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AFRIKA/1933: Ruanda-Genozid - Frankreich verhaftet Agathe Habyarimana (SB)


Brückenschlag zwischen Frankreich und Ruanda

Gemeinsames Interesse, daß die Mitverantwortung für Massaker in den 1990er Jahren in Ruanda unter den Teppich gekehrt werden


Am Dienstag, den 2. März 2010, wurde Agathe Habyarimana, Witwe des 1994 ermordeten ruandischen Staatspräsidenten, von der französischen Polizei an ihrem Wohnort Courcouronnes, südlich von Paris, vorübergehend festgenommen. Nach einem mehrstündigen Verhör ließ man sie unter Auflagen wieder frei. Der heute 68jährigen wird Anstiftung zum Völkermord vorgeworfen. Gerüchten zufolge stand sie an der Spitze einer Bewegung radikaler Hutu, die 1994 den Präsidenten Juvénal Habyarimana abschießen ließ, den Genozid an den Tutsi vorbereitete und durchführte.

Die Hintergründe für den Ruanda-Genozid von 1994 stellen sich als dermaßen vielschichtig heraus, daß in der Berichterstattung meist nur bestimmte Facetten behandelt werden können. Die Vernachlässigung aller anderen Aspekte provoziert jedoch häufig Widerspruch, der, sollte er von Angehörigen der rund 800.000 Opfer des 100-Tage-Massakers vorgebracht werden, verständlicherweise von starken Emotionen begleitet wird.

Beispielsweise wird die Behauptung, daß der Abschuß eines Flugzeugs mit den Präsidenten von Ruanda und Burundi an Bord am 6. April 1994 in Kigali von keinem anderen als dem heutigen Präsidenten Ruandas, Paul Kagame, befohlen worden war, mit dem Argument zu kontern versucht, daß dies rassistisches Denken sei; Kagame sei wie die Opfer des Genozids ein Tutsi, mit der Unterstellung seiner Täterschaft sollten offenbar die Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden. Kagames Kämpfer der RPA (Ruandische Patriotische Armee) hätten den Genozid beendet und nicht begangen.

Bei diesem Argument werden jedoch Äpfel mit Birnen verglichen. Daß Kagame (wahrscheinlich) den Genozid ausgelöst hat, bedeutet weder, daß er ihn begangen noch daß er ihn geplant hat. Inwiefern er damit rechnen mußte, daß die Hutu-Soldaten und -Milizen der Interahamwe zu den Waffen greifen, sobald ihr Präsident ermordet wurde, ist eine andere Frage. Dem unter Militär nicht unüblichen Ethos zufolge wären "Kollateralschäden" in Kauf zu nehmen, wenn Aussicht besteht, daß auf diesem Weg ein größeres Ziel erreicht wird. Diese Einstellung dürfte auch dem an einer US-Militärakademie ausgebildeten, ehemaligen Leiter des militärischen Geheimdienstes der ugandischen Armee Paul Kagame attestiert werden.

Selbst wenn er gewußt hätte, daß nach dem Attentat Unruhen in Ruanda ausbrechen, konnte er zu dem Zeitpunkt nicht wissen, welches Ausmaß sie annehmen. Jedenfalls liegen den Vereinten Nationen Zeugenaussagen ehemaliger RPA-Mitglieder vor, die im Rahmen von Vorermittlungen erklärt hatten, daß sie zu einer Spezialeinheit gehörten, die den Abschuß der Präsidentenmaschine mit Boden-Luft-Raketen durchgeführt hat. Vielleicht haben die Zeugen die Wahrheit gesagt, vielleicht haben sie alles nur erfunden. Das könnte nur eine Untersuchung ans Tageslicht bringen, doch die wurde von der früheren UN-Chefermittlerin Louise Arbour eingestellt, sobald sich der Verdacht von "radikalen Hutu" weg in Richtung Kagames RPA bewegte.

Frankreich, das 1994 engste Verbindungen zur Habyarimana-Regierung unterhielt, die Hutu-Soldaten mit Waffen belieferte und sie gegen die von den USA ausgerüstete RPA beschützte, möchte seine eigene Mitverantwortung am Genozid begraben. Der unausgesprochene Preis, den die "Gegenseite" verlangt: Auch an der Mitverantwortung der RPA wird nicht länger gerührt.

Nicht einmal eine Woche nach dem Besuch des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy in Ruanda setzt Frankreich mit der vorübergehenden Verhaftung von Agathe Habyarimana ein starkes Signal. Was sich daraus ergibt, läßt sich schwer absehen. Möglicherweise bleibt es dabei, Ruanda zu signalisieren, daß man die "großen Fehler" - so Sarkozy - in der Vergangenheit zutiefst bereut. Vielleicht macht er aber auch ernst mit seiner Aussage, daß die Verantwortlichen für den Genozid "gefunden und bestraft werden".

Hier wird die Historie von zwei ehemaligen Kontrahenten gemeinsam weißgewaschen. Der "Pakt" richtet sich einerseits gegen die Hutu, die - das soll hier ausdrücklich betont und keinesfalls verharmlost werden -, reichlich Blut an den Fingern haben und denen Dinge zugelastet werden, die sie möglicherweise nicht begangen haben, andererseits gegen die heutige Bevölkerung Ruandas, der eine rückhaltlose Aufarbeitung ihrer Geschichte versagt wird. Ein zynischer Aspekt: Frankreich wird vorgeworfen, es habe mit einem diktatorischen Regime zusammengearbeitet. Nun will es sich mit der "Opferregierung" aussöhnen, und die hat von Anfang an sehr ähnliche Eigenschaften entwickelt. Noch im vergangenen Jahr attestierte der Menschenrechtsrat des Commonwealth der Kagame-Regierung eine völlige Untauglichkeit hinsichtlich ihres Antrags auf Mitgliedschaft in den Staatenbund, da sie Medienzensur betreibe, die Opposition unterdrücke und für schwerste Menschenrechtsverletzungen in Ostkongo verantwortlich sei.

3. März 2010