für Proteste nicht nur seitens Venezuelas, sondern sehr vieler Staaten Lateinamerikas geführt. Darüber hinaus hatte die kolumbianische Regierung erst am 20. Dezember 2009 bekanntgegeben, in den Grenzgebieten zu Venezuela sechs Flugzeugbataillone und eine Spezialeinheit mit eintausend Soldaten zu stationieren [3].

Die vom Le-Monde-Leitartikler Ignacio Ramonet angesichts dessen, daß seitens der USA alles auf einen Angriff gegen Venezuela hindeutet, aufgeworfene Frage, ob es "die Völker dulden" werden, daß "in Lateinamerika ein weiteres Verbrechen gegen die Demokratie begangen wird", könnte der Fehldeutung Vorschub leisten, daß ein solcher Krieg ausschließlich Lateinamerika bedrohen und treffen könnte ganz so, als würde die unipolare Weltordnung, die auf diesem und weiteren Wegen unumkehrbar durchgesetzt werden soll, nicht unweigerlich ein "Verbrechen gegen die Demokratie" auch für die Völker aller übrigen Kontinente nach sich ziehen, die dem neoliberalen Diktat westlicher Provenienz dauerhaft unterworfen werden sollen.

Anmerkungen

[1] USA warnen vor Annäherung an den Iran, bolpress, 20.12.1999, aus: Poonal Nr. 877, Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 4. Januar bis 10. Januar 2010, 10. Januar 2010

[2] "Strategisch stimmen wir überein", Stärkere Süd-Süd-Beziehungen und Verteidigung der Souveränität: Venezuela und Iran erweitern kontinuierlich ihre Beziehungen. Interview mit David Velásquez, dem Botschafter Venezuelas im Iran, von André Scheer, junge Welt, 30.12.2009, S. 3

[3] Umzingelung Venezuelas. Die Regierung von Hugo Chávez wird von 13 US-amerikanischen Militärbasen bedroht. Aufrüstung der USA und Kolumbiens, von Ignacio Ramonet, amerika21.de, 09.01.2010, Übersetzung von Crista Grewe,
http://www.amerika21.de/hintergrund/2010/ramonet-9273463-jan2010/view

[4] Chávez wirft USA Verletzung des Luftraums vor. Angeblich US-"Kriegsflugzeug" über Venezuela abgefangen, NZZ online, 9. Januar 2010, 08:08 Uhr,
http://www.nzz.ch/nachrichten/international/usa_venezuela_chavez_luftraum_verletztung_1.4472207.html

[5] Schattenblick -> INFOPOOL -> POLITIK -> MEINUNGEN: DILJA/1235: Kriegsgefahr durch NATO-Staaten - Angriffsvorbereitungen gegen Venezuela (SB) - 04.01.2010

[6] Venezuela mostró pruebas de violación de su soberanía por avión estadounidense, TeleSUR, Zugriff am 12.1.2010,
http://www.telesurtv.net/noticias/secciones/nota/64984-NN/venezuela- mostro-pruebas-de-violacion-de-su-soberania-por-avion-estadounidense/

[7] Grabación prueba violación de la soberanía venezolana por parte de EE.UU., TeleSUR, 06.01.2010, Zugriff am 12.1.2010,
http://www.telesurtv.net/noticias/secciones/nota/64702-NN/grabacion- prueba-violacion-de-la-soberania-venezolana-por-parte-de-eeuu/

12. Januar 2010