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AFRIKA/1832: Nigerias Regierung läßt Konflikt im Nigerdelta eskalieren (SB)


Das Nigerdelta brennt

Maschinengewehrfeuer auf Dorfbewohner


Die nigerianische Regierung ist zur Brutalisierung des Konflikts im Nigerdelta übergegangen und beschießt seit rund zwei Wochen vermehrt mutmaßliche Stellungen der Milizen. Auch die bedienen sich zunehmend brutalerer Methoden und haben ihre frühere Hemmung, Menschen zu töten, längst aufgegeben. Ausgangspunkt und permanenter Anlaß des Konflikts ist jedoch die Weigerung der Regierung, erstens die Bewohner des Nigerdeltas angemessen an den Einnahmen aus dem Erdölexport zu beteiligen sowie zweitens wirksamer Maßnahmen zum Schutz der Umwelt in dem fischreichen, aber ölverseuchten Sumpfgebiet der Deltaregion zu ergreifen. So hat sich im Laufe der Jahrzehnte eine Situation herausgebildet, bei der ausgerechnet die Einwohner des Nigerdeltas, in dem ein beträchtlicher Teil des nigerianischen Erdöls gefördert wird, fast nur Nachteile von dem Exportgeschäft hat.

Es wird nur allzu leicht vergessen: Dem Griff zur Waffe der Mitglieder von Organisationen wie MEND (Movement for the Emancipation of the Niger Delta - Bewegung zur Befreiung des Nigerdeltas) ging die mangelnde Gesprächsbereitschaft der Regierung voraus. Wer den Konflikt vom Zaun gebrochen hat, steht zweifelsfrei fest. Nun aber haben die Milizen im Rahmen von Kampfhandlungen vermutlich zwölf Offiziere und Soldaten entführt, was das nigerianische Militär, die Joint Task Force (JTF), vom 13. Mai an zum Anlaß nahm, mit schweren Waffen Angriffe gegen mutmaßliche MEND-Stützpunkte zu fliegen. Laut Lucy Freeman von Amnesty International Nigeria kamen dabei mindestens 100 Personen ums Leben. Am 15. Mai kündigte MEND in einer Presseerklärung den "äußersten Krieg" an.

Leidtragende sind vor allem die unbewaffneten Dorfbewohner, die ihre Häuser verloren haben und zu Tausenden vor den Regierungssoldaten fliehen mußten. Zeugen berichteten, daß ihr Boote beschossen wurden. Bislang stießen sämtliche Appelle von Hilfsorganisationen an die Regierung zur Einstellung des Feldzugs auf taube Ohren. Man werde nicht eher aufhören, als bis die entführten Männer befreit sind, ließ JTF verlauten.

Der Feldzug des Militärs gegen die Rebellen wurde vom Bundesstaat Niger-Delta auf Rivers State ausgeweitet. Der Vormarsch der Armee hat angeblich zur Befreiung von insgesamt 17 ausländischen Geiseln und Sicherstellung eines großen Kontingents an Waffen geführt. Yushau Shuaib, Pressesprecher der National Emergency Management Agency (NEMA), ließ am Sonntag in einer Presseerklärung verlauten, daß die Armee die kriminellen Banden, die für den Angriff auf die Mitglieder des Militärs verantwortlich zeichneten, auslöschen und dem regelmäßigen Nachstellen unschuldiger Menschen im Niger-Delta ein Ende bereiten werde.

Ähnliche Töne waren vor wenigen Tagen aus einer gänzlich anderen Weltregion zu hören, aus Sri Lanka, wo das Militär in einer breit angelegten Vernichtungsaktion, ohne die geringste Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, gegen die tamilischen Rebellen der Organisation LTTE vorgerückt ist und sie eingekesselt hat, um sie und alle, die der Umzingelung nicht rechtzeitig entkamen, leichter bombardieren zu können.

Dieser Zuspitzung des langanhaltenden Konflikts zwischen den Tamilen und der srilankischen Regierung ging wiederum ein Kesseltreiben der Israelis mit den Palästinensern im Gazastreifen voraus. Dabei wurden Granaten, Giftgas und Schrapnellgeschosse auf Wehrlose abgeworfen. Parallel zu diesem Krieg und dem in Sri Lanka haben die USA ihre mörderischen Luftangriffe auf pakistanische Dörfer ausgedehnt und hunderte Einwohner - angeblich alles "Taliban", als wenn das die Massaker rechtfertigte - getötet.

Es hat den Anschein, als orientiere sich der nigerianische Präsident Umaru Yar'Adua an diesen Vorbildern, wenn er sein Militär von der Leine und sie eine humanitäre Katastrophe anrichten läßt. Ganze Regionen des 20 Millionen Einwohner zählenden Nigerdeltas werden abgeriegelt und von außen nach innen durchkämmt. Nur auf ausdrücklicher Bitte des Gouverneurs des Bundesstaates Delta-State hat die JTF einige Wasserwege ein wenig durchlässiger gemacht, so daß lebenswichtige Versorgungsgüter zu den Eingeschlossenen gebracht werden konnten.

Die Eskalation des Konflikts wäre seitens der Regierung einfach zu verhindern gewesen. Daß inzwischen eine Generation von Milizen herangewachsen ist, die in Gefahr läuft, aufgrund bandenmäßiger Bereicherungsinteressen den Kontakt zu der Bevölkerung zu verlieren, für deren Belange sie sich angeblich einsetzen, hat die Regierung mitzuverantworten.

25. Mai 2009