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DILJA/1312: Afghanistan - unklare Nachrichtenlage über deutschen Kriegsgefangenen (SB)


Deutsche KSK-Soldaten nehmen hochrangigen Taliban-Kommandeur fest

Der Öffentlichkeit fehlen offizielle Informationen über Foltervorwurf


Deutschland führt Krieg und kaum jemand will es wissen. Die heutigen "Ü-40"-Generationen, aufgewachsen in einer vermeintlichen Nachkriegswelt, die den Begriff "Krieg" mit den Schrecken der von Deutschland geführten Weltkriege Nr. 1 und 2 assoziiiert und eine mögliche Kriegsbedrohung mit der Zweifronten-Situation der beiden damaligen, zueinander antagonistischen Blöcke in Verbindung bringt, wird den von der heutigen Bundeswehr in Afghanistan geführten Krieg kaum als einen solchen wahrnehmen, bewerten und erleben. Zwar hat sich im offiziellen Sprachgebrauch mittlerweile die schwerlich noch länger zu leugnende Tatsache einer höchst realen Kriegführung durchgesetzt, nachdem die zunächst bemühten Euphemismen, denen zufolge die am Hindukusch eingesetzten deutschen Soldaten so etwas wie bewaffnete Aufbauhilfe leisteten, bevor zugestanden wurde, daß es sich bei ihren Operationen doch um "Kampfeinsätze" handelt, vollends unglaubwürdig geworden waren.

Doch ungeachtet dieser Fragen der Namensgebung inklusive der den jeweiligen Begriffsbestimmungen inhärenten Implikationen haftet diesem Krieg aus Sicht derer, die ihn auf deutscher Seite führen, vor allem das Manko an, daß es für ihn bzw. seine Fortsetzung keine Basis in der Bevölkerung gibt. Der Versuch, der Kriegführung in Afghanistan durch eine Verknüpfung militärischer Vorgänge mit Entwicklungshilfe und der zivilen, durch westliche Nichtregierungsorganisationen getragenen Aufbauarbeit ein humanitäres Antlitz zu verleihen, muß inzwischen als gescheitert angesehen werden. So geht beispielsweise die Welthungerhilfe, die seit 1980, also seit der Zeit, in der die Weichenstellungen dafür gelegt wurden, daß die Sowjetunion in Afghanistan "ihr Vietnam" erleben würde, in dem Land am Hindukusch tätig ist, bereits seit Jahren deutlich auf Distanz zur dort stationierten Bundeswehr. Doch nicht nur die Welthungerhilfe, auch die übrigen deutschen Nichtregierungsorganisationen wollen mit der von der Bundeswehr behaupteten zivil-militärischen Zusammenarbeit nichts zu tun haben [1]. Die zivilen Hilfsorganisationen wollen sich von der Bundeswehr nicht vor den Wagen spannen lassen, weil ihre in Afghanistan tätigen Aktivisten längst die Erfahrung gemacht haben, daß der Verlust ihrer Unabhängigkeit ihre Sicherheitslage vor Ort zuspitzt und daß keineswegs, wie von Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel propagiert wird, "eine notwendige und sinnvolle Arbeitsteilung zwischen Streitkräften und Hilfsorganisationen zum beiderseitigen Vorteil" [1] besteht.

Die Zahl der Todesopfer steigt auf beiden Seiten ebenso rapide wie kontinuierlich an und geht mit einem massiven Anstieg der Kampf- und Kriegshandlungen einher. Insgesamt sollen in diesem im Herbst 2001 von der westlichen Kriegsallianz unter Führung der USA begonnenen Krieg über 2000 ausländische Soldaten ums Leben gekommen sein [2]. Die meisten von ihnen - 1226 - waren Angehörige der US-Streitkräfte, die im Juli dieses Jahres mit 66 gefallenen Soldaten ihren bis dato höchsten Blutzoll zu entrichten hatten.

Nach Angaben vom amerikanischen Oberkommandierenden der in Afghanistan tätigen Truppen, General David Petraeus, kam es zwischen Mai und August allein zu rund 2900 Einsätzen der sogenannten Special Forces. Die NATO-Truppen insgesamt sind mit rund 800 Angriffen pro Woche konfrontiert, Tendenz steigend. Die Annahme, daß die ausländischen Streitkräfte in Afghanistan von den dort lebenden Menschen, ob sie nun als "Taliban" klassifiziert werden können oder nicht, mehrheitlich abgelehnt werden, ist schwer von der Hand zu weisen und bringt selbst landesunkundige Zeitgenossen auf die Idee, daß die westliche Militärpräsenz den landeseigenen Widerstand hervorruft, stärkt und befördert. Als am 10. August auch noch ein Bericht der Vereinten Nationen veröffentlicht wurde, demzufolge die Zahl der getöteten Zivilisten gegenüber dem Vorjahreszeitrum um 25 Prozent angestiegen ist, bezog von den deutschen Bundestagsparteien allein die Linkspartei gegen diesen Krieg Stellung. Ihr Sprecher Wolfang Gehrcke erklärte: "Wer den Schutz der Zivilbevölkerung will, muß den Krieg beenden." [3]

Doch nicht nur die US-Streitkräfte bringen in diesem Krieg Special Forces zum Einsatz, auch die deutsche Bundeswehr, mithin nach den USA und Britannien der drittgrößte Truppensteller, ist von Anfang an mit ihren besten Kräften, den weltweit unter ihresgleichen geschätzten Elitesoldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK), im Einsatz. Diese scheuen gemeinhin das Licht einer Medienberichterstattung bzw. Öffentlichkeit, so gut es eben geht, und wurden mit dem Argument, daß eine umfassende Aufklärung des Bundestages und damit der bundesdeutschen Öffentlichkeit das Leben der im Einsatz befindlichen Soldaten gefährden würde, in den De-facto-Rechtszustand einer Geheimarmee manövriert, die es in einem demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland, dessen militärischen Kräfte und insbesondere ihr aktiver Einsatz unter Parlamentshoheit stehen (müßten), selbstverständlich nicht geben dürfte.

Doch bei aller medialen Verschwiegenheit und amtlicher Geheimhaltung sickert doch hin und wieder etwas durch, was die Verantwortlichen im nachhinein vermutlich lieber nicht veröffentlicht gesehen haben dürften. So wurde in der junge Welt unlängst berichtet [4], daß die Bundeswehr "voller Stolz" die Verhaftung des hochrangigen Taliban-Kommandeurs Maulawi Roshan, der am 22. September von KSK-Soldaten nördlich von Kundus festgesetzt worden sei, vermeldet habe. Dazu muß man wissen, daß von namhaften Völkerrechtlern die Auffassung vertreten wird, daß die Bundeswehr in Afghanistan zu Festnahmen gar nicht autorisiert ist. So erklärte beispielsweise der Völkerrechtler Andreas Fischer-Lescano in einem unlängst veröffentlichten Interview [5]:

Die Bundeswehr ist nicht befugt, sich an der Festnahme Verdächtiger und ihrer Überstellung an afghanische oder US-Behörden zu beteiligen. Erstens gibt es schon hinsichtlich der Ingewahrsamnahme von ZivilistInnen in Afghanistan keine nationale - nach Verfassungsrecht eben notwendige - Rechtsgrundlage für die deutschen FunktionsträgerInnen. Und zweitens ist es untersagt, dass die Bundeswehr Gefangene an Staaten übergibt, bei denen es begründete Zweifel daran gibt, dass die Behandlung der Gefangenen menschenrechtskonform ist. Solche Zweifel gibt es in Afghanistan aber nun einmal zuhauf.

Derartige Zweifel gibt es inzwischen auch in Hinsicht auf den von der im Geheimen operierende "Task Force 47" der deutschen Bundeswehr festgesetzten mutmaßlichen Taliban-Kommandeur. Unter Berufung auf einen Bericht der Nachrichtenagentur dapd vom 23. September mit dem Titel "Er wird auspacken" berichtete die junge Welt [4], daß ein Vertreter des afghanischen Geheimdienstes NDS erklärt habe, Roshan habe "natürlich erst mal gar nichts sagen wollen". Der NDS hoffe, durch diesen Gefangenen "in die inneren Netzwerke der Taliban im Raum Kundus eindringen zu können", so der zitierte NDS-Mitarbeiter, der freimütig bekannte: "Wir haben da schon unsere Methode, Leute zum Sprechen zu bringen." Von einem großen Schlag gegen die Taliban sei dapd zufolge bei namentlich nicht genannten Mitarbeiter nicht nur des afghanischen Geheimdienstes, sondern auch des Bundesnachrichtendienstes (BND) in diesem Zusammenhang die Rede gewesen.

Die Task Force 47 hatte in jüngerer Vergangenheit schon für unliebsame Schlagzeilen gesorgt, als ihr amtierender Kommandeur, Bundeswehroberst Georg Klein, die Bombardierung zweier von afghanischen Aufständischen entführten Tanklastwagen, der am 4. September vergangenen Jahres bis zu 142 Menschen zum Opfer fielen, anforderte. Später stellte sich heraus, daß ein Angehöriger der KSK das geheime Protokoll dieses Einsatzes geführt hatte, diese Informationen jedoch den Ermittlern der NATO unter Verweis auf deutsche Geheimhaltungsvorschriften vorenthalten worden waren. Nach Ansicht von Paul Schäfer, dem Obmann der Linkspartei im Verteidigungsausschuß des Bundestages, sind derartige "Offensivaktionen" in keiner Weise mit dem Bundestagsmandat für diesen Auslandseinsatz zu vereinbaren. Im Dezember vergangenen Jahres, als bekannt geworden war, daß auch die Geheimtruppe KSK in der Bundeswehrgarnision in Kundus stationiert ist, erklärte Schäfer auf die Frage, was eine solche Angrifftruppe dort verloren habe, folgendes [6]:

Eingeweihte wußten schon, daß KSK-Leute dort sind, Details waren aber nicht bekannt. Nach der Bombennacht ist allerdings herausgekommen, daß diese Truppe offenbar auch an der Planung und Durchführung solcher Offensivaktionen mitwirkt. Daß ihr Einsatz also keineswegs auf nachrichtendienstliche Informationssammlung beschränkt ist - das ist neu.

Tatsächlich haftet dem Einsatz der KSK seit vielen Jahren ein schlechter Ruf an schon allein deshalb, weil es für die Geheimhaltungspolitik der Bundesregierung triftige Gründe geben wird. Für Außenstehende sind verläßliche Informationen über die Sondereinheit Kommando Spezielkräfte faktisch nicht verfügbar. So läßt sich auch nicht nachprüfen, ob die Bundeswehr möglicherweise auch an einem früheren Massaker an afghanischen Zivilisten beteiligt gewesen sein könnte. Am 21. August 2008 waren bei der Bombardierung des westafghanischen Dorfes Asisabad nach Angaben der Vereinten Nationen 90 Zivilisten, unter ihnen 60 Kinder und 15 Frauen, getötet worden [7].

Die Geheimhaltungspolitik der Bundesregierung zur Kriegführung der Bundeswehr in Afghanistan im allgemeinen und der KSK im besonderen ist unterdessen nicht schwer zu verstehen, nachdem die öffentlichen Vorwürfe eines früheren Guantanamo-Gefangenen, des jungen Bremers mit türkischer Staatsangehörigkeit Murat Kurnaz, für ein immenses Aufsehen gesorgt hatten. Seine gegen die deutsche KSK erhobenen Foltervorwürfe ließen sich nicht so einfach aus der Welt schaffen, und so liegt auf der Hand, daß die Bundesregierung ihre Geheimhaltungspolitik in Hinsicht auf eine faktisch im Geheimen operierende Armee in einem aktiven Kriegseinsatz nicht aufgeben, sondern nur umso intensiver betreiben wird. Dies würde auch erklären, warum der bundesdeutschen Öffentlichkeit jegliche Informationen über einen von deutschen Soldaten festgenommenen Kriegsgefangenen, von dem angenommen werden muß, daß er inzwischen schwersten Folterungen ausgesetzt ist, auch weiterhin vorenthalten werden.

Anmerkungen

[1] Gleichschritt am Hindukusch gefordert. Doch selbst die Caritas mag sich nicht der Bundeswehr unterordnen, von Helmut Lorscheid, telepolis, 20.07.2010

[2] Totenzahlen aus Kabul, von Rüdiger Göbel, junge Welt, 17.08.2010, S. 1

[3] Immer mehr Kriegstote, von Rüdiger Göbel, junge Welt, 11.08.2010, S. 1

[4] Guttenbergs Gefangener gefoltert, von Rüdiger Göbel, junge Welt, 24.09.2010, S. 1

[5] Die Ambivalenz des Rechts. Der Völkerrechtler Andreas Fischer- Lescano über den deutschen Krieg in Afghanistan, Interview von Eva Völpel und Ingo Stützle, ak - analyse & kritik - Ausgabe 553, 17.09.2010; im Schattenblick siehe INFOPOOL -> MEDIEN -> ALTERNATIVPRESSE unter ANALYSE & KRITIK/402

[6] "Die Stimmung in Kundus ist umgeschlagen". Ein Gespräch mit Paul Schäfer, dem Obmann der Linkspartei im Verteidigungsausschuß des Bundestages, von Peter Wolter, junge Welt, 14.12.2009, S. 2

[7] Zivilisten abgeknallt, von Rüdiger Göbel, 30.08.2008, junge Welt, S. 1

30. September 2010