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AFRIKA/1908: Nigeria kritisiert Nennung auf US-Flugsicherheitsliste (SB)


Vorwand Terrorismusbekämpfung und Flugsicherheit

USA erhöhen Druck auf nigerianische Regierung

Massive geopolitische Interessen der Erdölimportkonkurrenten USA, China und EU


Der afrikanische Kontinent, reich an Ressourcen und potentieller landwirtschaftlicher Fläche, hat die Begehrlichkeiten vorherrschender geopolitischer Interessen geweckt. China, die Supermacht in spe, schließt seit einigen Jahren zahlreiche bilaterale Abkommen mit afrikanischen Regierungen ab, um den wachsenden heimischen Energie- und Rohstoffbedarf zu stillen. Als Gegenleistung erhalten die Afrikaner von Peking Unterstützung vor allem im Finanzbereich und beim Ausbau der Infrastruktur. Die Europäische Union versucht ihren kolonialzeitlichen Einfluß durch den Abschluß von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) ins 21. Jahrhundert hinüberzuretten, kommt dabei aber weniger gut voran, als es sich Brüssel wünscht. Die USA wiederum setzen neben ihrer wirtschaftlichen Stärke auch aufs Militär. Die Einrichtung von AFRICOM im vergangenen Jahr als Kommandostelle des US-Verteidigungsministeriums für ganz Afrika mit Ausnahme Ägyptens, das CENTCOM zugeordnet bleibt, symbolisiert diese Herangehensweise treffend. Wobei AFRICOM mehr als ein Symbol ist.

Nun haben die USA vierzehn Staaten auf eine Liste gesetzt, für die besondere Sicherheitsmaßnahmen im Flugverkehr gelten, darunter Algerien, Libyen, Nigeria, Somalia und Sudan. Als Auslöser dient der mißglückte Selbstmordanschlag am 25. Dezember auf ein Flugzeug der Delta Airlines durch den 23jährigen Nigerianer Farouk Umar Abdulmutallab. Der behauptet, im Jemen von al-Qaida ausgebildet und auf diese Aufgabe vorbereitet worden zu sein. Der mutmaßliche Anschlagsversuch fiel in einen Monat, in dem die USA, Saudi-Arabien und die jemenitische Regierung Bombenangriffe auf nordjemenitische Milizen bzw. al-Qaida-Mitglieder durchführten und Dutzende Einwohner, darunter zahlreiche Frauen und Kinder, töteten.

Der geständige Attentäter hatte eine dreijährige Ausbildung als Maschinenbauer in London absolviert. Nun berichten in der britischen Hauptstadt wohnende Nigerianer, daß sie unter permanenter Beobachtung der Metropolitan Police stehen. Das gelte vor allem für Landsleute mit einem muslimischen Namen. Wie die Stimmung im Vereinigten Königreich ist, zeigt das Beispiel des muslimisch gekleideten Nigerianers Malam Sanni Abdul Rahman. Als er am Londoner Bahnhof Kings Cross einen Zug bestieg, in dem sich fast nur Weiße aufhielten, huschten diese hinaus, als er das Abteil betrat.

Es sei "unfair", Nigeria auf die Terrorliste zu setzen, erklärte die nigerianische Ministerin für Information und Kommunikation, Prof. Dora Akunyili, auf einer Pressekonferenz in der nigerianischen Hauptstadt Abuja. "Nigerianer haben keine Neigung zu Terrorismus. Abdulmutallabs Handlung war die eines Einzeltäters. Der typische Nigerianer will nicht sterben. Wir sind ein friedliebendes und glückliches Volk. Wir gelten sogar als das glücklichste Volk auf Erden." [1]

Die U.S. Transportation Security Administration (TSA) hatte am Sonntag verschärfte Sicherheitsmaßnahmen gegen Staaten, die "Terrorismus unterstützen" oder für die US-Nachrichtendienste aus anderen Gründen von "besonderem Interesse" sind, angeordnet. [2] Seitdem haftet Nigeria endgültig der Ruch eines "Terrorstaats" an.

Verständlicherweise ist man dort alles andere als begeistert darüber, in eine Kategorie mit einem Land wie Somalia zu fallen, das seit zwei Jahrzehnten keine Zentralregierung mehr besitzt, zerbrochen ist und nun als Frontstaat gegensätzlicher nationaler (Klanskämpfe) wie auch internationaler Interessen (Äthiopien vs. Eritrea, USA/EU vs. al-Qaida) dient. Nigeria, mit rund 150 Mio. Einwohnern bevölkerungsreichster Staat Afrikas, hat im vergangenen Jahrzehnt zwar mehrfach blutige, sehr opferreiche Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen, aber auch innerhalb der muslimischen Gemeinden erlebt. Daß der Staat trotz der ethnischen Divergenzen und obwohl in rund einem Dutzend der nördlichen Bundesstaaten das islamische Recht eingeführt wurde, nicht auseinandergebrochen ist, beweist eigentliche seine Beständigkeit.

Ein schon vor Jahren verbreitetes Gerücht, daß sich al-Qaida in Nordnigeria angesiedelt hat, hatte sich als völlig haltlos erwiesen. Bislang gibt es dafür keine Anzeichen. Insofern ist der nigerianischen Ministerin und anderen Politikern wie dem ehemaligen Präsidenten Olusegun Obasanjo zuzustimmen, wenn sie Abdulmutallab als Einzeltäter bezeichnen und sich gegen eine pauschale Verunglimpfung Nigerias wenden. (Zumal sich der Nigerianer auf dem Flughafen von Amsterdam in Begleitung eines indisch aussehenden, fein gekleideten Mannes befand, der sich für den späteren Attentäter verwendet hat, da dieser über keinen Paß verfügte und zunächst nicht mitfliegen durfte. Müßte konsequenterweise nicht auch Indien auf die Liste der gefährlichen Staaten genommen werden?)

Ungeachtet des nun von außen an Nigeria herangetragenen Verdachts, es unterstütze wissentlich Terrorismus oder besitze zumindest nicht die notwendige staatliche Kontrolle, um terroristische Aktivitäten im eigenen Land zu unterbinden, liefert die nigerianische Regierung selbst den jetzt gegen sie gerichteten Kräften Vorwände, um einen Hebel anzusetzen. Denn nigerianische Sicherheitskräfte gingen im vergangenen Jahr gewaltsam gegen mehrere muslimische Glaubensgemeinschaften vor, die sie terroristischer Ambitionen bezichtigte. Beim Angriff auf das Zentrum der Boko Haram-Glaubensgemeinschaft und bei weiteren bewaffneten Auseinandersetzungen im Sommer vergangenen Jahres kamen über 700 Einwohner, darunter auch einige mutmaßliche Boko-Haram-Mitglieder, ums Leben. [3] Ende Dezember rückten Sicherheitskräfte gegen eine weitere muslimische Glaubensgemeinschaft, Kalakato, im nördlichen Bundesstaat Bauchi vor. Hierbei verloren über 70 Menschen ihr Leben. Boko Haram und Kalakato wird nachgesagt, sie seien aus der muslimischen Sekte Maitatsine, die in den achtziger Jahren im Norden Nigerias von sich reden machte, hervorgegangen. [4]

Nigeria sieht sich einem zunehmenden Druck insbesondere seitens der USA ausgesetzt. Als deren Außenministerin Hillary Clinton im August vergangenen Jahres das Land besuchte, war zuvor bereits einiges Geschirr zerbrochen, da ihr "Chef", Präsident Barack Obama, bei seinem ersten offiziellen Afrikabesuch Nigeria umkurvt hat, wobei er jedoch genügend Zeit fand, den ebenfalls in Westafrika liegenden Staat Ghana zu besuchen. Das wurde in Nigeria als schwerwiegende Zurückweisung gedeutet. Clinton fand lobende und tadelnde Worte für Nigeria. So sprach sie gegenüber Vertretern der nigerianischen Zivilgesellschaft davon, daß der Staat auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene versagt habe, da viele Millionen Nigerianer furchtbar arm seien, obgleich das Land so viel Erdöl habe. [5] Außerdem sprach Clinton von Wahlbetrug und daß die Regierung ihre Glaubwürdigkeit unterhöhlt habe. Nigeria befände sich an einem Scheidepunkt.

Düstere Andeutungen, von denen man sich fragen muß, warum sie ausgerechnet in der jetzigen Zeit kommen, da, das Interesse der USA an der Bewahrung der Staatlichkeit vorausgesetzt, Nigeria Unterstützung gebrauchen könnte. Und jetzt die Herabsetzung auf eine Stufe mit Libyen, Somalia und Sudan! Da drängt sich der Verdacht auf, daß Washington nicht nur generell Druck auf Nigerias Regierung ausüben will, um seinen Einfluß auf diese regionale Führungsmacht zu stärken, sondern daß es um konkrete Erdölinteressen geht. Schon heute beziehen die Vereinigten Staaten gut zehn Prozent ihrer Ölimporte aus Nigeria. Der Wert soll in den nächsten Jahren erheblich gesteigert werden, da die USA ihre Ölabhängigkeit von den arabischen Staaten abstreifen wollen. Nun drängen aber Rußland und vor allem China mit aller Macht nach Nigeria vor und versuchen, Förderlizenzen zu ergattern. Dabei werden auch exorbitante Preise akzeptiert, wie die "Financial Times Deutschland" berichtete. [6] Eine von Nigerias Präsident Umaru Yar'Adua initiierte Gesetzreform der Erdölförderung diene wohl nur dem Zweck, den Chinesen die Tür zu öffnen,"damit sie das Geschäft übernehmen", zitiert das Finanzblatt namentlich nicht genannte Insider.

Es entspräche durchaus der Politik der US-Regierung, falls sie tatsächlich mittels ihrer Flugsicherheitsliste versuchte, den Druck auf Nigeria zu erhöhen, um den eigenen Einfluß in dem Land zu wahren und Konkurrenten bei der Ausbeutung des global knapper werdenden Erdöls auszustechen. Die Außenpolitik dürfte jedoch nicht das einzige Motiv für verschärfte Sicherheitsmaßnahmen beim Flugverkehr sein, auch und gerade innenpolitisch werden sie instrumentalisiert, um Furcht zu schüren und Feindbilder zu schaffen, die zu bekämpfen eine Kittfunktion in der von schweren sozialen Zerwürfnissen geprägten US-Gesellschaft erfüllen soll.


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Anmerkungen:

[1] "Nigeria: Terror - FG Protests U.S. Tough Stance on Nationals", Vanguard (Lagos), 5. Januar 2010
http://allafrica.com/stories/201001050008.html

[2] "Africa: U.S. Imposes Tighter Airline Screening for Many Africans", allAfrica.com, 4. Januar 2010
http://allafrica.com/stories/201001040398.html

[3] "Nigeria: Another 43 Islamic Fanatics Killed in Yobe", Vanguard (Lagos), 30. Juli 2009
http://allafrica.com/stories/200907300006.html

[4] "Nigeria: Kalakato Uprising and Country's Growing Challenges", Daily Independent (Lagos), 30. Dezember 2009
http://allafrica.com/stories/200912310716.html

[5] "Two Sides of Nigeria Addressed by Clinton", The New York Times, 13. August 2009
http://www.nytimes.com/2009/08/13/world/africa/13diplo.html

[6] "Nigerias begehrte Energie", Financial Times Deutschland, 4. Januar 2009
http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/:agenda-nigerias-begehrte- energie/50056028.html

5. Januar 2010