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AFRIKA/2042: Globale Hungeradministration - Brosamen für Somalia (SB)


Hilfslieferungen für Somalia reichen nur für einen kleinen Teil der Bedürftigen

Westlicher Interventionismus mitverantwortlich für Notlage


Auch wenn es der internationalen Gemeinschaft einige Anstrengungen gekostet hat, eine Luftbrücke nach Somalia aufzubauen und Nahrungsmittel dorthin zu transportieren - gemessen am Bedarf bleibt es bei Brosamen. Für die jeweiligen Empfänger selbstverständlich von existentieller Wichtigkeit, zeigt sich die Hilfe in politischer Hinsicht als Feigenblatt der Weltgemeinschaft und legitimatorischer Vorwand für ganz andere Interessen. Beispielsweise für die Soldaten der Amisom (AU-Mission für Somalia), um im Windschatten der Nahrungsverteilung mit militärischen Mitteln Territorialgewinne gegen die somalischen Milizen zu erkämpfen. [1] Zuverlässiger kann man kaum deren Bereitschaft, ausländische Hilfskräfte ins Land zu lassen, zum Versiegen bringen.

Nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes, das zu den wenigen ausländischen Hilfsorganisationen gehört, die von den Al-Shabaab-Milizen in das von ihnen kontrollierte südsomalische Gebiet gelassen werden, wurden 3000 Tonnen Nahrungsmittel an 162.000 Personen in Süd- und Zentralsomalia verteilt. 24.000 Einwohner der besonders stark von der Dürre betroffenen Regionen Lower Shabelle und Bakool seien mit Bohnen und Reis für einen Monat versorgt worden, heißt es. [2] Die nächste Ernte wird erst im Dezember sein, wenn überhaupt. Denn erfahrungsgemäß wird in Bürgerkriegsgebieten die Landwirtschaft vernachlässigt, da es für die Bauern mit zu großen Risiken verbunden sein kann, aufs Feld zu gehen. Zudem herrscht in Somalia entweder Wassermangel oder aber es regnet zu stark, so wie in den letzten Tagen, was in beiden Fällen schlecht für die Landwirtschaft ist.

"Mehr als zwölf Millionen Menschen in Somalia, Kenia, Äthiopien und Dschibuti brauchen dringend Hilfe. Und die Zahl wächst täglich", mahnte die Nothilfekoordinatorin der Vereinten Nationen, Valerie Amos, laut Zeit online an. [3] Die Zukunft einer ganzen Generation stehe auf dem Spiel. Zehntausende Einwohner seien gestorben, Hunderttausenden drohe der Hungertod, sagte Amos am Sonntag in New York.

Die Vereinten Nationen schätzen, daß 3,7 Millionen Somalier, also etwa die Hälfte der Bevölkerung, nicht genügend zu essen haben. Davon gelten 1,5 Millionen als unmittelbar von Hunger bedroht. Hält man sich nun die obigen offiziellen Zahl der Empfänger von Nahrungshilfe vor Augen - 162.000 bzw. 24.000 - so läßt sich daran die enorme Kluft zwischen Versorgung und Bedarf ablesen.

Die Weltgemeinschaft hat es also gerademal zustandegebracht, rund jeden neunten der unmittelbar vom Hungertod bedrohten Somalier für eine befristete Zeit mit Nahrung zu versorgen. Insofern befristet, als daß 3000 Tonnen, verteilt auf 162.000 Personen, etwa 18 kg pro Person wären - wenn man die Bruttozahl mit der Nettozahl gleichsetzt. Mit jeder Verpackung und anderen Dingen, die in den 3000 Tonnen eingerechnet wurden, verringert sich die tatsächlich zur Verfügung stehende Nahrungsmenge. Und wir sprechen hier nicht über die Versorgungslage der gesamten bedürftigen Bevölkerung, sondern von vornherein nur über jede neunte Person, die rein rechnerisch Nahrung erhalten hat.

Die Zahlen, die vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) verbreitet werden, ergeben ein ähnliches Bild. Im vergangenen Monat hat Unicef auf dem Luft- und Seeweg Hilfsgüter nach Somalia gebracht, um im Süden des Landes 65.000 mangelernährte Kinder zu versorgen. Doch die Hilfsorganisation sagt selbst, daß allein in Südsomalia 1,25 Millionen Mädchen und Jungen, also beinahe die zwanzigfache Zahl, dringend auf Hilfe angewiesen sind. [3]

Wer nun die aktuelle Hungerkrise damit zu erklären versucht, daß sich die Al-Shabaab-Milizen weigern, bestimmte Hilfsorganisationen ins Land zu lassen, ignoriert den Anteil westlicher Interventionisten an der Lage. So hatte im Jahr 2005 der US-Geheimdienst CIA eine Bande somalischer Warlords finanziert und mit Waffen ausgerüstet, damit diese die an Einfluß gewinnende Union der Islamischen Gerichtshöfe zurückdrängen, sprich: die Drecksarbeit für die USA erledigen. Der Schuß ging nach hinten los. Binnen kurzer Zeit überrannten die sogenannten Islamisten das Land und brachten es im Juni 2006 unter ihre Kontrolle; ausgenommen die beiden abtrünnigen Provinzen Somaliland und Puntland.

Ein halbes Jahr regierten die Islamisten, was für die Somalier angenehm und unangenehm zugleich war. Erstmals seit vielen Jahren wurden in der Hauptstadt Mogadischu die Straßensperren abgebaut, an denen bis dahin jeder Passant Wegezoll entrichten mußte. Die Gewalt ging stark zurück, die Straßen galten fortan als weitgehend sicher. Auch der internationale Flughafen und der Hafen der Hauptstadt wurden wieder für ausländische Hilfsorganisationen befahrbar; das Piratentum an der somalischen Küste wurde von den Islamisten deutlich zurückgedrängt.

Es läßt sich denken, daß diese staatliche Ordnung einen Preis besaß, und der nennt sich Scharia. Die nun herrschenden Kräfte führten das islamische Recht ein und setzten es durch. Aus westlich-christlicher Sicht wirkt beispielsweise das Abhacken der Hand eines erwischten Diebes grausam. Ohne die Grausamkeit der einen Rechtsprechung mit der einer anderen relativieren zu wollen, aber manchmal ist es ganz nützlich, sich zu fragen, ob das jahrzehntelange Einsperren von Dieben in winzigen, weiß gestrichenen Einzelzellen, in die kein Tageslicht fällt, die nur für eine halbe Stunde am Tag verlassen werden dürfen, und das weitreichende Kontaktverbot, wie es in den Supermax-Gefängnissen der USA praktiziert wird, nicht ebenfalls extrem grausam ist.

Jedenfalls haben die Interventionen des Westens in den letzten zwanzig Jahren an mehreren historischen Eckpunkten Gegenreaktionen innerhalb der somalischen Bevölkerung ausgelöst, deren vorläufiges Endergebnis der Islamismus ist, wie er von Al Shabaab praktiziert und eingefordert wird. Angefangen von der Unterstützung des somalischen Diktators Siad Barre in den 1980er Jahren und seinen Sturz 1990, über den Vorwand der USA Anfang bis Mitte der 1990er Jahre, im Rahmen einer UN-Hungerhilfe den somalischen Warlord Aydeed zu fangen, über besagte CIA-Machenschaften 2005 bis zur Einsetzung einer im kenianischen Exil gegründeten somalischen Übergangsregierung mit Hilfe der äthiopischen Streitkräfte Ende Dezember 2006 und den wiederholten Raketenbeschuß vermeintlicher Terroristen durch die US-Marine und -Luftwaffe in den Folgejahren. Heute besteht die vom Westen unterstützte Übergangsregierung teils aus gemäßigten Islamisten, die vor fünf Jahren noch aus Mogadischu vertrieben wurden, während Al-Shabaab ein Abspaltungs- und Radikalisierungsprodukt ist.

In dem hier erwähnten Zeitraum hat in Somalia permanent Hunger geherrscht, mal mehr, mal weniger. Wenn seine Beendigung und der Erhalt des Lebens der Bevölkerung Priorität bei der Weltgemeinschaft, aber auch bei den einheimischen Clansführern und Strippenziehern in Äthiopien, Eritrea und Saudi-Arabien genossen hätten, müßte heute in Somalia niemand verhungern.

Über Ausmaß und Tiefe der Beteiligung der jeweiligen Akteure an der Hungerlage in Somalia läßt sich streiten. Für die Verwertungsabsichten der global vorherrschenden Kräfte ging und geht jedoch um andere Dinge als den unbedingten Schutz der Bevölkerung. Für sie stellt der radikale Islamismus sicherlich ein Problem dar. Nicht zu unterschätzen sollte allerdings die relative Unbotmäßigkeit der in Clane und Unterclane gegliederten somalischen Gesellschaft. Vergleichbar am ehesten mit dem Nomadentum, wie es beispielsweise die Tuareg in der Sahelzone pflegen und weswegen ihre Kultur zerstört wird, erweisen sich die somalischen Clane als wenig kompatibel mit den Verwertungsabsichten der globalhegemonialen Interessen. Über deren Motive sollte man sich nichts vormachen. Die Hungerhilfe, die, wie oben erläutert, nur einen kleinen Teil der bedürftigen somalischen Bevölkerung erreicht, erfüllt eine strategische Funktion. Ganz anders als Libyen, aber doch von der Zielsetzung ähnlich, soll Somalia in die Weltordnung integriert werden. Das gegenwärtige politische Kampfmittel dazu nennt sich Hungerhilfe, schon morgen kann es die militärische Intervention sein.

Fußnoten:

[1] "Neue Kämpfe in Somalia entbrannt. Töpfer fordert UN-Militäreinsatz", Neues Deutschland, 1. August 2011
http://www.neues-deutschland.de/artikel/203427.neue-kaempfe-in-somalia-entbrannt.html

[2] "Red Cross calls for more aid as supplies reach Somali famine victims", The Guardian, 1. August 2011
http://www.guardian.co.uk/global-development/2011/aug/01/red-cross-aid-somali-famine Neues Deutschland

[3] "UN sehen in Somalia eine ganze Generation in Gefahr", Zeit online, 31. Juli 2011
http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-07/somalia-hungersnot-fluechtlingskommissarin

[4] "UNICEF: Überleben der Kinder in Somalia muss oberste Priorität sein!", 2. August 2011, Originalquelle: Unicef
http://www.retter.tv/internationale-organisationen_ereig,-UNICEF-Ueberleben-der-Kinder-in-Somalia-muss-oberste-Prioritaet-sein-_ereignis,8599.html

2. August 2011