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DILJA/1390: Eiskalter Staatsstreich in Paraguay - Angriff auf die Linksentwicklung Lateinamerikas (SB)


Wird das Volk Paraguays sich "seinen" Präsidenten Fernando Lugo zurückholen?



Während die Augen und Ohren der internationalen wie auch lateinamerikanischen Presse auf den Umwelt- und Nachhaltigkeitsgipfel in Rio de Janeiro gerichtet waren, der vom 20. bis 22. Juni zudem viele Staats- und Regierungschefs der Region nach Brasilien gelockt hatte, vollzog sich in Asunción, der Hauptstadt Paraguays, ein frontaler Angriff reaktionärer Kräfte auf die Linksentwicklung der amerikanischen Staaten, die den einheimischen Eliten wie auch ihren Verbündeten in Europa und den USA schon seit langem ein Dorn im Auge ist. Die Staaten der Region haben sich nicht nur mehrheitlich dem Zugriff der USA entzogen, die in einer an Realitätsverkennung grenzenden Selbstüberschätzung dazu neigen, an ihrem Kolonialverhältnis gegenüber dem "Hinterhof Lateinamerika" festzuhalten, sondern einen eigenständigen Zusammenhalt der Staaten und Völker geschaffen, der die Emanzipation von den westlichen Hegemonialstaaten längst konkret vollzogen hat.

Die von den USA einst initiierte "Freihandelszone" ALCA ist längst bedeutungslos bzw. Geschichte, womit auch der Versuch Washingtons, die als "Wirtschaftsbeziehungen" nur schlecht getarnten eigenen Ausbeutungsinteressen gegenüber den Staaten Mittel- und Südamerikas festzuschreiben, weitestgehend als gescheitert angesehen werden muß. Die "Bolivarische Allianz für die Völker unseres Amerikas", kurz ALBA, erfreut sich hingegen einer stetig wachsenden Relevanz in den Augen nicht nur der Regierungen, sondern auch der Bevölkerungen der an diesem Bündnis beteiligten oder mit ihm lose assoziierten Staaten. Zu den Mitgliedsstaaten gehören Kuba, Bolivien, Ecuador, Venezuela und Nicaragua, aber auch die Karibikstaaten Antigua und Barbuda, Dominica sowie St. Vincent und die Grenadinen. Weitere Staaten nehmen eine Gast- oder Beobachterrolle ein und befinden sich, wie zum Beispiel Paraguay unter dem Ende vergangener Woche durch einen Parlamentsputsch gestürzten Präsidenten Fernando Lugo in einem Annäherungsprozeß.

Die Gegner der ALBA-Staaten und der durch dieses zunehmend an Einfluß gewinnende Bündnis repräsentierten Linksentwicklung amerikanischer Staaten verfolgen allem Anschein nach bei ihren Bestrebungen, diesen politischen Wandel zu torpedieren und wenn möglich zu stoppen, eine Strategie, die darauf abzielt, den "Feind" in Gestalt seiner schwächsten Mitglieder zu treffen. So ließe sich der Militärputsch gegen den damaligen und demokratisch legitimierten Präsidenten von Honduras, Manuel Zelaya, erklären, der gegen seinen Willen vom Militär außer Landes geschafft wurde zu einer Zeit, als er den Beitritt des Landes zu ALBA bereits vollzogen hatte und dabei war, die rechtlichen Voraussetzungen für die Einsetzung einer Verfassungsgebenden Versammlung unter direkter Beteiligung der Bevölkerung zu schaffen. Die Mitgliedschaft von Honduras im ALBA-Bündnis endete mit diesem kalten Staatsstreich.

Nun wurde in Paraguay am 22. Juni ein, wenn man so will, noch kälterer Staatsstreich vollzogen. Das Militär blieb in den Kasernen, trat offensichtlich nicht in Aktion, und auch im übrigen haben sich die Putschisten alle erdenkliche Mühe gegeben, um die Absetzung des gewählten und damit demokratisch legitimierten Präsidenten des Landes rechtlich in das denkbar günstigste Licht zu stellen, um deren Anerkennung durch die Staaten, die möglicherweise nicht ganz unbeteiligt sind bzw. ihre eigenen Interessen verfolgen, zu erleichtern. Von einem "demokratischen" Machtwechsel kann dennoch nicht die Rede sein. Das politische System Paraguays gleicht dem einer relativ starken Präsidialdemokratie, was bedeutet, daß der Präsident, der nicht, wie beispielsweise der deutsche Bundespräsident, vorwiegend repräsentative Aufgaben und Kompetenzen hat, sondern der Regierung vorsteht, direkt vom Volk gewählt wird.

Mit dem Wahlsieg des ehemaligen Befreiungstheologen Fernando Lugo im Jahre 2008 konnte eine über sechzigjährige (!) Alleinherrschaft der sogenannten Colorado-Partei, die die Interessen der Großgrundbesitzer des Landes vertritt und noch immer in Parlament, Polizei, Justiz, Militär und Medien über einen starken Einfluß verfügt, gebrochen werden. Im Vorfeld der 2013 bevorstehenden Präsidentschaftswahl sahen sich die Colorados nun wohl veranlaßt, "Fakten" zu schaffen, um eine Wiederwahl Lugos zu verhindern. Dies wäre ihm nahezu sicher gewesen, hat er doch seinerseits "Fakten" geschaffen, die das Vertrauen seiner Wähler und Wählerinnen noch vertieft haben dürften. Präsident Lugo hat für alle Bürger und Bürgerinnen des Landes eine kostenlose medizinische Versorgung und allen Kindern in der Schule ein Frühstück ermöglicht. Er hat Schritt für Schritt die Ausbildungsbedingungen verbessert und den Kampf gegen den Analphabetismus mit Erfolg aufgenommen. All dies muß ihn in den Augen der Colorados zu einem nicht hinnehmbaren Übel gemacht haben.

Seine Kontrahenten wählten - formal - den Weg eines Amtsenthebungsverfahrens, wie es die Verfassung Paraguays vorsieht, sollten gegen einen Präsidenten schwerwiegende Vorwürfe erhoben werden. Nur - in seinem Fall wurde dieses Verfahren de facto gar nicht durchgeführt, weil zwar eine Menge Anklagepunkte gegen ihn vorgebracht, ihm jedoch keineswegs die Gelegenheit gegeben wurde, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen oder Gegenbeweise vorzubringen. Binnen kürzester Zeit wurde er genötigt, seinen Amtssitz zu verlassen. In einer außerordentlichen Sitzung des Senats wurde am gleichen Tag Anklage gegen den Präsidenten erhoben, zugleich wurden ihm gerade einmal 19 Stunden für seine Verteidigung zugestanden. Das Ergebnis dieser Scheinverhandlungen stand von vornherein fest, und so fügte sich der auf diesem Wege gestürzte Präsident, um, wie er sagte, ein Blutvergießen zu verhindern, zunächst in das ihm von den Putschisten zugedachte Schicksal, nicht ohne die Bevölkerung und seine Anhänger zu friedlichem Widerstand aufzurufen.

Im Parlament waren diese politischen Winkelzüge möglich geworden, nachdem die einst mit Lugo verbündete "Radikal Authentische Liberale Partei" (PRLA) abtrünnig geworden war. Sie hatte sich mit Lugos Partei, der Frente Guasu, bei den letzten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen augenscheinlich nur zusammengetan, um auf diesem Wege an die Macht zu kommen und, dort einmal angelangt, die Reformbemühungen des neuen Präsidenten zu torpedieren. Ihr Chef, der bisherige Vizepräsident Federico Franco, wurde von den parlamentarischen Usurpatoren zum neuen Präsidenten gemacht. Anerkannt wurde dies von den lateinamerikanischen Staaten nicht, etliche zogen umgehend ihre Botschafter aus Asunción ab und versicherten dem gestürzten Lugo ihre Unterstützung.

Westliche Staaten hingegen, wenn auch bislang nur wenige, stellten sich offen zu diesem kalten Staatsstreich, und wie der Zufall es so wollte, machte ausgerechnet der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) dem Putschpräsidenten schon am Tag danach seine Aufwartung. Wer wollte da nicht einen möglicherweise noch tiefergehenden Zusammenhang vermuten, hatte sich doch auch nach dem Sturz von Zelaya in Honduras herausgestellt, daß deutsche FDP-Politiker bzw. die Friedrich-Naumann-Stiftung eine recht aktive Rolle schon im Vorfeld gespielt hatten?


27. Juni 2012