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DILJA/1359: Zivile Ziele zum Schutz ziviler Ziele bombardieren - NATO-Kriegslogik in Libyen (SB)


Luftangriffe und Milliardenbeträge für die Statthalter des Westens

NATO-Staaten weiten Krieg in Libyen mehr und mehr aus


Seit Ende März führt die NATO Krieg gegen Libyen. Ihr Ziel, den libyschen Revolutionsführer und Staatsmann ohne Staatsamt, Muammar al Ghaddafi, zu entmachten und das von ihm geleitete Regime, so es dies denn gäbe, zu stürzen, konnte bis auf den heutigen Tag nicht eingelöst werden. An mangelnder militärischer Unterstützung für die sogenannten libyschen "Rebellen", die zunächst von Frankreich und mittlerweile 30 weiteren Staaten, zuletzt auch von der britischen Regierung, als einzige legitime Vertretung Libyens anerkannt wurden, kann dieser Mißerfolg nicht gelegen haben. Bereits vor zwei Wochen bezifferte RIA Novosti die Zahl der Gefechtsstarts der am Libyenkrieg beteiligten Luftwaffen der NATO-Staaten mit 5673. Seitdem ließen die Bemühungen, durch massive Bombardierungen militärischer, aber auch ziviler Ziele in Libyen eine Entscheidung zugunsten der offensichtlich als Statthalter eigener Interessen vorgesehenen "Rebellen" herbeizuführen, keineswegs nach.

Im Gegenteil, sie wurden und werden weiter intensiviert. In der Nähe der Stadt Slitan wurde an diesem Montag ein Krankenhaus durch einen Luftangriff der NATO zerstört. Sieben Menschen, unter ihnen drei Ärzte, wurden dabei getötet. Einen Tag später kündigte die NATO durch einen Sprecher weitere Angriffe auf zivile Ziele an. Dies sei gerechtfertigt, weil sich die libyschen Truppen in Fabriken, Lagerhäusern und landwirtschaftlichen Betrieben verschanzten, weshalb nach Auffassung der NATO auch diese Gebäude zu "zulässigen und notwendigen militärischen Zielen für die NATO" geworden seien. Selbst wenn diese Begründung zuträfe und nicht, wie zu vermuten steht, eine Pauschalrechtfertigung für illegitime Luftangriffe darstellte, bliebe die Frage ungestellt, ob all dies noch im Interesse der Menschen, die die NATO zu schützen vorgibt, sein kann.

Zugespitzt formuliert müßte man sagen, daß die sieben am Montag im Krankenhaus von Slitan sowie die vielen weiteren Zivilisten zu ihrem eigenen Schutz getötet wurden. Bekanntlich mandatierten sich die kriegsentschlossenen NATO-Staaten unter Verwendung von Brief und Siegel der Vereinten Nationen, soll heißen mit der von ihnen erwirtschafteten UN-Resolution 1973, zu diesem Krieg unter der ausschließlichen Maßgabe, die libysche Bevölkerung vor (Luft-) Angriffen zu schützen. Die Resolution verlangte "eine sofortige Waffenruhe und ein vollständiges Ende der Gewalt und aller Angriffe und Mißbrauchshandlungen gegen Zivilpersonen" [1], woraus Uneingeweihte, die die tatsächliche Stoßrichtung solcher Regelwerke nicht erahnen, schlußfolgern könnten, daß die internationale Gemeinschaft und mit ihr auch die NATO aufgerufen sei, durch eine bedingungslose Verhandlungsoffensive eine Beendigung der Kämpfe und Kriegshandlungen, noch bevor sie überhaupt angefangen haben, herbeizuführen, um das Leben der libyschen Bevölkerung zu schützen.

Der weitere Wortlaut könnte ebenso mißverstanden werden als eine bedingungslose Absage an jegliche Einsätze welcher Luftwaffen auch immer, war doch dort davon die Rede, "ein Verbot aller Flüge im Luftraum Libyens zu verhängen, um zum Schutz der Zivilpersonen beizutragen" [1]. Etliche Zivilpersonen in Libyen wären noch am Leben, hätte dieses Verbot auch für die NATO-Staaten gegolten. Der eigentliche Sinn und Zweck dieser UN-Resolution bestand und besteht noch immer darin, die Luftangriffe der NATO gegen die von ihnen delegitimierte libysche Führung zu rechtfertigen, indem behauptet wird, daß es sich bei ihnen um notwendige Maßnahmen handelt, um die von Angriffen bedrohten Zivilpersonen "unter Ausschluss ausländischer Besatzungstruppen" zu schützen.

Mit anderen Worten: Die NATO-Staaten sind auf "ihre" libyschen Fußtruppen, sprich die "Rebellen", angewiesen, um am Boden den Sturz des "Regimes" durchzusetzen. Da dies ungeachtet der zum Teil massiven Luftunterstützung durch die NATO bislang nicht zu dem von diesen Kräften beschlossenen Regierungswechsel in Tripolis geführt hat, greifen die NATO-Staaten tief in die Geldbörse, um dem sogenannten und von ihnen anerkannten "nationalen libyschen Übergangsrat" auf diesem Wege unter die Arme zu greifen. Entgegen anderslautender Behauptungen US-amerikanischer Regierungsvertreter scheinen die Übergangsratsmitglieder keineswegs daran zu denken, die ihnen zugespielten Gelder einzusetzen, um die Gesundheits- und Stromversorgung der Bevölkerung zu verbessern [2]. So sollen dem "Übergangsrat" eingefrorene Vermögenswerte der durch die westlichen Staaten für abgesetzt erklärten libyschen Regierung aus den USA in Höhe von 30 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt werden. Bereits am 7. Juli hatte das EU-Parlament die Union aufgefordert, einen Teil jener Gelder, die auf gesperrten Konten Ghaddafis und anderer libyscher Regierungsmitglieder lägen, dem selbsternannten und demokratisch keineswegs legitimierten Übergangsrat zukommen zu lassen, damit dieser damit Lebensmittel und Medikamente für die Bevölkerung in den Bürgerkriegsgebieten beschaffe.

Am 13. Juli bedankte sich der Chef des Übergangsrats, Dschibril, bei einem Treffen mit NATO-Generalsekretär Fogh Rasmussen, bei dem dieser die Bereitschaft des Bündnisses zu weiteren Militärschlägen gegen Ghaddafi-treue Militäreinheiten bekräftigte, für die bisherigen Hilfen der EU in Höhe von rund 80 Millionen Euro. Die Kritik der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, derzufolge die libyschen "Rebellen" bei ihrem Vormarsch nach Tripolis Menschenrechtsverletzungen begangen hätten, was HRW zufolge zu Konsequenzen führen müsse, blieb dabei unbeachtet. Unterdessen hat sich auch die deutsche Bundesregierung entschlossen, der von den NATO-Staaten auserkorenen neuen Führung Libyens zur Macht zu verhelfen. Die militanten Oppositionellen sollen aus Deutschland einen Kredit in Höhe von über 100 Millionen Euro erhalten. Um sich gegen mögliche Kritik zu wappnen, wurde aus dem Auswärtigen Amt verlautbart, daß diese Gelder nicht für Waffenkäufe oder Sold vorgesehen seien, sondern für zivile und humanitäre Zwecke wie Nahrungsmittel und medizinische Versorgung eingesetzt werden sollen.

Meldungen und Berichte, die die Zweifel an dem humanitären Engagement des von der westlichen Staaten- und Interessenwelt anerkannten Übergangsrates nähren, werden bei den massiven militärischen wie finanziellen Unterstützungsaktionen weitgehend ausgeblendet. So ließ sich die deutsche Regierung von ihrem Vorhaben auch nicht durch einen ausführlichen und mit Fotos unterlegten Artikel abbringen, der am 10. Juli in der New York Times, also einer der Parteinahme für Ghaddafi gewiß unverdächtigen US-Zeitung, erschienen war. In ihm war geschildert worden, wie die sogenannten Rebellen an der südwestlichen Front plündernd und brandschatzend durch eine soeben "befreite" Stadt - Kuwalisch - zogen. Systematisch wurde die in der Stadt gemachte Beute auf Lastwagen verfrachtet und weggeschafft. Die Bewohner von Kuwalisch kamen dem Bericht zufolge nicht unmittelbar zu Schaden, sie waren vor der Ankunft dieser "Befreier" wohlweislich aus der Stadt geflohen [3].

Die Gründe, warum Ghaddafi nach westlicher Lesart noch immer an der Macht ist, wären womöglich darin zu verorten, daß die vom Westen protegierten Aufständischen aus Sicht der Bevölkerung nicht den geringsten Anreiz bieten, mit dem bisherigen Regime zu brechen. Die Luftangriffe, durch die mehr und mehr Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden, die zu beschützen der Westen vorgibt, werden nach so vielen Wochen und Monaten das Ihre tun, um den Rückhalt der alten Regierung zu festigen und womöglich sogar noch zu stärken auch in jenen Bevölkerungsteilen, die Ghaddafi durchaus kritisch gegenüberstanden. Muammar Al-Ghaddafi selbst hielt am 8. Juli eine Rede, die weitere Anhaltspunkte dafür liefern könnte, warum der beabsichtigte Regimesturz ungeachtet der massiven Bombardierungen libyscher Städte und finanzieller Zuwendungen an die Vasallentruppen noch immer nicht erreicht werden konnte. Darin hieß es unter anderem in Hinsicht auf die NATO-Staaten [4]:

Sie denken, das politische System sei ihrem ähnlich, dem rückwärtsgewandten kapitalistischen, diktatorischen Parteiensystem. ... Aber in Libyen gibt es keine Regierung ... keine Autokratie ... keine Wahlen ... Dieses Volk übt die Macht aus, alle erwachsenen Männer und Frauen üben die Macht aus, sie haben das Sagen in den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten. Die Macht ist in den Händen des Volkes. Wie kann das System stürzen, ihr Idioten? Das System in Libyen ist das System der Volksmacht, nicht das System Ghaddafis. Die Volkskongresse wurden von den libyschen Menschen geschaffen, die Volkskomitees einsetzen, um die Entscheidungen der Basiskomitees in die Tat umzusetzen. Das libysche Volk hat keine Probleme? Das Problem sind die imperialistischen Kräfte, die versuchen, Öl an sich zu reißen, um es ganz offen zu sagen.

Aus westlicher Sicht ist dies natürlich Propaganda pur, doch wie wäre es dann, im Umkehrschluß gefragt, um den behaupteten Schutz libyscher Zivilisten bestellt, die, von einigen, jedoch keineswegs demokratisch legitimierten Ausnahmen abgesehen, nicht danach gefragt wurden, ob sie mit den Luftangriffen der NATO auf ihre Städte einverstanden sind? Wenn die Einschätzungen Ghaddafis nur zu einem Viertel zuträfen, würde dies bereits bedeuten, was eigentlich niemanden verwundern kann, nämlich daß die Bevölkerung Libyens nicht "totbefreit" werden möchte.

Anmerkungen

[1] Krieg gegen Libyen - Ursachen, Motive und Folgen. Von Lühr Henken, IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V., IMI-Analyse 2011/025 vom 28.06.11,
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[2] 30 Milliarden Dollar für die Rebellen. Die USA erkennen den nationalen libyschen Übergangsrat als legitime Regierung an. Von Thomas Pany, Telepolis, 16.07.2011,
http://www.heise.de/tp/artikel/35/35132/1.html

[3] Bomben und plündern. Von Rainer Rupp, junge Welt, 18.07.2011, S. 1

[4] Anderes System. Demokratie der Maschinengewehre oder Massendemokratie: Eine Rede des libyschen Staatschefs Ghaddafi vom 8. Juli in Auszügen, junge Welt, 18.07.2011, S. 3

27. Juli 2011