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DILJA/1342: Kriegsschauplatz Libyen - Multipolarität versus westliche Weltherrschaft (SB)


"Flugverbotszone" - das Einflugstor des Westens in einen gewollten Krieg

Die diplomatische Offensive lateinamerikanischer Staaten und der Arabischen Liga zur Verhinderung der Libyen drohenden Invasion findet kein Gehör


Das Wort "Flugverbotszone" stellt einen Euphemismus ersten Grades dar, wie sich am gegenwärtigen Kriegsschauplatz Libyen unschwer nachzeichnen läßt. Flugverbot klingt nach defensiven und pazifistischen Maßnahmen und Zielvorgaben und wird in der aktuellen Krise von Repräsentanten der westlichen Staatenwelt gern in einen inhaltlichen Gegensatz zu militärischen Maßnahmen gestellt. So stellte der französische Außenminister Alain Juppé bereits am 24. Februar klar, daß es kein militärisches Eingreifen des Westens in Libyen geben werde und daß sein Land eine Militärintervention ablehne. Ein Hintertürchen, durch das die NATO angesichts der Tatsache, daß der herbeigewünschte und von internationalen Medien auch herbeigeschriebene schnelle Sturz des libyschen Revolutionsführers Muammar al-Ghaddafi nicht eingetreten ist, womöglich in gar nicht so ferner Zeit zu marschieren gedenkt, deutete Juppé schon vor zwei Wochen an, als er erklärte, daß "eine Stärkung von möglichen Sanktionen jeder Art und insbesondere diejenige einer Flugverbotszone" es verdiente, geprüft zu werden.

Tatsächlich wäre die Verhängung einer Flugverbotszone über dem Territorium Libyens nicht nur eine Kriegserklärung des Westens an den nordafrikanischen Staaten, sondern käme einer unmittelbaren Kriegführung gleich, weil faktisch bereits die Durchsetzung einer solchen Sanktion massivste militärische Interventionen erfordert. Am 23. Februar hatte der US-amerikanische Kriegsminister Robert Gates noch verlautbart, daß zur Durchsetzung eines Flugverbots über dem libyschen Luftraum Italien und Frankreich am besten geeignet wären, wodurch er durchblicken ließ, daß die US-Luftwaffe diese Aufgabe gern anderen NATO-Partnern überlassen möchte. Am gestrigen Mittwoch allerdings sprach er im Unterschied zu seinen Amtskollegen Klartext, indem er zu bedenken gab, daß die Einrichtung einer Flugverbotszone einem Angriff auf Libyen gleichkäme [1]. Ein solcher Schritt müsse gut überlegt werden, so Gates, sei dies doch eine "außergewöhnlich komplizierte Operation".

Britannien hat die Errichtung einer solchen Zone inzwischen vorbereitet, in den USA selbst war den mahnenden Worten des Kriegsministers ein einstimmiger Senatsbeschluß vorausgegangen, in dem der UN-Sicherheitsrat zur Errichtung einer Flugverbotszone über Libyen aufgefordert wurde. Innerhalb der NATO-Staaten scheint die Bereitschaft, auf diesem - wenn auch leicht durchschaubaren - Umweg in den (Bürger-) Krieg in Libyen zu intervenieren und mit der überlegenen Feuerkraft des Bündnisses den beabsichtigten Sturz Ghaddafis herbeizuführen, mit jeder Stunde und mit jedem Tag, die der Staatschef des zum "Regime change" vorgesehenen nordafrikanischen Staates sich halten kann und in denen die regierungsloyalen Kräfte Libyens bestrebt sind, die Kontrolle über die von der sogenannten Opposition "befreiten" Gebiete zurückzuerlangen, anzuwachsen.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärte am gestrigen Mittwoch nicht nur, daß Ghaddafi nicht "Teil der Lösung, sondern Teil des Problems" sei und daß es an der Zeit für ihn sei, zu gehen und das Land der libyschen Bevölkerung zurückzugeben. Bei dieser eindeutigen Stellungnahme gegen einen Staatsführer, mit dem umfangreiche Geschäfte zu tätigen den EU-Staaten vor gar nicht langer Zeit noch gefiel, beließ er Barroso jedoch nicht. Die Einrichtung einer Flugverbotszone werde zwischen der EU-Außenamtschefin Catherine Ashton und den EU-Mitgliedsstaaten derzeit verhandelt, ließ der Kommissionspräsident wissen und begründete dies folgendermaßen: "Wir müssen sicherstellen, dass das Regime nicht länger gegen seine eigene Bevölkerung vorgeht." [1]

Allein ist dies eine Schutz- bzw. Rechtfertigungsbehauptung, entbehrt sie doch jeder, auch der militärischen Logik. Würden die Vereinten Nationen durch den Weltsicherheitsrat, das bislang fehlende Einverständnis der Vetomächte Rußland und China einmal vorausgesetzt, tatsächlich die Einrichtung einer solchen Zone beschließen, müßte die Einhaltung dieses Verbots militärisch durchgesetzt werden, wofür faktisch nur die NATO, möglicherweise mit Unterstützung der ägyptischen Armee, in Frage käme. Um Verstöße gegen dieses Verdikt, das aus Sicht Libyens einem Kriegsbeitritt bzw. einer Kriegserklärung der westlichen Staaten gleichkommen muß, weil dies einseitig zugunsten der von ihnen ohnehin geförderten "Opposition" interveniert, zu unterbinden, müßten libysche Flugzeuge abgeschossen bzw. libysche Flughäfen bombardiert werden, was nichts anderes als einen ausgewachsenen Luftkrieg bedeutet würde, da die libysche Armee über Verteidigungsmöglichkeiten gegen solche Angriffe verfügt und nicht den geringsten Grund hätte, diese nicht auch einzusetzen.

Die libysche Bevölkerung, derentwillen, so die Behauptungen der westlichen Staaten, eine solche Sanktion überhaupt nur erlassen werden würde, wäre in einem solchen Luftkrieg die Hauptleidtragende. Es wäre mit Todesopfern und Kriegsschäden zu rechnen, die das Maß der gegenwärtigen Kriegs- und Kampfhandlungen aller Voraussicht nach noch weit übersteigen würden. Allein aus diesen Gründen kann eine solche Sanktion nicht im Interesse der Menschen sein, die in Libyen leben und sich aufgrund der Bürgerkriegssituation gezwungen sehen könnten, sich für eine der beiden Seiten zu entscheiden. Nicht von ungefähr ist es bereits jetzt zu einer Flüchtlingskatastrophe an den libyschen Grenzen zu den Nachbarländern sowie in diesen Ländern gekommen durch die von Melissa Fleming, der Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, gegenüber dpa auf über 180.000 geschätzte Zahl aus Libyen geflohener Menschen.

Unterdessen hat die Arabische Liga den Vorschlag des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, anstelle von Waffen und Krieg eine internationale Vermittlungsdelegation nach Libyen zu schicken, bestehend aus Repräsentanten lateinamerikanischer, arabischer und europäischer Staaten, zur Diskussion angenommen. Wie Amr Mussa, der Generalsekretär der Arabischen Liga erklärte, sei über diesen Friedensplan noch keine Einigung erzielt worden. Würde dies in Bälde geschehen, stünde es um die vorgebliche Mission der NATO-Staaten, der EU und der USA, mit Waffengewalt Frieden zu erzwingen, denkbar schlecht, was zur Folge hätte, daß deren imperial-hegemoniale Absichten recht ungeschminkt zu Tage treten würden. Die diplomatische Offensive aus Caracas, der nicht nur der Generalsekretär der Arabischen Liga, sondern auch Ghaddafi selbst bereits zugestimmt haben, während die sogenannte Opposition sich strikt weigert, mit Ghaddafi - und sei es mit Hilfe von Vermittlungsbemühungen Dritter - zu verhandeln, könnte auf seiten der NATO-Staaten zu einer verstärkten Eile geführt haben, Fakten zu schaffen. So wußte die Süddeutsche Zeitung zu berichten, daß die NATO "unter unter Hochdruck und streng geheim an Plänen für eine Flugverbotszone über Libyen" arbeitet [2].

Und das bedeutet - so drastisch muß dies ausgedrückt werden - Krieg. Mittlerweile wurde die deutsche Botschaft in Tripolis evakuiert. Innerhalb der Arabischen Liga wurde in einer Außenministersitzung schon vor Bekanntwerden des Friedensplanes des venezolanischen Präsidenten die Möglichkeit einer ausländischen Intervention nach Libyen kategorisch abgelehnt. Gleichwohl ziehen die westlichen Staaten ihre Streitkräfte immer näher um Libyen zusammen, allen voran die US-Streitkräfte, die ihre Kriegsmarine und die Luftwaffe dementsprechend positionieren, ohne dies wie die übrigen NATO-Staaten mit der vorgeblichen Absicht, eigene Landsleute evakuieren zu wollen, begründen können. Die historischen Beispiele vergleichbarer "Flugverbotszonen" sind im übrigen nicht geeignet, die Befürchtungen, hinter solchen als Schutzmaßnahmen deklarierten Militäroperationen würden sich schlicht und ergreifend kriegerische Absichten verbergen, zu entkräften.

Sowohl die 1991 über dem Nordirak als auch die 1993 über Bosnien-Herzegowina verhängten "Flugverbotszonen" waren nichts anderes als Wege in den Krieg bzw. Begleiterscheinungen kriegerischer Maßnahmen, die von den NATO-Staaten mit Hilfe entsprechender UN-Resolutionen durchgeführt wurden. In keinem dieser beiden Fälle wurde das Schutzversprechen eingelöst. In militärischer Hinsicht kann die behauptete Absicht, die Bevölkerung des betreffenden Landes vor Luftangriffen der eigenen Regierung beschützen zu wollen, selbstverständlich nicht getrennt werden von der Absicht, eben diese auszuschalten oder zumindest entscheidend zu schwächen, um gänzlich anderes Ziele, nämlich die eigentlichen Kriegsziele, durchsetzen zu können. Bezeichnenderweise hat die sogenannte "Opposition" in Libyen inzwischen "Luftangriffe ausländischer Armeen" geradezu eingefordert, wie einer heutigen Tickermeldung zu entnehmen ist [3]:

Unterdessen macht die Organisation der Rebellen im Osten Fortschritte. Die libysche Exil-Opposition teilt mit, in der Stadt Bengasi sei eine neue Brigade namens "Brigade 17. Februar" gegründet worden. Die Übergangsregierung in Bengasi erklärte, der Transport weiterer ausländischer Söldner nach Libyen müsse unbedingt unterbunden werden. Dafür seien auch Luftangriffe ausländischer Armeen gerechtfertigt. "Dies wäre keine ausländische Militärintervention auf libyschem Boden", betont ein Sprecher des Gremiums.

Selbstverständlich wäre dies eine ausländische Militärintervention auf libyschem Boden. Offensichtlich ist der Rückhalt Ghaddafis, der in seiner jüngsten Fernsehansprache erklärt hat, daß das libysche Volk im Falle eines Angriffs ausländischer Kräfte bis zum Letzten kämpfen würde, nach wie vor so groß, daß die selbsternannten Befreiungskämpfer bestrebt sind, die Tatsachen zu verdrehen, weil sie befürchten müssen, jeglichen Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren, sobald ruchbar wird, daß sie im Bunde mit ausländischen Kräften stehen, die Libyen bombardieren.


[1] Nachrichten-Ticker: Aufstand in Libyen, 02.03.2011, 17:52 Uhr,
http://www.sueddeutsche.de/politik/nachrichten-ticker-aufstand-in-libyen-gaddafis-truppen-erobern-stadt-im-osten-zurueck-1.1066777

[2] Arabische Liga diskutiert Plan von Chávez, 3. März 2011,
http://www.news.ch/Arabische+Liga+diskutiert+Plan+von+Chavez/481147/detail.htm

[3] Libyen-Ticker, 3.3.2011,
http://www.welt.de/politik/ausland/article12685859/Gaddafis-Kampfflugzeuge-greifen-Oelhafen-Brega-an.html

3. März 2011