Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/1942: Niger hungert - Hilfsappelle verhallen weitgehend (SB)


Same procedure as every year - Hilfsorganisationen bitten um Spenden

Feigenblatt Hungerhilfe am Beispiel Niger


Wenn Menschen Hunger leiden oder gar verhungern, geschieht dies in den seltensten Fällen ohne Wissen und somit ohne Beteiligung ihres gesellschaftlichen Umfelds. Beispielsweise in Niger. Bereits vor zwei Monaten schlugen Hilfsorganisationen Alarm, da in dem Sahelstaat die Niederschläge ausgeblieben waren und schwerwiegende Ernteeinbrüche verzeichnet werden. Rund acht Millionen der 15 Millionen Einwohner seien auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen; die internationale Gemeinschaft möge doch bitte spenden, denn die nächste Ernte werde erst in einigen Monaten erwartet. Die Einwohner besäßen keine Vorräte, die Not rühre unmittelbar an ihrer Existenz. Im vergangenen Monat wurde der Hilfsappell für Niger neu aufgelegt. Weiterhin waren acht Millionen Einwohner von teils akuter Nahrungsnot betroffen.

Am Ostermontag erneuerten Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen ein weiteres Mal ihren Appell. Mit den bis jetzt eingegangenen Spenden könne nur ein Teil der hungernden Menschen in Niger versorgt werden, es fehlten nach wie vor 132,9 Millionen Dollar. 4,7 Millionen Nigrer litten unter Nahrungsmangel oder Unterernährung, meldete OCHA, das UN-Büro für die Koordination Humanitärer Angelegenheiten. [1] Von den geforderten 190,7 Millionen Dollar Hilfe wurden den UN-Organisationen nur 57,8 Mio. Dollar zugesagt. Der tatsächliche Bedarf liegt laut OCHA womöglich noch höher. Das werde sich jedoch erst im Laufe dieses Monats bei einer neuen Untersuchung herausstellen.

In Niger hat es in der vergangenen Saison zu wenig geregnet, was zu einem Erntemangel von mehr als 410.000 Tonnen Getreide führte. Darüber hinaus fehlt es auch an Viehfutter in einer Menge von 16 Millionen Tonnen, was 67 Prozent des nationalen Futterbedarfs entspricht. Hinzu kommt, daß viele Wasserstellen ausgetrocknet sind und die Hirten mit ihrem Vieh womöglich längere Strecken zurücklegen oder andere Gebiete aufsuchen müssen, was die Gefahr von Streitigkeiten über Weideflächen mit den seßhaften Bauern erhöht.

Angesichts der frühzeitig absehbaren und auch prognostizierten Not in Niger sowie der bestenfalls partiellen Unterstützung von Regierung und Bevölkerung durch die sogenannte internationale Gemeinschaft drängt sich die Frage geradezu auf, ob nicht der Mangel und seine Nicht-Behebung System haben. Niger stellt bekanntlich keine Ausnahme dar; Jahr für Jahr melden Hilfsorganisationen Bedarf an, Jahr für Jahr wird er nur unzureichend gedeckt. Die Folge: Die Zahl der Hungernden hat weltweit im vergangenen Jahr die Milliardengrenze überschritten. Mit einer Umkehrung des Trends ist nicht zu rechnen. Sollte da nicht die Frage nach dem System, in dem das Ganze stattfindet, gestellt werden?

Nationale wie internationale Hilfsorganisationen versuchen, Löcher zu stopfen, aber es entstehen immer mehr Löcher, und sie werden größer. Dieses System des administrierten Siechtums und Verhungerns enthält eliminatorische Aspekte, die, werden sie mit einer Ideologie hinterlegt, in der Menschheitsgeschichte zu regelrechten Massenmorden geführt haben. Aber man braucht sich nicht auf die Geschichte beschränken. Die meisten Menschen kommen heute nicht in bewaffneten Konflikten ums Leben, sondern in dem weithin verdrängten Konflikt zwischen Privilegierten auf der einen Seite und Milliarden Menschen auf der anderen, die alltäglich unmittelbar um ihr Überleben kämpfen müssen. Je nachdem, welche Kriterien man anlegt, sterben jedes Jahr zwischen 15 und 35 Millionen Menschen unmittelbar an Hunger oder eigentlich harmlosen Krankheiten, die jedoch unter der Voraussetzung eines vor Hunger geschwächten Organismus tödlich enden.

Selbst die vor zehn Jahren beschlossenen Millenniumsziele, die im übrigen nicht eingehalten werden, sahen lediglich eine Halbierung des Hungers, nicht aber seine restlose Beseitigung vor. Da sich die internationale Staatengemeinschaft offenkundig als unfähig oder unwillig zeigt, den Hunger nachhaltig zu beenden, wäre zumindest zu überlegen, ob nicht Hungerhilfe institutionalisiert werden sollte. Anstatt daß die UN-Hilfsorganisationen bei jeder Notlage von neuem um Spenden bitten müssen, könnten im ersten Schritt feste Budgets für Hungervermeidung und -beseitigung eingerichtet werden. Der naheliegende Nachteil, daß hierdurch ein Verwaltungsapparat geschaffen würde, der einen erheblichen Anteil an der Hungerhilfe für seine bloße Existenz verbraucht, wäre durch eine deutliche Erweiterung des Mitspracherechts der örtlichen Empfänger der Hungerhilfe sowie der Hilfsorganisationen und -mitarbeiter vor Ort sowie aufs kürzeste reduzierte Verwaltungswege (Stichwort: Hierarchieabbau) zu beseitigen.

Das alles genügt nicht, wollte man erreichen, daß internationale humanitäre Hilfe eine andere Funktion erfüllt als die eines Feigenblatts, mit dem die grundlegende Chancenungleichheit in der Welt, an deren Aufrechterhaltung und Befestigung von den vorherrschenden Kräften laufend gearbeitet wird, kaschiert wird. Es könnte jedoch ein erster Schritt sein, der nur dann ein erster Schritt wäre, wenn ihm weitere folgen. Die Alternative, nach der die Weltgemeinschaft weiter wie bisher mit dem Hunger in der Welt umgeht, läuft darauf hinaus, daß die Zahl der Menschen, die nicht genug zu essen haben, irgendwann auch die Zwei-Milliarden-Marke übersteigt.


*


Anmerkungen:

[1] "Niger: UN Appeals for More Funds to Assist People Facing Food Crisis", UN News Service (New York), 5. April 2010
http://allafrica.com/stories/201004051058.html

6. April 2010