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AFRIKA/2080: Okzident versus Orient - Frankreichs Mali-Intervention (SB)


Frankreich meldet Vollzug - Islamisten aus Timbuktu vertrieben

Deutschland baut Kriegsbeteiligung aus



Gut zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ist die Welt schwarz-weiß geworden. Die Wirkmächtigkeit der Propaganda, mit der Feindbilder implementiert und tatsächlich Feinde geschaffen werden, hat seit der Blockkonfrontation nicht ab-, sondern erheblich zugenommen. Heute bekämpfen sich nicht zwei politische Systeme, sondern zwei Kulturen: Christentum gegen Islam, Okzident gegen Orient, Gut gegen Böse, "Wir" gegen "Die".

Da will die Bundesregierung nicht fehlen, verfolgt sie doch keine anderen hegemonialen Interessen als ihre EU- und NATO-Partner. Nun dehnt Deutschland seine Beteiligung am Militäreinsatz gegen Mali Zug um Zug aus. Nachdem zunächst zwei Transall-Transportmaschinen auf den Weg gebracht wurden, um afrikanische Soldaten aus den Nachbarstaaten in die malische Hauptstadt Bamako zu bringen, hat Verteidigungsminister Thomas de Maizière die Entsendung einer dritten Maschine angekündigt. Die Begründung: Bei nur zwei Maschinen würde ja de facto wegen Wartungsarbeiten nur eine im Einsatz sein.

Das konnte natürlich niemand vorher ahnen ... So wird aus zwei auf einmal drei. Und die sozialdemokratische Opposition nickt dies ab. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, erklärt, eine weitere Transall-Maschine zu entsenden, sei "kein Aufreger". [1]

Ebenfalls kein Aufreger dürfte in der Lesart Arnolds sein, daß die Bundeswehr im Senegal eine eigene Station aufbaut, deren Personal sich um die Wartung und Reparatur der Transall kümmert. Weitere Ausrüstungsgegenstände aus Bundeswehrbeständen wie beispielsweise schußsichere Westen und Lastwagen sollen ebenfalls eingebracht werden, und auf der Geberkonferenz vom Dienstag in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba hat die Europäische Union beschlossen, die Militärintervention in Mali mit insgesamt 50 Millionen Euro zu unterstützen. Der deutsche Anteil daran: 15 Millionen Euro. Eine Art Eintrittsgeld, das jeder entrichten muß, der zum Club der einflußreichen, die Weltgeschicke qua Selbstermächtigung lenkenden Staaten dazugehören will.

Zeitgleich zu dieser dosierten Kriegsbeteiligung strebt die Bundeswehr den Erwerb von bewaffneten Drohnen an, also ausgerechnet eines der aggressivsten und tödlichsten Mittel, mit denen insbesondere die USA ihren globalen Krieg gegen den sogenannten Terror vorantreiben. Hunderte von Zivilisten wurden bereits durch die ferngelenkten Flugroboter (UAV - Unmanned Aerial Vehicles) getötet - nicht nur in dieser Hinsicht hat Friedensnobelpreisträger Barack Obama seinen in Europa wenig beliebten Amtsvorgänger George W. Bush an Aggressivität übertroffen.

Militärisch sind die Amerikaner im Mali-Feldzug den Deutschen weit voraus. Sie verhandeln bereits mit den Regierungen in Niger und in Burkina Faso, ob sie in einem der Länder eine Basis für Drohnen aufbauen dürfen. Mit den unbemannten Fluggeräten will die US-Regierung Nordwestafrika "überwachen", berichtete die New York Times [2]. Die Drohnen sollen anfangs unbewaffnet sein, was allerdings nicht ausschließt, daß nicht zu einem späteren Zeitpunkt bewaffnete UAVs eingesetzt werden.

Es kommen starke Zweifel auf, daß sich die USA und die beiden afrikanischen Länder bei den sogenannten Verhandlungen über einen Drohnenstützpunkt auf Augenhöhe begegnet sind. Jedenfalls ist das US-Militär bislang mit seinem Ansinnen, die Kommandostelle Africom von Stuttgart in ein afrikanisches Land zu verlegen, gescheitert. Selbst die Verbündeten der USA haben sich der Bitte ihres großen Bruders verweigert.

Die USA befänden sich durchaus in der Lage, den Regierungen Nigers und Burkina Fasos mit Verweis auf die Konflikte in Libyen, Syrien und Mali ein Angebot zu unterbreiten, das diese nicht ablehnen können. Allerdings werden aus Burkina Faso sowieso bereits Drohnen im Auftrag von privaten Sicherheitsfirmen gestartet, und die Regierung Nigers hat schon ein Abkommen über die Stationierung von US-Soldaten geschlossen. [3] Des weiteren haben die USA in den letzten Jahren mit Einverständnis afrikanischer Staaten ein Netz von kleineren Pisten und ad-hoc ausbaufähigen Stützpunkten auf afrikanischem Boden angelegt.

Unterdessen berichtet die Bild-Zeitung [4] unter Berufung auf ein ihr vorliegendes Geheimpapier, daß deutsche Sicherheitsbehörden damit rechnen, daß "fanatisierte Einzeltäter oder Kleinstgruppen das Engagement der Bundeswehr in Mali zum Anlass nehmen, Anschläge zu verüben". Dutzende deutsche "Islamisten" befänden sich in "Terror-Camps" und seien von al-Qaida mit konkreten Instruktionen für ihren Einsatz gegen deutsche Institutionen sowohl im In- als auch im Ausland ausgestattet, heißt es angeblich in dem Sicherheitspapier. 2012 hätten sich 50 Islamisten in den Lagern ausbilden lassen, hinzu kämen 100 deutsche Islamisten mit paramilitärischer Ausbildung, die sie in früheren Jahren erhalten haben. Mehr als die Hälfte von diesen von den Behörden als "Gefährder" eingestuften Personen befände sich wieder in Deutschland. Zu ihnen gehörten viele Deutsche mit Migrationshintergrund und zum Islam Übergetretene. Zehn Islamisten seien in Haft, so die Bild-Zeitung.

Es ist schon erstaunlich, wie konkret die deutschen Sicherheitsbehörden angeblich über Zahl, Herkunft und Verbleib mutmaßlicher Islamisten Bescheid wissen, aber wie wenig konkret sie sagen können, was denn jene "Gefährder" eigentlich vorhaben. Da kommt der Eindruck auf, als würden auf diese Weise Feindbilder geschaffen und eine allgemeine Bedrohungslage aufgebaut. Die erleichtert es dann natürlich, die Verfügungsgewalt allgemein zu vertiefen und konkret, die Anschaffung von Killerdrohnen für die Bundeswehr gegen etwaige Widerstände in der Gesellschaft durchzusetzen.

Die legendäre Wüstenstadt Timbuktu wurde von den Islamisten befreit, jubelten die Medien zuletzt. Die Soldaten Frankreichs und Malis hätten die Kontrolle über die 50.000 Einwohner zählende Stadt erlangt. So sehr auch diesen zu wünschen ist, daß sie fortan so leben können, wie sie es wollen, so wichtig ist es doch, die Hintergründe des Konflikts nicht aus den Augen zu verlieren. Der eigentliche Auslöser war eine Erhebung der Tuareg in Nordmali. Verstärkt wurde sie durch den Zustrom von Tuareg, die aus Libyen fliehen mußten, wo die NATO-Staaten zuvor eine Allianz aus Warlords aufgerüstet und unterstützt hatten, um erstens den Keim einer innerlibyschen Demokratiebewegung auszubremsen und zweitens Libyens Machthaber Gaddafi zu stürzen.

In Mali wird der Tuareg-Aufstand ebenfalls ausgebremst, wobei nach Ansicht von Analysten aus dem angloamerikanischen Raum, wie Paul Woodward und der Anthropologieprofessor Jeremy Keenan von der London University's School of Oriental and African Studies, der algerische Geheimdienst DRS (Département du Renseignement et de la Sécurité) Islamistengruppen wie Al-Qaeda in the Islamic Maghreb (AQIM) unterwandert und gesteuert hat. Auch geht die Rede von einer Spezialeinheit des US-Geheimdienstes namens Proactive, Preemptive Operations Group (P20G), die im Jahr 2002 unter US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zu dem Zweck ins Leben gerufen worden sei, um sogenannte terroristische Gruppen zu provozieren, damit diese Gewalttaten begehen, die wiederum den US-Streitkräften als Legitimation für "Gegenmaßnahmen" dienen sollten. Wörtlich heißt es bei Paul Woodward: "Seit der El Para Operation hat Algeriens DRS in Komplizenschaft mit den Vereinigten Staaten und dem Wissen anderer westlicher Geheimdienste Al Qaida im Islamischen Maghreb durch die nahezu vollständige Infiltration seiner Führungspitze benutzt, um ein terroristisches Szenario zu erzeugen. Vieles an dem terroristischen Bild von der Sahara-Sahel-Region, das Algerien und seine westlichen Verbündeten gemalt haben, ist ganz und gar falsch." [5]

Ob diese Aussage in ihrer ganzen Breite zutrifft, ob sie unter- oder übertreibt - jedenfalls ist von der Geschichte her bekannt, daß die NATO-Staaten Falsche-Flagge-Operationen durchführen. So kamen allein beim Bombenanschlag 1980 auf den Bahnhof von Bologna 85 Menschen ums Leben und 200 wurden verletzt. Sie wurden Opfer einer geheimdienstlich orchestrierten Politik der Spannung. Die sollte den Ruf nach einem starken Staat wecken und dadurch eine Regierungsübernahme durch die Kommunistischen Partei Italiens vereiteln. Zur damaligen Zeit haben sich die Geheimdienste der NATO-Staaten vorzugsweise neofaschistischer, rechtextremer Gruppierungen bedient, um solche Manöver gegen die eigene Bevölkerung durchzuführen. Heute, so scheint es, erfüllen unter anderem islamistische Gruppierungen diese Funktion.

Während sich die Tuareg, um deren Befreiungsanliegen es in diesem Konflikt eigentlich ging, noch anbieten, an der Seite der malischen Regierungsarmee und der Franzosen gegen die Islamisten zu kämpfen, meldet Frankreichs Militärapparat Vollzug. Timbuktu, die letzte größere Stadt, wurde "befreit". Schon werden auf der Geberkonferenz in Addis Abeba 337 Millionen Euro an Aufbauhilfe für Staat und Militär Malis zugesagt. Frankreichs Präsident François Hollande kündigte an, daß die französischen Soldaten nicht in Mali bleiben und genauso schnell wieder abgezogen werden, wie sie entsandt worden seien. Das Aufspüren der Islamisten im Norden Malis sollten die afrikanischen Eingreiftruppen von AFISMA (African-led International Support Mission to Mali) übernehmen.

Bis spätestens 31. Juli sollten faire und freie Wahlen abgehalten werden, versprach Mali Übergangspräsident Dioncounda Traoré auf der Geberkonferenz. Also wird alles wieder gut? War Frankreichs überaus freizügige Interpretation der UN-Resolution 2085 und sein eigenmächtiges militärisches Eingreifen am 11. Januar nur eine kurze, wenngleich heftige Intervention, allein entstanden aus dem hehren Wunsch, Islamisten den Weg nach Bamako zu versperren, sie aus den großen Städten Malis zu vertreiben und die französischen Staatsbürger in Mali zu schützen? Und ist die Ebene der klandestinen Machenschaften geheimdienstlicher Netzwerke von Algerien bis in die USA zwecks Einschüchterung der eigenen Bevölkerung eine bloße Erfindung überspannter Publizisten und Wissenschaftler?

Alles anderes als das. Selbst wenn sich die französischen Soldaten, wie angekündigt, in kurzer Zeit aus Mali wieder zurückziehen und das Feld anderen überlassen sollten, führt das Beispiel deutlich vor Augen, wie hemmungslos NATO-Staaten inzwischen das Militär sprechen lassen und wie wenig das in den Mainstreammedien kritisch reflektiert wird. Fast scheint es, als ließe sich eine andere Antwort als die der überlegenen militärischen Feuerkraft auf solche Konflikte schon gar nicht mehr denken. In diesem Sinne könnte der Krieg in Mali Vorbote einer neuen Zeit und eines anderen Menschenbilds sein.


Fußnoten:

[1] "http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1359383197422

[2] http://www.nytimes.com/2013/01/29/us/us-plans-base-for-surveillance-drones-in-northwest-africa.html?hp&_r=1&

[3] http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-01/usa-drohnen-basis-nordafrika

[4] http://www.bild.de/politik/ausland/terrorwarnung/neue-terror-gefahr-in-deutschland-28293860.bild.html

[5] http://warincontext.org/2013/01/25/how-bush-rumsfeld-and-algerian-intelligence-helped-foster-the-islamist-uprising-in-mali/

29. Januar 2013