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DILJA/1314: Ecuador - Wer sind die Drahtzieher des abgewehrten Putschversuchs? (SB)


Ecuadors Präsident Correa überlebte den Putschversuch denkbar knapp

Nach abgewehrtem Staatsstreich ist die Rechte geschwächter denn je


Nach und nach werden immer mehr Einzelheiten über den am Donnerstag vergangener Woche in Ecuador durchgeführten Staatsstreichversuch bekannt. Präsident Rafael Correa, in dessen Amtszeit das Land eine politische Kehrtwende vollzog und sich dem allgemeinen Entwicklungstrend vieler lateinamerikanischer Staaten anschloß und der von Kuba und Venezuela ins Leben gerufenen "Bolivarischen Allianz für die Völker unseres Amerikas" (ALBA) beitrat, hat nur mit großem Glück diesen von ihm selbst später als den "traurigsten" seiner bisherigen Amtszeit bezeichneten Tag überleben können. Am Morgen des 30. September, als aufgebrachte Polizisten, augenscheinlich in Reaktion auf das vom Parlament am Tag zuvor verabschiedete "Gesetz zur Neuregelung des öffentlichen Dienstes" ("Ley Orgánica de Servicio Público"), kurzerhand die Kaserne des Regiments Quito 1 in der Hauptstadt besetzten, hatte Präsident Correa, zu diesem Zeitpunkt in völliger Unkenntnis des anlaufenden Staatsstreiches, zu vermitteln versucht und sich eigens zur Klärung der Lage zu der Kaserne begeben.

Dort jedoch wurde er von wütenden Polizisten empfangen, die offenkundig nicht bereit waren, mit ihm zu diskutieren und ihm ihre Vorwürfe verbal vorzutragen. Er wurde umgehend mit Steinwürfen und Tränengasgranaten angegriffen, woraufhin die ihn begleitenden Leibwächter den Präsidenten in Sicherheit bringen mußten. Schnell zeichnete sich jedoch ab, daß unter den Meuterern keineswegs nur Polizisten waren, die sich durch das neue Gesetz um ihre finanziellen Sondervergünstigungen gebracht sahen, sondern daß sich unter die Menge, so die Information des Parlamentsabgeordneten Gabriel Rivero von der regierenden "Alianza País" [1], Regierungsgegner aus dem Lager des früheren Präsidenten Lucio Gutiérrez gemischt hatten, der binnen kurzem nicht nur von Rivero für den Aufstand verantwortlich gemacht wurde.

Nach Angaben des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders EcuadorTV sind während des Putsches über 30 Personen unter Leitung von Pablo Guerreo, einem Politiker der Gutiérrez-Partei "Sociedad Patriótica" in das Gebäude des Senders eingedrungen, auch das Kongreßgebäude soll im Laufe des Tages von Putschisten besetzt worden sein. Doch der Brennpunkt des eigentlichen Putschgeschehens war besagte Polizeikaserne in der Hauptstadt Quito bzw. das nahegelegene Polizeikrankenhaus, in dem Präsident Correa gegen seinen Willen festgehalten wurde und in dessen unmittelbarer Umgebung es zu regelrechten Feuergefechten zwischen Putschisten und regierungsloyalen Sicherheitskräften kam. Am Samstag gab das Gesundheitsministerium des Landes die Zahl der bei dem Putschversuch ums Leben gekommenen Menschen mit zehn an, die der zum Teil schwerverletzten mit 274. Das ist die traurige Bilanz eines gewaltsamen Umsturzversuchs, dessen Protagonisten und Drahtzieher vor der Ermordung des Präsidenten keineswegs zurückschreckten.

Angesichts der Todesopfer wurde für das ganze Land bis zum heutigen Montag Staatstrauer angesagt. Zwei Soldaten, zwei Polizisten sowie ein Student waren bei der Befreiung Correas aus dem Krankenhaus ums Leben gekommen, fünf weitere Zivilisten wurden in der Hochburg der Rechtsopposition, der 280 Kilometer von Quito entfernten Stadt Guyaquil, von Aufständischen getötet. Innenminister Gustavo Jalkh, der während der Entführung bzw. Festsetzung des Präsidenten nicht von dessen Seite gewichen war, verurteilte die "absurde Gewalt dieser Handvoll Verantwortungsloser". Einer der beiden bei der Befreiung des Präsidenten getöteten Polizisten hatte direkt neben Correa gestanden, als dieser, offensichtlich von Scharfschützen, erschossen wurde. "Die Kugel war für mich", sollte später der sichtlich geschockte und doch kämpferisch auftretende Präsident erklären. Auch in seinem wöchentlichen Rechenschaftsbericht, am Samstag in der Sendung "Cadena Nacional" ausgestrahlt, ging Correa auf die jüngsten Ereignisse, die das ganze Land an den Rand einer Staatskrise gebracht hatten, ein.

Bei dieser Gelegenheit bedankte er sich nicht nur bei der Bevölkerung, die zu Tausenden an den Ort des gewaltsamen Geschehens gedrängt war, um "ihren" Präsidenten und damit die Demokratie in Ecuador gegen die Putschisten zu verteidigen und dabei von den aufständischen Polizeieinheiten unter Feuer genommen worden war. Correa bezeichnete die loyalen Sondereinheiten der Polizei, die "Grupos Operativos Especiales" (GOE) sowie die "Grupo de Intervention y Rescate" (GIR) als seine Retter, hatten diese, unterstützt von loyalen Kräften im Militär, ihn im Polizeikrankenhaus aus der Gewalt der Meuterer befreit. Keine halbe Stunde, nachdem sein erster Vermittlungsversuch fehlgeschlagen und er in Sicherheit gebracht worden war, hatte Präsident Correa, wegen einer vorherigen Knieoperation auf Krücken gestützt, abermals versucht, mit den meuternden Polizeieinheiten ins Gespräch zu kommen [3].

Doch ein solches kam wieder nicht zustande. Correa wurde umgehend angegriffen und erntete Schläge und Tritte gegen sein verletztes Bein. Als er, ausgestattet mit einer Atemschutzmaske, die Besinnung verlor, wurde er in das nahegelegene Polizeikrankenhaus verbracht, wo er im 3. Stockwerk von 50 Angehörigen der GOE-Sondereinheit gegen rund 200 aufgebrachte Polizisten, die ihn in ihre Gewalt bekommen wollten, beschützt wurde. Später gezeigte Aufnahmen zeigen, daß die Meuterer Scharfschützen auf den Dächern der umliegenden Häuser postiert hatten, die den Troß, der den Präsidenten in seiner Mitte inmitten der vor dem Krankenhaus tobenden Feuergefechte in Sicherheit zu bringen suchten, gezielt unter Feuer nahmen. Während sich Correa und etliche seiner Minister, die ebenfalls entführt worden waren, noch im Krankenhaus befanden, versuchten sechs- bis zehntausend regierungsloyale Demonstranten vor dem Krankenhaus, gegen die putschenden und bewaffneten Polizeieinheiten vorzugehen und diese mit Steinwürfen zurückzudrängen. Daran beteiligten sich nicht nur jüngere Erwachsene, sondern Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und sogar Kinder und Rentner.

Nachdem die Menschenmenge ungeachtet der beißenden Tränengasschwaden vor dem Krankenhaus ausgeharrt hatte, unternahm das regierungsloyale Militär in Kooperation mit den erwähnten Polizeisondereinheiten ab 20.30 einen Versuch, den Präsidenten sowie die festgesetzten Minister zu befreien. Diese Aktion wurde live auf allen Fernsehkanälen übertragen, was der gesamten Situation im Lande etwas Gespenstisches verlieh, aber auch sicherstellte, daß die Menschen unmittelbar über den Verlauf der Geschehnisse informiert waren. So konnte am Bildschirm beobachtet werden, wie die Angehörigen der Polizeisondereinheiten Correa inmitten heftiger Angriffe befreiten. Inmitten des insgesamt 35minütigen Feuergefechts hatte sich plötzlich die Tür des Krankenhauses geöffnet. Heraus kamen Correas Leibwächter, die den Präsidenten auf einem Rollstuhl sitzend als menschliche Schutzschilde umgaben und in höchstem Tempo zu einem Geländewagen brachten und mit ihm davonrasten.

In dieser Situation zeigte sich, daß die Regierungsgegner eine Ermordung des Präsidenten fest im Kalkül hatten. "Tötet den Präsidenten" soll in diesem Moment im Polizeifunk durchgegeben worden sein [2]. Die staatliche Nachrichtenagentur ANDES zeigte später Bilder des Wagens, eines silbernen Jeeps, dessen Frontscheibe auf Kopfhöhe von Fahrer und Beifahrer sowie am Heck Einschußlöcher aufwiesen, die deutlich belegen, daß hier Scharfschützen versucht haben, die Insassen gezielt zu töten. Während dieser Befreiungsaktion starb ein 24jähriger Polizist, ein Angehöriger der loyalen GOE, durch eine Kugel aus der Waffe eines aufständischen Berufskollegen, einer Sondermunition, die die schußsichere Weste des GOE-Polizisten durchdrang und diesen auf der Stelle tötete. Kaum daß Präsident Correa den Präsidentenpalast erreicht hatte, wandte er sich, noch während die Gefechte in der Umgebung des Polizeikrankenhauses andauerten, die parallel weiter auf allen Kanälen gesendet wurden, in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung.

Der Präsident verurteilte den Putschversuch und kündigte eine rückhaltlose Aufklärung an. Untermalt von Fernsehbildern, die einen ehemaligen Anwalt des früheren Präsidenten Lucio Gutiérrez während des Aufstandes in der Nähe des Krankenhauses telefonierend zeigten, machte Correa die um Gutiérrez gruppierte Rechte für den Staatsstreichversuch verantwortlich und erklärte, daß seiner Meinung nach diese Kräfte die Drahtzieher dieser von Teilen des Polizei- wie auch des Militärapparats durchgeführten Konspiration seien. Gutiérrez, der zum Zeitpunkt des Geschehens, als Wahlbeobachter in Brasilien mit einem denkbar günstigen Alibi versehen, außerhalb des Landes weilte, war gleichwohl politisch dumm genug, um sich, wenn schon nicht als direkter Drahtzieher, so doch als politischer Bündnisgenosse der Putschisten zu erkennen zu geben. Gutiérrez, der als US-naher Politiker gilt, hatte während des Putsches die Auflösung des Parlamentes und Neuwahlen und keineswegs, wie es sich für einen Demokraten alternativlos geziemt hätte, die sofortige Rückkehr des Präsidenten in sein Amt gefordert.

Mit seiner Behauptung, Parlamentsauflösung und Neuwahlen seien "die einzige Lösung aus der Krise", hat sich der frühere Präsident Ecuadors, der dieses Amt zwischen 2003 und 2005, bis eine breite Oppositionsfront ihn aus dem Amt gejagt hat, innehatte, als Parteigänger der Putschisten offenbart. Die Annahme, daß es noch weitere Drahtzieher gibt, wie sie beispielsweise von den Regierungen der ALBA-Staaten Venezuela und Kuba in Washington bzw. in der für ihre umtriebigen Tätigkeiten in Lateinamerika berüchtigten CIA vermutet werden, läßt sich derzeit weder definitiv bestätigen noch erhärten. Anhaltspunkte für diese naheliegende Vermutung bestehen jedoch schon seit längerem, ist doch bereits seit Jahren bekannt und durch einen Bericht des ecuadorianischen Verteidigungsministeriums von 2008 bestätigt, daß die Polizei Ecuadors schon vor Jahren durch die CIA infiltriert wurde [5].


Anmerkungen

[1] Putschversuch in Ecuador. Eskalation bei Protesten von Polizei und Armeeeinheiten. Armeechef und General Luis González verteidigt Regierung. Von Harald Neuber, amerika21.de, 30.09.2010,
http://amerika21.de/nachrichten/2010/09/14811/putschversuch-ecuador

[2] Ecuador zieht Bilanz. Präsident Correa überlebte Putschversuch offenbar nur knapp. Suche nach Verantwortlichen. Von Benjamin Beutler, junge Welt, 04.10.2010, S. 6

[3] Der Putsch in Ecuador (1). Staatschef Correa zieht Bilanz des Versuchten Umsturzes. Ende September 2010: Ex-Präsident Gutiérrez im Verdacht. Von Navid Thürauf, Quito, amerika21.de, 04.10.2010,
http://amerika21.de/analyse/14981/der-putsch-ecuador-1

[4] Protest gegen Ecuador-Putsch in Deutschland und Schweiz, amerika21.de, 01.10.2010

[5] Putschversuch: Bericht über CIA in Ecuador. Informanten, Ausbildung, Ausrüstung und Operationen: Untersuchung belegte schon 2008 Kontakte des US-Geheimdienstes mit der Polizei, Von Jean Guy Allard, Übersetzung: Eva Haule, Caracas, Correo del Orinoco/amerika21.de, 01.10.2010, amerika21.de,
http://amerika21.de/nachrichten/2010/10/14854/putsch-cia-ecuador

4. Oktober 2010