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DILJA/1254: Linkspartei im Fadenkreuz US-amerikanischer "Antisemitismusbekämpfung" (SB)


Wo bleibt der Aufschrei bundesdeutscher Demokraten?

Das Simon-Wiesenthal-Center in Los Angeles fordert den Parteiausschluß israelkritischer Linkspartei-Politiker


Nach der Rückkehr des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu aus den USA war aus dessen Büro am vergangenen Freitag in bezug auf die heftig umstrittene Ankündigung Tel Avivs, den Siedlungsausbau in Ost-Jerusalem voranzutreiben, lapidar zu vernehmen, daß es "keine Veränderung" in der Jerusalem-Politik geben würde. Deutlicher hätte schwerlich zum Ausdruck gebracht werden können, daß es den kritischen Stellungnahmen, die diesbezüglich seitens US-amerikanischer oder auch EU-europäischer Verantwortungsträger zu vernehmen gewesen waren, an jeglicher Substanz mangelt und daß es sich bei ihnen lediglich um den Tarnanstrich einer faktischen Interessenübereinkunft zwischen den westlichen Führungsmächten und Israel gehandelt hat, der aus taktisch-strategischen Gründen nicht allzu offensichtlich in Erscheinung treten soll.

Angesichts der vielbeschworenen und auch in der aktuellen Krise noch einmal bestätigten tiefen "Freundschaft" zwischen den USA und Israel ist die Annahme, Netanjahu habe dreitägige Gespräche in Washington geführt, nur um die dort laut gewordenen kritischen Stimmen zum Verstummen zu bringen, wenig plausibel. Da die Eskalation im Konflikt mit den Palästinensern keineswegs auf die Frage des israelischen Siedlungsausbaus beschränkt werden kann, sondern längst wieder eine militärische Dimension angenommen hat, die Befürchtungen vor einem zweiten Gaza-Krieg zu nähren imstande ist, kommt der Äußerung des israelischen Finanzministers Juval Steinitz, der als Vertrauter Netanjahus gilt, ein besonderer Stellenwert zu. Dieser hatte am Sonntag im Armeerundfunk erklärt: "Früher oder später werden wir das militaristische pro-iranische Regime der Hamas, das den Gazastreifen kontrolliert, liquidieren müssen." [1] Zu internationalen Protesten oder auch nur mäßigenden Worten seitens der amerikanischen oder europäischen Verbündeten Israels ist es hinsichtlich dieser unverhohlenen Kriegsankündigung bislang nicht gekommen.

Dies wiegt umso schwerer angesichts der militärischen Eskalation. So ist es bereits am Freitag zu eintägigen schweren Gefechten zwischen israelischen Soldaten und Hamas-Kämpfern gekommen. Nach israelischen Armeeangaben hätten sich die eigenen Soldaten, die in den Gazastreifen eingedrungen waren, nach heftigen Kämpfen erst zurückgezogen, nachdem sie die Infrastruktur, die von militanten Palästinensern für Angriffe auf Israel genutzt worden sei, dem Erdboden gleichgemacht hätten, wie eine Armeesprecherin erklärte. Bei den Gefechten wurden sechs Menschen, unter ihnen ein israelischer Offizier und ein Soldat, getötet. Die israelische Armee hatte bei ihrem Vorrücken auch schweres Gerät und Kampfhubschrauber eingesetzt. Palästinensische Augenzeugen berichteten, daß die israelische Marine von der Küste aus in den Gazastreifen feuerte. All dies nimmt in der internationalen Berichterstattung und mehr noch den Verlautbarungen westlicher Politiker nicht den geringsten Raum ein.

Dafür scheint es Gründe zu geben, die wohl nicht zufällig zeitnah, um nicht zu sagen parallel zu den, wie zu befürchten steht, erneuten kriegseinleitenden Maßnahmen der israelischen Regierung in einer scheinbar innenpolitischen oder parteiinternen Angelegenheit hier in Deutschland erkennbar werden. Die Rede soll und muß an dieser Stelle von dem massiven innenpolitischen bzw. innerparteilichen Druck sein, der auf Linksabweichlern innerhalb der Linkspartei derzeit in besonders scharfer Form lastet und der unter anderem auch über einhundert israelische Linke veranlaßt hat, in einem am 25. März, also noch während des Netanjahu-Besuchs in den USA, veröffentlichten Offenen Brief an die deutsche Linkspartei dazu Stellung zu nehmen. Darin heißt es unter anderem [2]:

Wir haben uns zu diesem Brief entschlossen, nachdem uns wiederholt Berichte über Aktivitäten Eurer Partei bezüglich der Situation in Israel/Palästina bekannt wurden, so die Teilnahme von führenden Mitgliedern Eurer Partei an einer Demonstration im Januar 2009 in Berlin, auf der die Weiterbombardierung des Gazastreifens gefordert wurde; das Bestehen und die Akzeptanz eines Bundesarbeitskreises in der Jugendorganisation Eurer Partei (BAK Shalom), der jedes militärische Vorgehen des Staates Israel unterstützt und militaristische und nationalistische Propaganda betreibt; schließlich das Schweigen der Mehrheit der führenden Parteimitglieder zur israelischen Besatzungspolitik. All das hat uns bewogen, unsererseits nicht länger zu schweigen, sondern zu intervenieren. (...)

Wenn wir uns an Euch wenden, so geschieht dies, weil wir um die Bedeutung von Deutschland als Macht innerhalb der EU und darüber hinaus und daher auch um den deutschen Einfluß im Nahen Osten wissen. Die intensiven diplomatischen und militärischen Aktivitäten der Bundesrepublik in der Region und die aktive Unterstützung der israelischen Besatzungspolitik reichen uns, um in der BRD einen der Akteure zu sehen, die für die durch die israelische Regierung begangenen Verstöße gegen das Völkerrecht und für die israelischen Kriegsverbrechen mitverantwortlich sind. (...)

Wir sind ermutigt durch Eure letzten Wahlerfolge und hoffen, daß Euer Erstarken dafür sorgt, in Sachen soziale Gerechtigkeit, Bürgerrechte, Feminismus und Antirassismus in Deutschland neue Themen auf die Tagesordnung zu bringen. Wir sind überzeugt, daß eine linke und solidarische Politik auch eine internationalistische Agenda haben muß, und wir erwarten, daß sich Eure Partei auch in diesem Bereich am weltweiten Dialog mit linken, antirassistischen und feministischen Kräften aktiv beteiligt.
(...)

Es steht zu befürchten, daß sich innerhalb der Linkspartei den hier zum Ausdruck gebrachten Hoffnungen entgegen diejenigen Kräfte durchsetzen, die dieser internationalistischen Agenda eine Absage erteilen insbesondere dann, wenn es um israelkritische Stellungnahmen geht. Die innerparteiliche Auseinandersetzung in der einzigen bundesdeutschen Parlamentspartei, die aus ihrer Vorgeschichte heraus das unbezweifelbare Potential in sich trägt, eine nennenswerte Gegenposition zum Allparteienkonsens der bedingungslosen Unterstützung israelischer Politik zu entfalten oder doch zumindest zu unterstützen, scheint jedoch alles andere als "innerparteilich" zu sein. So sieht sich der Duisburger Kommunalpolitiker Hermann Dierkes, dem die Vorstellung seines zusammen mit der Palästina-Aktivistin Sophia Deeg verfaßten Buches "Bedingungslos für Israel? Positionen und Aktionen jenseits deutscher Befindlichkeiten" in den Räumen der Linkspartei in Berlin-Pankow verwehrt wurde, mit einer Forderung nach einen Parteiausschluß konfrontiert, die ihren Ursprung in Los Angeles (USA) hat.

Der Bezirksvorstand der Linkspartei in Berlin-Pankow hatte die für den 30. März geplante Veranstaltung abgesagt mit der Begründung, Dierkes würde sich mit seinen Auffassungen "im Widerspruch zu Petra Pau und Gregor Gysi" befinden. Nachvollziehbar ist diese Begründung allerdings nicht, da ein solcher Widerspruch einen innerparteilichen Diskussions-, Meinungsbildung- und Entscheidungsfindungsprozeß angeraten sein ließe, gegebenenfalls mit öffentlicher Beteiligung. Dies würde dem Parteienverständnis in einem demokratischen Rechtsstaat entsprechen, heißt es doch in Art. 21, Abs. 1 des Grundgesetzes: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen." Wird eine solche Entwicklung jedoch torpediert und boykottiert seitens der Parteiführung, drängt sich der Verdacht auf, daß (auch) in dieser Partei "von oben nach unten durchregiert" wird und sämtliche Parteigremien, Bezirks- und Ortsverbände bei Strafandrohung gehalten sein könnten, die von Fraktionschef Gregor Gysi und Bundestagsvizepräsidentin Petra Rau vorgegebene Linie zu befolgen.

Es mehren sich darüber hinaus jedoch Anzeichen, die darauf hindeuten, daß der "Druck", der den Pankower Bezirksvorstand der Linkspartei dazu bewogen hat, die zuvor vereinbarte Lesung mit Dierke/Deeg abzusagen, nicht bzw. nicht ausschließlich in parteiinternen Spannungen und Auseinandersetzungen begründet liegt, sondern Wurzeln aufweist, die bis zum Simon-Wiesenthal-Center in Los Angeles und damit, wenn auch indirekt, bis in die US-amerikanischen Regierungsgefilde reichen könnten. So hat das nordrhein-westfälische Internetportal "Ruhrbarone" einen an Gysi und Rau gerichteten Brief des Simon-Wiesenthal-Centers veröffentlicht, in dem diese dazu aufgefordert werden, den nordrhein-westfälischen Kommunalpolitiker Dierkes sowie seine Genossen aus der Partei auszuschließen; dies sei lebenswichtig, um die Partei im Mainstreamlager der deutschen Nachkriegs- und Nachmauerdemokratie zu halten [3].

Im deutschen Grundgesetz steht nichts von einem "Mainstreamlager" der deutschen Nachkriegs- oder, noch schlechter, einer Nachmauerdemokratie. Die bundesdeutsche Verfassung legt den Parteien einzig die Pflicht auf, über Herkunft und Verwendung ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft abzulegen; desweiteren eröffnet es die Möglichkeit, eine Partei, so sie darauf ausgerichtet sei, "die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden" (Art. 21, Abs. 2), für verfassungswidrig zu erklären, was allerdings ausschließlich durch das Bundesverfassungsgericht geschehen könne. Den Ausschluß eines oder mehrerer Mitglieder der Linkspartei zu fordern, weil die Partei andernfalls in der demokratischen Parteienlandschaft keine Existenzberechtigung mehr hätte, offenbart einen eklatanten Mangel an Demokratieverständnis und Verfassungskenntnissen, der politisch inakzeptabel wäre, würden sich ihm bundesdeutsche Politiker anschließen und der irrelevant bleiben könnte, wäre es nicht mehr als die Forderung einer US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation.

Tatsächlich soll es sich bei dem Simon-Wiesenthal-Center (SWC) laut Wikipedia um eine "internationale Menschenrechtsorganisation mit Hauptsitz in Los Angeles" handeln, die sich "hauptsächlich mit der Thematik des Holocausts" auseinandersetzt und das Ziel verfolgt, "Tolerenz und Verständnis gegenüber Mitmenschen in der heutigen Zeit zu bewahren, was durch aktives Einbeziehen der Gesellschaft und deren Aufklärung und Bildung erreicht werden soll". Da seit der Gründung im Jahre 1977 "eine kontinuierliche Kommunikation mit sowohl privaten als auch öffentlichen Einrichtungen, u.a. mit der US-amerikanischen Regierung und anderen Regierungen" [4] stattfindet, liegt die Schlußfolgerung, daß es sich bei dem SWC um eine Institution handelt, die zwar formal nicht der bzw. den Regierungen untersteht und gleichwohl auf informeller Ebene als regierungspolitisches Instrument in Funktion tritt, äußert nahe.

Dies liegt auch deshalb auf der Hand, weil sich der vorgebliche sowie der tatsächliche Arbeitsschwerpunkt des Centers mit der offiziellen US-Regierungspolitik inhaltlich in Deckung bringen läßt. Dies gilt spätestens ab dem Zeitpunkt (16. Oktober 2004), an dem der US-Kongreß mit dem "Global Anti-Semitism Review Act" einstimmig ein Gesetz verabschiedet hatte, das das US-Außenministerium verpflichtet, weltweit Vorfälle des sogenannten Antisemitismus zu dokumentieren und diesen durch "Druck" auf die Regierungen der jeweiligen Länder zu bekämpfen. Der damalige US-Präsident Bush hatte bei seiner Unterzeichnung erklärt: "Die Freiheit zu verteidigen heißt auch das Übel des Antisemitismus zu zerschlagen." [5] Dabei soll es ausgerechnet aus dem US-Außenministerium selbst zuvor Bedenken gegen dieses kurz vor den Präsidentschaftswahlen im November 2004 verabschiedete Gesetz gegeben haben, weil die darin begründete Einseitigkeit den ohnehin anwachsenden Antiamerikanismus in den muslimischen Staaten befördern würde [6]. Die im Sommer 2004 vorgebrachten Einwände, die Hervorhebung einer Gruppe gegenüber anderen verfolgten Gruppen könnte die Glaubwürdigkeit der US-Außenpolitik beeinträchtigen, konnten die Verabschiedung des US-Antisemitismus-Gesetzes nicht verhindern.

Und wie in dem Gesetz verlangt, wurde wenig später, am 5. Januar 2005, ein erster Bericht über die weltweiten Vorfälle sowie das Verhalten der jeweiligen Regierungen vorgelegt. In dem vom Büro für Demokratie, Menschenrechte und Arbeitsfragen herausgegebenen "Globalen Antisemitismusbericht 2004" wird in einer Übersetzung des Amerikadienstes [5] der Antisemitismus "seit Jahrhunderten" als eine "Geißel der Menschheit" bezeichnet. Dem steht nach Ansicht der Autoren keineswegs die von diesen selbst nicht in Abrede gestellte Schwierigkeit entgegen, daß es eine allgemein anerkannte Begriffsdefinition nicht gibt [5]:

Eine Definition des Antisemitismus ist immer wieder Gegenstand von unzähligen Diskussionen und Studien. Obwohl es keine universell akzeptierte Definition gibt, haben die Menschen allgemein eine klare Vorstellung davon, was mit diesem Terminus gemeint ist.

Und weiter hieß es in dem "Globalen Antisemitismusbericht 2004":

Im Rahmen dieses Berichts wird Antisemitismus als Hass auf Juden - auf Einzelpersonen oder die ganze Gemeinschaft - verstanden, der auf der Zugehörigkeit zur jüdischen Religion und/oder ethnischen Gruppe basiert. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zwischen legitimer Kritik an der Politik und der politischen Handlungsweise des Staates Israel und antisemitischen Kommentaren zu unterscheiden. Die Dämonisierung Israels oder Schmähung israelischer Politiker, mitunter durch Vergleiche mit führenden Nazis und unter Verwendung von Nazisymbolen zum Zwecke der Karikatur, weist auf eine antisemitische Haltung hin und nicht auf eine gerechtfertigte Kritik der israelischen Politik in einer kontroversen Angelegenheit.

Somit wird der Bogen gespannt von dem ursprünglichen Anliegen eines Simon Wiesenthal, der sich als Namensgeber des nach ihm benannten Instituts anbot, weil er sich, wenn auch keineswegs unumstritten, als "Nazijäger" einen Namen gemacht hatte, zu einer Politik, bei der es unter Verwendung und Instrumentalisierung der Menschenrechtsanliegen um die Durchsetzung israelisch-amerikanischer Positionen und Hegemonialansprüche geht. In dem 2004er Bericht werden für den "weltweiten Antisemitismus" vier Hauptquellen aufgelistet, die von "traditionell antijüdischen Vorurteilen" in Europa und einigen anderen Regionen über "starke antiisraelische Vorbehalte, die die Grenze zwischen objektiver Kritik israelischer Politik und Antisemitismus überschreiten" zu "antijüdischen Gefühlen", die von einem "Teil der wachsenden muslimischen Bevölkerung in Europa" zum Ausdruck gebracht werden, reichen.

Als vierte Hauptquelle des Antisemitismus wird eine "Kritik sowohl an den USA als auch an dem Phänomen Globalisierung" benannt, die sich "auf Israel und die Juden im Allgemeinen, die mit beidem in Zusammenhang gebracht werden", erstrecke. Für eine begründete Einschätzung der vorgeblichen wie auch der tatsächlichen Absichten und Zielsetzungen der US-dominierten weltweiten Antisemitismuskampagne, zu der auch das Simon-Wiesenthal-Center in einem engen Zusammenhang zu stehen scheint, ist es äußerst aufschlußreich zu berücksichtigen, mit welchen Forderungen und Vorwürfen das SWC in jüngerer Vergangenheit bereits auffällig geworden ist. Die Betreiber und Initiatoren dieser weltweiten Kampagne mandatieren sich selbst bzw. die in ihrem Sinne tätigen Institutionen dazu, unterscheiden zu können und zu dürfen zwischen "objektiver Kritik israelischer Politik" und "Antisemitismus", womit der Grundstein gelegt wurde für ein repressives Instrumentarium, durch das israelkritische Positionen und Organisationen als antisemitisch bezeichnet, diffamiert und verfolgt werden können.

Dieser Zusammenhang trifft nicht nur auf die aktuelle, vom Simon-Wiesenthal-Center in Stellung gebrachte Kampagne gegen den Linkspolitiker Hermann Dierkes zu, dessen Parteiausschluß von Dr. Shimon Samuels, dem Direktor für Internationale Beziehungen im SWC, explizit gefordert wird. Im Jahr 2005 brachte die jüdische Gemeinde Venezuelas das Simon-Wiesenthal-Center in die Kritik, nachdem dieses dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez antisemitische Äußerungen vorgeworfen hatte. Das SWC hatte der Behauptung Chávez', "die Nachkommen derer, die Christus kreuzigten (...), haben sich die Reichtümer der Welt zu eigen gemacht" [4] als Antisemitismus ausgedeutet mit der Begründung, daß Chávez hier die Juden gemeint hätte; schließlich gäbe es ein häufig benutztes antisemitisches Klischee, demzufolge Juden häufig über Macht und Reichtum verfügten. Die jüdische Gemeinde Venezuelas warf dem SWC vor, Äußerungen Chávez' wiederholt sinnentstellend wiedergegeben zu haben.

Der Versuch, den venezolanischen Präsidenten als "Antisemiten" zu verunglimpfen, offenbart die eigentliche Stoßrichtung der gesamten sogenannten Antisemitismus-Kampagne, so dieser Begriff als Matrix verstanden wird für die Bestrebungen westlicher Staaten, ihren Weltführungsanspruch gegen jegliche Widersprüche und Einwände durchzusetzen. Da, wie inzwischen eigentlich hinlänglich bekannt sein müßte, auch Araber "Semiten" sind, kann noch nicht einmal von einer Fehlanwendung des Begriffs gesprochen werden, wenn er zur Diskreditierung unliebsamer Politiker verwandt wird selbst dann, wenn diese auf Juden keinen Bezug genommen haben. Und so liefert das US-amerikanische Antisemitismusgesetz von 2004 der heutigen US-Regierung nicht nur die Option, sondern eigentlich sogar die Verpflichtung, gegen die israelische Regierung, deren Menschenrechtsverbrechen gegenüber der palästinensischen Bevölkerung im Gazakrieg von 2008/2009 nicht zuletzt im Goldstone-Bericht der Vereinten Nationen ausreichend dokumentiert wurden, vorzugehen.

Eine solche Idee ist allerdings vollkommen realitätsfern, weil es sich bei dem Antisemitismus-Begriff um ein Propaganda- und Repressionsmittel handelt, mit dem, wie die Beispiele Chávez und Dierkes zeigen, Politiker konfrontiert werden, deren "Vergehen" aus Sicht ihrer Ankläger einzig und allein in der mangelnden Bereitschaft besteht, sich der aus Washington, Brüssel, Berlin und Tel Aviv vorgehaltenen Linie bedingungslos zu beugen, und so ist schwer auszuloten, ob bezogen auf die vermeintlich innenpolitischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland die in Los Angeles erhobene Rücktrittsforderung gegen einen Linkspolitiker und die darin enthaltende massive Verletzung des Grundsatzes der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates oder das völlige Fehlen eines "Aufschreis der Demokraten" hierzulande angesichts einer solchen Anmaßung schwerer wiegen.



Anmerkungen:

[1] Minister will Hamas "liquidieren", junge Welt, 29.03.2010, S. 6

[2] Angebot zum Dialog. Israels Linke appelliert an deutsche Linkspartei, sich für gerechten Frieden in Nahost einzusetzen, junge Welt, 27.03.2010, S. 3

[3] http://www.ruhrbarone.de/simon-wiesenthal-center-gegen-dierkes/

[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Simon_Wiesenthal_Center

[5] Demokratie und Menschenrechte, Globaler Antisemitismusbericht - Teil I: Zusammenfassung, Ein Bericht des Büros für Demokratie, Menschenrechte und Arbeitsfragen, 5. Januar 2005,
http://www.hagalil.com/antisemitismus/2005/01/antisemitismus-1.htm

[6] Global den Antisemitismus bekämpfen, von Florian Rötzer, Onlinemagazin telepolis, 15.10.2004

[7] Venezuela's Jews Defend Leftist President in Flap Over Remarks, 12. Januar 2006

30. März 2010