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AFRIKA/1983: Neue Studien rücken Bild der "Wunderpflanze" Jatropha zurecht (SB)


Jatropha - zum Nutzen der Kleinbauern, nicht der Plantagenwirtschaft


Nachdem inzwischen der Hype um die "Wunderpflanze" Jatropha curcas L. wieder abklingt, besteht die Gelegenheit, an Fragen zu erinnern, die eigentlich nie hätten vernachlässigt werden dürfen: Lassen sich Ertragszahlen von einer Region auf eine andere übertragen? Wer hat den Nutzen vom Jatropha-Anbau, das Heer von Kleinbauern oder die laufend nach Anlagen suchenden Kapitalgesellschaften? Zu welchen sozioökonomischen und ökologischen Veränderungen würde ein großflächiger Plantagenanbau von Jatropha führen? Wie wird die Pflanze auf den Klimawandel reagieren? Ist die Verbrennung von Biodiesel, der aus den Samen dieses Strauchs gewonnen wird, klimafreundlich oder trägt nicht auch er zur Erderwärmung bei? Können sich die Produktionsländer durch die Herstellung von Biodiesel aus Jatropha vom teuren Import fossiler Brennstoffe entlasten oder werden neue Abhängigkeiten geschaffen?

Vor dem Hintergrund, daß seit einigen Jahren ausländische Biospritunternehmen im großen Stil Landflächen in Afrika kaufen oder pachten und dies indifferent als "entwicklungsfördernd" und "gewinnbringend" ausgewiesen wird, sollen im folgenden einige dieser Fragen diskutiert werden. Erfahrungen in Indien, Madagaskar und anderen Ländern haben gezeigt, daß die verwendeten Jatrophapflanzen bei weitem nicht die in sie gesetzten Erwartungen hinsichtlich der produzierten Erntemenge erfüllen. Auch wird die Behauptung westlicher Investoren, die Förderung von Jatropha sei eine "ethische Investition" durch Berichte über Vertreibungen, Verdrängungen, Waldrodungen, Nahrungskonkurrenz, Land- und Wasserraub sowie klimaschädliche Lachgasemissionen aus der Düngung Lügen gestraft. Einer jüngeren Studie zufolge, die im Journal GCB Bioenergy veröffentlicht wurde, ist der Wasserbedarf von Jatropha größer als bislang angenommen - jedenfalls wenn man höhere Erträge erzielen will. [1]

Ansonsten werden die Erntemengen hinter den Erwartungen zurückbleiben, zumal die Niederschlagsmenge in bestimmten Anbauregionen zurückgehen wird, schrieben Bart Muys und Antonio Trabucco von der Universität von Leuven in Belgien. Ländliche Gemeinden auf der Südhalbkugel könnten durchaus von Jatropha profitieren, aber die Pflanze sei gewiß keine "Marktchance" für Biosprit in industrialisierten Ländern. Der globale Hype könne allerdings dazu genutzt werden, um die ländliche Entwicklung zu stärken, indem kleinmaßstäbliche, kommunale Jatropha-Initiativen für den Eigenbedarf unterstützt werden, erklärte Muys in einer weiteren Studie. Die Forscher denken dabei an entlegene, nur sporadisch versorgte Regionen, in denen die Menschen mit Feuerholz heizen.

Auch die Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen und der International Fund for Agricultural Development (IFAD) warnten im vergangenen Monat, daß die Erwartung, Jatrophaöl könne die Erdölimporte der Entwicklungsländer ersetzen, "unrealistisch" sei. "Das wahre Potential von Jatropha zu erkennen, erfordert die Trennung der Fakten von den Behauptungen und Halbwahrheiten", heißt es in dem Bericht nüchtern. [2] In ihm wird betont, daß der Ölgehalt der Jatrophasamen sehr stark variiert und daß deshalb noch Forschungen nötig sind, um Pflanzen zu züchten, die zuverlässig höhere Erträge abwerfen. Darüber hinaus sollten ungiftige Jatrophaarten weiterentwickelt und die Anbaumethoden verbessert werden.

Darin, daß die Samen bzw. Nüsse der Jatrophapflanze relativ einfach mit einer mechanischen Presse ausgedrückt werden können, um das Öl zu gewinnen, das in speziellen Kochern, einfachen Dieselmaschinen (Pumpen, Mühlen, Generatoren) oder schlicht in Lampen verbrannt werden kann, liegt der Hauptnutzen dieses Strauchs. Der Preßkuchen, der übrigbleibt, kann als organischen Dünger verwendet werden, und da Jatropha auch fürs Vieh ungenießbar ist, lassen sich mit dem Strauch hervorragend Feldbegrenzungen hochziehen, um Getreide, Gemüse oder Obst vor Wildfraß zu schützen. Auch als Erosionsschutz eignet sich die Pflanze.

Diese Nutzmöglichkeiten sind unstrittig. Problematisch wird es, wenn Investoren kommen und den Mehrwert der von den Plantagenarbeitern geleisteten Arbeit abschöpfen wollen. Dann kommen Fremdinteressen ins Spiel, die primär das eigene Wohl, nicht aber das der Plantagenarbeiter im Sinn haben. Dem widerspricht nicht, daß Beteiligungsstrukturen entstehen, indem die Arbeiterinnen und Arbeiter Lohn für ihre Arbeit entgegennehmen und sich davon Dinge kaufen können, die sie vorher nicht hatten. Aber auch dieser Nutzen wäre zu hinterfragen, denn ob die Menschen diese Dinge tatsächlich "entbehrt" haben, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das Thema rührt an eine uralte Frage: Entstehen Bedürfnisse aufgrund des Mangels, oder ist der Mangel mit den Bedürfnissen in die Welt gekommen? Das ist mitnichten eine Frage aus der Kategorie, 'wer war zuerst da, die Henne oder das Ei?'. Das Bedürfnis geht dem Mangel voraus. Mangel existiert nicht ohne ein Bedürfnis. Wohingegen ein Bedürfnis sehr wohl ohne Mangel existieren kann.

Dieser kurze Ausflug in die Voraussetzungen des menschlichen Wirtschaftens hat sehr viel mit der Frage des Jatrophaanbaus zu tun. Wenn in Tansania ein Bauer wie Mzee El Rahema aus Makoa erklärt [2], daß er 180 tans. Schillinge (ca. 9 Eurocent) pro Kilogramm Jatropha erhält und er im nebenbei durch den Jatrophaanbau so viel verdient, daß seine Kinder Nahrung und Kleidung erhalten und zur Schule gehen können, dann kann und soll diesem Mann gar nicht der Nutzen von Jatropha abgesprochen werden. Es muß allerdings zu bedenken gegeben werden, daß das Bedürfnis beispielsweise nach einer schulischen Ausbildung von westlichen Kolonialherren implementiert wurde, letztlich um Arbeitskräfte zu erhalten, die fremdarbeitstauglich sind.

Ursprünglich wäre kein Bewohner Afrikas freiwillig dazu bereit gewesen, sich den Verwertungsbedingungen ihrer Arbeitskraft zu unterwerfen, das heißt, zu festgelegten Zeiten zur Arbeit zu erscheinen, den Arbeitsplatz nicht zu verlassen oder auch bestimmte Erntemengen abzuliefern. Solche Unterwerfungsformen wurden mit aller Gewalt durchgesetzt. Im Kongogebiet zum Beispiel hat die Umerziehung von Subsistenzbauern zu "nützlichen" Plantagenarbeitern in der Zeit, als der belgische König Leopold II. das riesige Gebiet für sich reklamierte, mindestens 18 Millionen Einwohnern das Leben gekostet. Männer, die nicht genügend Kautschuk ablieferten, wurden verstümmelt. Oder es wurden ihre Frauen, die in Lagern gefangengehalten wurden, um die Männer zu erpressen, verstümmelt. Daß die "Neger" faul sind, wie es damals kolportiert wurde, war ausschließlich die Sichtweise des Räubers, also desjenigen, der sich den Mehrwert aneignen wollte.

Heute haben sich die Mittel, mit denen die Einwohner Afrikas (die beispielhaft für das grundsätzliche Ausbeutungsverhältnis durch fremdbestimmte Arbeit stehen), dazu gebracht werden, sich auf Plantagen zu verdingen, etwas gewandelt. Systematische Verstümmelungen sind nicht bekannt. Überwunden ist die Ausbeutung jedoch nicht. Das verdeutlichen die sklavereiähnlichen Arbeitsverhältnisse, die den Zuckerrohrplantagen in Brasilien einen schlechten Ruf eingebracht haben.

Ein Bauer in Afrika, der seine Kinder zur Schule schicken kann, weil er etwas Geld mit Jatropha dazuverdient, ist bereits in gesellschaftlichen Strukturen eingebunden, in denen der Schulbesuch die Überlebenschancen verbessert. Man sollte jedoch nicht vergessen, wie alles anfing. Als die ersten christlichen Missionare in Afrika Schulen aufmachten, sollten die Kinder im westlichen Sinne umerzogen werden - zu Lasten von angestammten Sitten, Gebräuchen, Religionen und Werten, für deren Abschaffung es keinen anderen Grund gab als den der Herrschaftsausdehnung.

Die GCB Bioenergy- und die FAO/IFAD-Studie stehen für einen Wandel in der Bewertung des Jatrophaanbaus. Sie stehen jedoch nicht für eine grundsätzliche Absage an das Prinzip der Mehrwertabschöpfung.


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Anmerkungen:

[1] "Jatropha better suited to local communities, not biofuel markets", The Ecologist, 6. Juli 2010
http://www.theecologist.co.uk/News/news_round_up/529755/jatropha_better_suited_to_local_communities_not_biofuel_markets.html

[2] "Jatropha - a bioenergy crop for the poor", 22. Juli 2010
http://www.fao.org/news/story/en/item/44142/icode/

[3] "Jatropha biofuels: the true cost to Tanzania", The Ecologist, 15. Februar 2010
http://www.theecologist.org/trial_investigations/414648/jatropha_biofuels_the_true_cost_to_tanzania.html

3. August 2010