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AFRIKA/1921: Ruanda - Präsidentschaftsanwärterin Ingabire angegriffen (SB)


Im August wird in Ruanda ein neues Parlament gewählt

Das Kagame-Regime setzt offenbar seine Politik der Unterdrückung fort


Die Bürger Ruandas bereiten sich auf die kommenden Parlamentswahlen vor. Amtsinhaber Paul Kagame und seine Regierungspartei RPF sowie ihm ergebene Organisationen tun dies ebenfalls. Auf ihre Weise. Anscheinend wollen sie sicherstellen, daß Kagame, der "Befreier Ruandas" von den Völkermördern 1994, erneut gewinnt. Auch oppositionelle Kandidaten bzw. Kandidatinnen bereiten sich auf die Wahlen im August vor - sie versuchen es zumindest. Das ist jedoch in Ruanda ähnlich heikel wie beispielsweise in Simbabwe, wo Mitglieder des früheren Oppositionsbündnisses MDC (Movement for Democratic Change), das heute an der Regierung beteiligt ist, von Anhängern der regierenden Partei ZANU-PF zusammengeschlagen wurden.

Ähnliches ist kürzlich dem Begleiter der ruandischen Präsidentschaftskandidatin Victoire Ingabire widerfahren. Ihrer Aussage zufolge wurde sie von dem Bürgermeister des Kinyinya-Sektors, in dem sie lebt, angerufen und aufgefordert, ihren Ausweis abzugeben. Dem sei sie nachgekommen, aber als sie das Amt erreichte, begannen etwa zehn jüngere Männer auf sie und ihren Fahrer und Assistenten Joseph Ntawangundi einzuschlagen. Auch hätten sie ihr die Handtasche weggenommen. Frau Ingabire berichtet, daß sie zu ihrem Auto gelaufen ist, aber ihr Kollege zurückgeblieben sei, ausgezogen und schwer geschlagen wurde. Sie habe ihn ins Krankenhaus gefahren. [1] Obgleich Polizisten den gewaltsamen Übergriff beobachteten, seien sie nicht eingeschritten, so Ingabire. Sei befände sich nun drei Wochen in Ruanda, aber "die Regierung von General Kagame akzeptiert nicht alle politischen Aktivitäten in unserem Land". Sie täten alles dafür, um sie von den Wahlen abzuhalten.

Handelt es sich hier nur um das übliche Wahlkampfgetöse einer Kandidatin, der wenig Chancen auf einen Wahlsieg eingeräumt werden und die ihre Bedeutung aufzuwerten versucht, indem sie gegen sie gerichtete Diskriminierungen erfindet, wie von der Zeitung "The New Times" behauptet? [2] Mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht, denn seit dem erfolgreichen Abschluß der Invasion der aus Uganda stammenden RPA (Ruandische Patriotische Armee) 1994 durch die Vertreibung der Hutu-Völkermörder aus Ruanda und die Übernahme der Regierungsgeschäfte in Kigali haben Kagame und seine engsten Vertrauten ihre Macht im Land laufend weiter ausgebaut. Da blieben der eine oder andere Mitstreiter, der zum Konkurrenten Kagames hätte werden können, und der eine oder andere Widersacher aus anderen Parteien auf der Strecke. Sprichwörtlich. Anderen gelang es, sich rechtzeitig ins Ausland abzusetzen. Wo sie allerdings auch keinen absoluten Schutz vor Verfolgung genossen.

Nach dem Zwischenfall auf dem Amt will Ingabire einen Brief an Kagame schicken und ihn darin auffordern, ihr bis zu den Parlamentswahlen Schutz zu gewähren. Das Motiv der Täter ist nicht bekannt. Die Vermutung liegt nahe, daß es sich um Anhänger der RPF gehandelt hat. Das weist die Regierungspartei entschieden zurück, ähnlich wie die simbabwische ZANU-PF nicht offiziell zugibt, sie habe MDC-Mitglieder verfolgen und zusammenschlagen lassen.

Die ruandische Präsidentschaftskandidatin hat im Anschluß an den Genozid von 1994 in den Niederlanden gelebt. Nun hat sie sich entschieden, als Vorsitzende der United Democratic Forces, die als Partei noch keine Zulassung erhalten hat, gegen Paul Kagame und seine RPF anzutreten. Die Gewaltattacke, wenn sie sich, wie zu vermuten ist, so zugetragen hat wie geschildert, zeigt, daß die Aufgabe gefährlich, vielleicht sogar lebensgefährlich ist. Ingabire wäre nicht die erste Oppositionelle in Ruanda, die massiven Repressionen ausgesetzt würde.

Das fängt schon damit an, daß gegen Kritiker der Regierung in der Presse regelmäßig Schmutzkampagnen übelster Art geführt werden. Es bedürfte womöglich keiner eigens von der RPF angeheuerter Schläger, denn die Zeitungsberichte erwecken den Eindruck, als sei Ingabire eine Plage - nicht weit entfernt von dem Begriff "Kakerlake", mit dem einst die zur Jagd freigegebenen Tutsi vom radikalen Sender Radio Milles Collines bedacht wurden.

Ingabire, eine Hutu, wird beschuldigt, sie verharmlose den Völkermord, weil sie nicht nur den Tutsi gedenkt, von denen binnen 100 Tagen bis zu 700.000 umgebracht wurden, sondern auch den Hutu, von denen etwa 100.000 umkamen.

Die englischsprachige Zeitung "The New Times", die im Anschluß an den Genozid gegründet wurde, als der englischsprachige Kagame Vizepräsident und Verteidigungsminister Ruandas war, exponiert sich deutlich mit Bezichtigungen. So kolportiert die Zeitung die offizielle Darstellung des Zwischenfalls, wonach sich Ingabire auf dem Amt vordrängeln wollte. [3] Demgegenüber behauptet die Beschuldigte, es hätte überhaupt niemand angestanden. Zudem wird ihr unterstellt, sie habe angegeben, sie hätte ihre Tasche im Tumult verloren - Ingabire hingegen hatte erklärt, daß ihr die Tasche weggenommen wurde. In einem Editorial jener Zeitung hieß es über die Kandidatin: "Wir sind gezwungen anzuerkennen, daß manche Wesen wie diese Dame (...) seit der Kindheit ideologisch mit der PARMEHUHU-Ideologie genährt und aufgezogen wurden, und es ist nun ohne jeden vernünftigen Zweifel bewiesen, daß sie unumkehbar infiziert wurde." [4]

Parmehutu hieß die von Grégoire Kayibanda gegründete Partei, die sich für die Befreiung der von den Tutsi unterdrückten Hutu-Mehrheit eingesetzt hatte. 1961 wurde der Tutsi-König Mwami Kigeri V gestürzt, und Kayibanda gründete eine Hutu-Regierung. 1973 wurde Parmehutu aufgelöst.

Vor kurzem wurde Ruanda in den Commonwealth aufgenommen. Zuvor hatte der Menschenrechtsrat dieses Staatenbunds dringend vor der Aufnahme zum jetzigen Zeitpunkt gewarnt. In Ruanda werde die Presse zensiert, Oppositionelle würden verfolgt, und Ruanda plündere das Nachbarland DR Kongo aus. Deshalb müsse es erst noch beweisen, daß es sich zur Einhaltung von Menschenrechtsstandards verpflichtet fühlt. Genutzt hat dieser Einwand nichts. Das dürfte bei der ruandischen Regierung zu dem Eindruck geführt haben, daß sie mit ihren Machenschaften straflos durchkommt. Die nächsten Monate werden zeigen, ob die Attacke gegen Ingabire und ihren Begleiter eine Ausnahme ist oder ob die Regel fortgesetzt wird.


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Anmerkungen:

[1] "Rwanda Opposition Candidate Demands Protection Ahead of Election", Voice of Amercia, 3. Februar 2010
http://www1.voanews.com/english/news/africa/Rwanda-Opposition- Candidate-Demands-Protection-Ahead-of-Election--83496862.html

[2] "Rwanda: Ingabire, Feigning Victimization to Gain Sympathy", The New Times (Kigali), 5. Februar 2010
http://allafrica.com/stories/201002050061.html

[3] "Rwanda: Ingabire Provokes Fracas At Kinyinya", The New Times (Kigali), 4. Februar 2010
http://allafrica.com/stories/201002040071.html

[4] "Rwanda: Attempt by Victoire Ingabire Umuhoza to Rally Genocide Convicts as Cadres for 'Her Revolution'", The New Times (Kigali), 22. Januar 2010
http://allafrica.com/stories/201001220723.html

5. Februar 2010