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AFRIKA/2001: Äthiopien wird mit Weltbankhilfe Abgasentsorger für die Industriestaaten (SB)


Ein äthiopisches Entwicklungsprojekt erhält erstmals Geld von der Weltbank für Emissionsgutschriften


Weltweit hat sich ein politisches System durchgesetzt, das von der Wachstumsideologie regelrecht vor sich hergetrieben wird. Nach rund zweihundert Jahren industrieller Entwicklung lassen sich die Folgen dieses Zwangs zum permanenten Konsum für die Umwelt nicht mehr übersehen: Auf den Ozeanen treiben riesige Müllteppiche zusammen, vor den Mündungen großer Flüsse bilden sich als Folge des Düngereintrags tote Zonen, Metropolen versinken im Müll oder ersticken an den Abgasen aus Verbrennungsmotoren. Blind für die Folgen wurde die Erdatmosphäre als riesiges Endlager für vielerlei Schadstoffe benutzt.

Zu diesen zählt das Treibhausgas Kohlendioxid, das beim Verbrennen sowohl von fossilen Energieträgern (Kohle, Erdöl, Erdgas) als auch von pflanzlichen Rohstoffen (Agrosprit) entsteht und entscheidend zur globalen Erwärmung beiträgt. Dadurch sind und werden weiterhin die Lebensverhältnisse vieler Menschen bedroht, angefangen bei den Bewohnern der klimatisch prekären Zonen der Tropen und Subtropen. Die dort lebenden Menschen haben kaum zu dieser Schadstoffentwicklung beigetragen. Afrika, ein ganzer Kontinent, ist allenfalls für fünf Prozent der anthropogenen Treibhausgase in der Erdatmosphäre verantwortlich.

Nun sollen ausgerechnet Entwicklungsländer unter anderem in Afrika sich darauf freuen und die Aufgabe der Abgasentsorgung der Hochproduktionsländer übernehmen, indem sie bestimmte, klimaverändernde Verbrennungsgase einfangen und horten. Als "Abfallbehälter" dienen Wälder. Die gewaltigen Mengen an CO2-Emissionen der wohlhabenden Industriestaaten und mittlerweile auch aufstrebenden Schwellenländer wie China sollen unter anderem in Afrika im Aufbau der Zellulose von Bäumen der Atmosphäre entzogen werden.

Ohne irgendeinen Anreiz würden sich die für diese Entsorgungsaufgabe vorgesehenen Länder vermutlich gegen ein solches herrschaftliches Ansinnen wehren. Warum sollten sie den gasförmigen Abfall aufnehmen, den andere produziert haben und der ein Charakteristikum ihres erfolgreichen Niederkonkurrierens und der ihre Vorherrschaft sichernden Produktivität ist? Damit sie es dennoch tun, schleppen die reichen Händler aus fernen Weltregionen nicht mehr wie einst Perlen, bunte Tücher und anderen Tand herbei, um die afrikanischen Chiefs für sich einzunehmen, sondern sie bieten in der neuesten Variante Emissionsgutschriften feil. Damit wenden sie sich auch nicht mehr an die Chiefs, sondern an Staatsführer, Regierungsmitglieder und Unternehmer.

Das ostafrikanische Land Äthiopien setzt große Erwartungen in die Möglichkeit, die Abgase des in anderen Weltregionen emittierten Kohlenstoffs aufzunehmen, wie Mulugeta Worku Ayele, der für Nordäthiopien zuständige Regionalkoordinator der CRDA (Christian Relief & Development Association), einer Dachorganisation für nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen, vor knapp einem Jahr gegenüber dem Schattenblick berichtete. [1] Zumal das Land, das einen rasanten Bevölkerungszuwachs verzeichnet, nur noch rund fünf Prozent seiner ursprünglichen Waldfläche besitzt.

In der vergangenen Woche hat die Weltbank erstmals in Äthiopien Finanzmittel für ein Pilotprojekt im Emissionshandel freigegeben und für 34.000 Dollar Kohlenstoffzertifikate des Humbo Community Based Forest Management Project erworben. [2] Hauptinitiator ist die Hilfsorganisation World Vision mit ihren Zweigen in Australien und Äthiopien; einbezogen sind die beiden Regionen Humbo und Sodo in der Provinz SNNP (Southern Nations, Nationalities, and Peoples), rund 420 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Addis Abeba im Rift Valley gelegen. Diese Regionen waren weitgehend entwaldet, da die Menschen dort auf Feuerholz als Energiequelle angewiesen sind. World Vision hat vor einigen Jahren 800 Einwohner in Form von sieben Kooperativen in das Projekt einbezogen, um die Aufforstung, Wiederaufforstung und nachhaltige Bewirtschaftung des Waldgebiets zu organisieren.

Der 2728 Hektar große Humbo-Wald ist das erste größere Waldschutzprojekt Afrikas, das von den Vereinten Nationen nach den Maßgaben des Clean Development Mechanism (CDM) aus dem Kyoto-Protokoll abgesegnet wurde. Als der BioCarbon Fund der Weltbank vor einigen Monaten zusagte, Kohlenstoffzertifikate für die Hälfte der 330.000 Tonnen Kohlenstoff, die von dem Wald absorbiert werden, zu erwerben, wurde das Projekt offiziell registriert.

Es handelt sich hierbei um ein Pilotprojekt. Die Organisatoren wollen zeigen, daß der artenreiche Naturwald in Humbo Vorbild sein kann für andere Projekte und geeignet ist, am Kohlenstoff-Zertifikathandel beteiligt zu werden. Getestet wird aber auch, ob die Gemeinden in der Lage sind, öffentliches Land im Rahmen übergreifender Abkommen zur Kohlenstoffsequestrierung, Förderung der Biodiversität, Bewahrung natürlicher Ressourcen und Armutsbekämpfung zu managen. Zu guter Letzt sollen in dem Habitat einheimische bedrohte Arten wie der äthiopische Bananenfrosch (Afrixalus enseticola), die äthiopische Akazienmaus (Grammomys spec.) und die Nechisar-Nachtschwalbe (Caprimulgus solala) wiederangesiedelt werden. [3]

Die Kooperativen können sich einen bescheidenen Zuverdienst erwirtschaften, falls sie jemanden finden, der ihnen Emissionsgutschriften für die nicht vom Weltbankanspruch "besetzte" Waldfläche abkauft. Angesichts der wachsenden Konkurrenz in der Branche des CO2-Handels wird das womöglich nicht so einfach sein. Nach zehn Jahren darf die Hälfte der Bäume gefällt und das Holz verkauft werden, wobei die Einnahmen unter den Mitgliedern der Kooperative verteilt werden müssen.

Die Weltbank beabsichtigt, im Zuge dieser Initiative insgesamt 726.000 Dollar für CO2-Zertifikate auszugeben, wobei sie für das Humbo-Projekt vier Dollar pro Tonne CO2 über eine Laufzeit von zehn Jahren berechnet, teilte Hailu Tefera, Leiter des Climate Change Programmes Department bei World Vision mit. Der Preis von vier Dollar pro Tonne CO2 sei niedrig angesetzt, weil das Risiko von Waldbränden bestehe, so Hailu. [2]

Wenn die 34.000 Dollar der Weltbank auf 800 Mitarbeiter in sieben Kooperativen verteilt werden, macht das für jeden Beteiligten im Durchschnitt 42,5 Dollar. Da die Summe offenbar über zehn Jahre ausgegeben wird, kommt eine Person auf 4,2 Dollar pro Jahr oder knapp über einen US-Cent pro Tag. Bei der von der Weltbank in Aussicht gestellten Gesamtinvestitionssumme von 726.000 Dollar über zehn Jahre erhielte eine Person pro Tag rund 21 US-Cent. Diese Person muß vielleicht noch eine Familie ernähren ...

Sicherlich, da zig Millionen Äthiopier von weniger als einem Dollar pro Tag ihr Dasein fristen müssen, würden sie eine zwanzigprozentige Erhöhung ihres Budgets nicht verachten, aber daß diese Menschen hierdurch aus der Armut geholt werden, ist ganz und gar unglaubwürdig. Und es handelt sich noch um ein Pilotprojekt, das vorteilhaft erscheinen soll, damit andere zum Mitmachen verleitet werden. Die Bedingungen späterer Projekte, wenn der Emissionshandel etabliert ist, könnten noch ungünstiger für die "Waldhüter" ausfallen.

Summa summarum bleibt festzustellen, daß die Industriestaaten viel heiße Luft produzieren, wenn sie den Kohlenstoff-Zertifikathandel als ernsthafte Maßnahmen gegen Armut preisen. Ländern wie Äthiopien sei es gegönnt, wenn es ihnen gelänge, karge Regionen wiederaufzuforsten, und sie darüber hinaus einen bescheidenen Mitnahmeeffekt durch den CO2-Zertifikathandel erzielten. Aber der zu entrichtende Preis für diese Vergünstigungen sollte nicht unterschätzt werden. Selbst wenn Bäume als "Abfallbehälter" für die industriellen Verbrennungsgase fungieren, was ohne Zweifel sehr attraktiv erscheint, sollte nicht übersehen werden, daß wir es hier mit einer Form von Abgaswirtschaft zu tun haben, die ähnlich wie die Entsorgung von feststofflichen und flüssigen Abfällen entsprechend gering entlohnt werden wird.

Darüber hinaus muß bedacht werden, daß der Kohlenstoffzertifikathandel Länder wie Äthiopien auf dem Produktionsniveau eines Agrarlands beläßt. Dagegen spräche an sich zunächst einmal nichts, wenn es denn darauf hinausliefe, Hunger und Armut dauerhaft zu verbannen und der Bevölkerung zu einem nicht von ökonomischen Existenzsorgen geplagten Leben zu verhelfen. Das Problem dabei ist allerdings, daß immer wieder behauptet wird, aus Entwicklungsländern würden Schwellenländer und schließlich Industriestaaten werden; das sei sozusagen ein volkswirtschaftlicher Selbstgänger. Der CO2-Zertifikathandel nährt dieses unerfüllte Versprechen.

Mit einer ähnlichen Verheißung wie der des Emissionshandels haben sich die afrikanischen Regierungen einst der Plantagenwirtschaft und dem Monokulturanbau verschrieben - das hat sich nicht nur tiefer in die Armut getrieben, sondern auch die Umwelt stark belastet. Anschließend haben sie sich Strukturanpassungsmaßnahmen unterworfen, wodurch häufig die heimische Landwirtschaft zerstört wurde und viele Menschen in Armut fielen. Schließlich haben sie Ländereien an ausländische Investoren verkauft oder verpachtet, so daß diese für den Export vorgesehene Pflanzen für Agrosprit oder Nahrung anbauen und außer Landes bringen können. Nun kommt der Zertifikathandel und die Inwertsetzung der letzten Naturressourcen als weiteres Luftschloß hinzu.

Die zukünftigen afrikanischen Entsorgungskräfte für industrielle Abgase sollten sich darüber klar sein, daß sich nur die Methoden zur Aufrechterhaltung des Nord-Süd-Gefälles, nicht aber die Absichten derjenigen, welche von dieser Ordnung profitieren und die Regeln des Geschehens bestimmen, gewandelt haben. Es sind die gleichen Kräfte, welche die meisten Vorteile von der ungeregelten Abgasentsorgung hatten und sich jetzt dagegen wehren, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Und die zu verhindern versuchen, daß auf Wachstum und Kapitalakkumulation zielende Konzepte des Wirtschaftens Verbreitung finden und die Produktion von Treibhausgasen nachdrücklich unterbunden wird, beispielsweise durch eine hohe Besteuerung der Inanspruchnahme von hohen Emissionsraten.

Im ersten Schritt einer Kurskorrektur könnte das die Umverteilung von oben nach unten befördern, wobei die einkommenschwachen gegenüber den wohlhabenden Personen und die armen Länder gegenüber den reichen begünstigt würden. Ein Handel mit Emissionsgutschriften, wie er im hier beschriebenen Pilotprojekt betrieben wird, leistet dies nicht. Im Gegenteil. Damit wird der Anschein einer gerechteren Welt erweckt und somit ein Platz besetzt, der zumindest die Möglichkeit der Verwirklichung einer emanzipatorischen Entwicklung greifbar erscheinen läßt. Noch einmal: Warum sollen afrikanische Regionen Abgasverwahrer für die ersten Welt werden, wenn sie gleichzeitig an der Entwicklung ihrer Produktivität abgehalten werden?


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Anmerkungen:

[1] Näheres dazu unter INFOPOOL -> UMWELT -> REPORT:
BERICHT/001: WeltRisikoIndex - Besuch einer Fachtagung (SB)

[2] "Ethiopia: First Ever Carbon Credit Trade", Addis Fortune (Addis Ababa), 21. Oktober 2010
http://allafrica.com/stories/201010220379.html

[3] PROJECT INFORMATION DOCUMENT (PID) - CONCEPT STAGE, Report No.: 35687, Project ID P098428 http://www-wds.worldbank.org/external/default/main?pagePK=64193027&piPK=64187937&theSitePK=523679&menuPK=64187510&searchMenuPK=64187283&theSitePK=523679&entityID=000012009_20060329115411&searchMenuPK=64187283&theSitePK=523679

26. Oktober 2010