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AFRIKA/1919: Nigeria - neuer Energieträger Erdgas, neue Umweltprobleme? (SB)


Stichtag 2012

Shell Nigeria verringert partiell das umweltschädliche Gas-Abfackeln

Bau umfangreicher Gasfördersysteme wirft Fragen nach
Umweltverträglichkeit auf


Bis zum Jahr 2012 will die nigerianische Regierung die jahrzehntelange Praxis der Ölkonzerne, die das bei der Förderung von Erdöl austretende Erdgas Tag und Nacht abfackeln, beenden. Davon verspricht sich die Regierung höhere Deviseneinnahmen und eine wichtige Maßnahme zum Schutz der Umwelt. Denn beim Abfackeln entstehen ölig-schwarzer Rauch, der Luft, Boden und Wasser verschmutzt, Fischfang und Landwirtschaft beeinträchtigt und zu vermehrten Krankheitsfällen führt. Das weit verbreitete Abfackeln ist einer von mehreren Gründen, warum im Nigerdelta, dem Hauptfördergebiet des Erdöls, laufend Unruhen herrschen. Die Bewohner sind verarmt und bekommen von den üppigen Exporteinnahmen nur den Schaden in Form einer enormen Umweltverschmutzung ab.

In Nigeria werden zur Zeit mehrere, umfangreichere Installations- und Bauprojekte zum Abfangen und Verflüssigen des Erdgases betrieben. Da könnte der Eindruck aufkommen, daß, sollten die Unternehmen den schon häufiger hinausgeschobenen Termin einhalten und das Erdgas nicht mehr abfackeln, endlich eine Erholung von der Umweltbelastung eintritt. Dem soll hier nicht grundsätzlich widersprochen werden, aber durch das Abfangen von Erdgas entstehen auch neue Umweltprobleme. Wie schwer diese im Verhältnis zu den angeblich ab 2012 vermiedenen Belastungen wiegen, wird sich zeigen.

In einem Beitrag der nigerianischen Zeitung "Vanguard" [1] vom 1. Februar ist zu lesen, daß der südkoreanische Konzern Daewoo der Behauptung widerspricht, für das Östliche Gas-Sammelsystem EGGS-2 (Eastern Gas Gathering System 2), das es für das Unternehmen Shell aufbaue, sei keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden. Zu dem Projekt gehört die Verlegung einer über 50 Kilometer langen Pipeline, die einen Durchmesser von einen Meter hat, vom Integrated Oil and Gas project Gbaran-Ubie im Bundesstaat Bayelsa zur Gasverflüssigungsfabrik in Soku, Bundesstaat Rivers. Wie bei EGGS-1 handelt es sich auch beim zweiten Gas-Sammlersystem um einen Komplex industrieller Installationen, deren Aufbau mit Umweltzerstörungen einhergeht.

Daewoo und Shell haben jedoch aus früheren Fehlern - eigenen oder denen anderer - gelernt und sich um eine weitreichende Integration der örtlichen Bevölkerung und deren Wohlwollen zu dem Projekt bemüht. So stammen 80 Prozent der am Bau beteiligten Arbeiter aus den Gemeinden, die entlang der Pipeline-Trasse liegen. Laut "Vanguard" erklärte der für Daewoo tätige PR-Projektleiter J. T. Hong in einem Interview mit der Zeitung "Sweet Crude" aus Yenagoa, daß die Belegschaft, deren Familien und Freunde in diesen Gemeinden leben, nach Ende des Arbeitsvertrags wieder dorthin zurückkehren werden. Sein Unternehmen habe den Bauauftrag erst dann erhalten hat, nachdem die Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde. Seitdem habe man sich streng daran gehalten. Unter anderem sei es erforderlich gewesen, einen fünf Meter breiten Wasserlauf zu sperren, aber man habe einen Ersatz für die vier davon betroffenen Gemeinden geschaffen.

Darüber hinaus werben die Betreiber des Gasprojekts damit, daß sie einen Flußlauf von lästigen Wasserhyazinthen befreit und verschiedene Entwicklungsprojekte in den Gemeinden finanziert haben. Dazu gehören Straßen, Bürgerzentren und Wohnungen für Lehrer. Mehr als 320 Mio. Naira (1,5 Mio. Euro) wurden von der Shell Petroleum Development Company (SPDC) an die Anrainergemeinden des zeitweilig gestauten Kolo Creek gezahlt.

Johnson Agagbo, ebenfalls PR-Manager bei Daewoo, erinnerte gegenüber "Vanguard" daran, daß die Unternehmen mit den Gemeinden zusammen zunächst ein Global Memorandum of Understanding (GMoU) erstellt haben, in dem die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt wurden.

Shell wird allerdings nicht einfach nur das Gas der bereits erschlossenen Bohrlöcher sammeln und abführen, sondern bei dieser Gelegenheit auch mehr als 30 neue Bohrlöcher anlegen und somit die Produktion von Erdöl wie von Erdgas im Nigerdelta erhöhen. Das berichtete Graham Henley, Projektmanager des Gbaran Ubie Integrated Oil and Gas Projects. [2] Ihm zufolge wird "ein Teil des Erdgases" für die Energieerzeugung in der Nigerdelta-Region verwendet, der Rest werde über die EGGS-2-Pipeline nach Soku befördert. Bei dem Projekt würden nicht nur die Erdgas- und Erdölreserven Nigerias besser ausgenutzt, sondern es würde auch dazu beitragen, das Gas-Abfackeln zu beenden.

Genauere Angaben über den Anteil, der den Menschen vor Ort am Energieträger Erdgas bleibt, machte Henley nicht. Es darf wohl vermutet werden, daß er, wenn der Anteil an der Erdgasnutzung für das Nigerdelta hoch gewesen wäre, er diese Gelegenheit, die Firma ins rechte Licht zu rücken, nicht ungenutzt hätte verstreichen lassen. Und daß das Ende des Gas-Abfackelns im zweiten Rang nach der vermehrten Ausbeutung der Ressourcen Nigerias erwähnt wird, könnte ebenfalls kein Zufall sein und die eigentlichen Interessen an dem Projekt verdeutlichen.

Für die Gemeinden entlang der neuen Pipelines, Installationen und Fabriken zur Förderung und Verarbeitung des Erdgas ist es unzweifelhaft ein großer Vorteil gegenüber früher, wenn nun kein Erdgas mehr abgefackelt wird. Eine Befreiung von den Umweltschäden aus der Förderung von Erdgas und Erdöl findet jedoch nicht statt, örtlich nimmt die industrielle Belastung durch den Bau neuer Anlagen sogar zu. Über die Einbindung der örtlichen Gemeinden im Rahmen von mehreren "Übereinfkünften" versucht Shell den Fehler aus der Erdölförderung nicht zu wiederholen und völlig an den Interessen der Einwohner vorbei zu wirtschaften. Dennoch geht das Unternehmen nicht davon aus, daß es ein Verlustgeschäft macht, was bedeutet, daß es erwartet, mehr als die rund eine Milliarde Euro teure Investition. Zudem wird in Nigeria auch nach dem sogenannten Ende des Gas-Abfackelns weiterhin Gas abgefackelt, von einem vollständigen Abschluß ist nicht die Rede. Und schon gar nicht von einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel zum Wohle aller.


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Anmerkungen:

[1] "Nigeria: Daewoo Commits to Implement EIA Report on Shell's Project", Vanguard (Lagos), 1. Februar 2010
http://allafrica.com/stories/201002011719.html

[2] "Nigeria: Gas Flaring - Shell Expends $1 Billion On Iog Project", TendersInfo, 18. November 2009
http://www.thefreelibrary.com/Nigeria:+Gas+Flaring+-+Shell+Expends+$1+Billion+On+Iog+Project-a0212508056

3. Februar 2010