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AFRIKA/2107: Eko Atlantic - eine Metropole im Meer für Nigerias Oberschicht (SB)


Küstenschutz war gestern - "Manhattan" statt Mangroven



In der nigerianischen Wirtschaftsmetropole Lagos wird zur Zeit eine Stadt für Reiche und Superreiche aus dem Boden gestampft, genauer gesagt, aus dem Meeresboden. Zehn Quadratkilometer Meeresfläche werden aufgeschüttet und sollen durch den "Great Wall of Lagos" gegen das anbrandende Meer gesichert werden. Die Eko Atlantic genannte Stadt wird einmal 250.000 Einwohnern eine Bleibe bieten. Nicht irgendwelchen Personen, sondern nur denen, die es sich leisten können. Jene 100 Millionen Nigerianer aber, die von durchschnittlich weniger als einem Dollar pro Tag leben, müssen draußen bleiben. Sie werden vermutlich nicht einmal zu den 150.000 Pendlern gehören, die in der neuen Stadt, die über nur wenige Zufahrtswege erreichbar und damit relativ leicht gegenüber den "sozial Benachteiligten" abzuschotten ist, einen Arbeitsplatz haben sollen.

Eko Atlantic ist ein gigantisches Projekt, das die Hafencity in Hamburg oder den Bahnhof Stuttgart 21 weit in den Schatten stellt. Vergleiche mit Manhattan und Hongkong sind nicht übertrieben. In den Aufbau von Eko Atlantic City fließen viele Milliarden Dollar, die an anderen Orten in Nigeria eingesetzt werden könnten, wo unmittelbare Überlebensnot zu beheben wäre. Beispielsweise könnte man das Geld für die Bereinigung des Nigerdeltas von den teils jahrzehntealten schmutzigen Hinterlassenschaften der Erdölindustrie und zur Stärkung der örtlichen Fischerei und Landwirtschaft stecken.

Aber so ein Vergleich geht natürlich am Kern des Problems weit vorbei. Der Reichtum von wenigen gründet sich ja gerade auf der Armut von vielen. Wenn es einer kleinen Oberschicht nicht gelungen wäre, die Einnahmen aus dem Erdölexport Nigerias entweder am Staat vorbei oder mit Hilfe staatlicher Institutionen auf privaten Konten anzusammeln, würden gar nicht erst milliardenschwere Investitionsvorhaben wie Eko Atlantic ersonnen.

Dabei hatte das Städtebauprojekt, für das eigens das Unternehmen South Energyx Nigeria Limited gegründet wurde, ursprünglich einen relativ harmlosen Anfang genommen. Der Küstenabschnitt Bar Beach von Victoria Island in Südlagos, vor dem nun die nigerianische "Metropolis" entstehen soll, ist schweren Erosionskräften ausgeliefert und von Überflutungen bedroht. Im Jahr 2003 beschloß die Staatsregierung von Lagos, einen Küstenschutz zu errichten, der das Problem ein für alle Mal behebt. Aus dieser Idee ist nun gleich eine ganze Stadt geworden: Die Stadt der Reichen als Bollwerk gegen die Naturgewalten - was für eine Symbolkraft!

Im September 2009 attestierte die Stiftung Clinton Global Initiative dem Projekt, es handele sich um eines der inspirierendsten und ambitioniertesten Bauvorhaben in ganz Afrika. Eine zutreffende Einschätzung, doch weniger wegen seiner Funktion als Küstenschutz, sondern weil in Eko Atlantic die Reichen ihr Vermögen in Bausubstanz anlegen und auf diese Weise gegen einen Währungsverfall sichern sowie durch neue Geschäftstätigkeiten, die zukünftig womöglich in den bis zu 35 Stockwerke hohen Bürogebäuden mit Meeresblick ausgeheckt werden, vermehren können. Das könnte andere Wirtschaftseliten Afrikas auf ähnliche Ideen bringen.

Die Befürworter des Milliardenprojekts argumentieren, daß Eko Atlantic notwendig ist, um die Küste zu schützen. Was die sechs Meter hohe und acht Kilometer lange "Große Mauer von Lagos" angeht, die aus 100.000 X-förmigen, fünf Tonnen schweren Betonblöcken, die als Wellenbrecher fungieren, errichtet wird, mag das Argument noch plausibel sein. Denn an Victoria Island greifen Erosionskräfte an, die zu den weltweit stärksten gehören. Ohne einen Schutz würde die Insel womöglich vom Meer abgetragen. Aber ob die geplanten 1200 Wohnhäuser, Freizeitanlagen, kulturellen Einrichtungen, der Jachthafen, die Restaurants und Bars sowie die vielen anderen kleinen und großen Infrastrukturmaßnahmen, die für eine Stadt mit einer Viertelmillion Einwohnern, die einen vergleichsweise hohen Lebensstandard beanspruchen, nötig sind, um das Meer aufzuhalten, ist gelinde gesagt zu bezweifeln.

Die Baukosten werden, so heißt es, von der Privatwirtschaft getragen. Hinter dem Projekt stecken unter anderem die Chagoury Group mit dem Ableger South Energyx Nigeria Limited, First Bank of Nigeria, Dredging International (DI), Royal Haskoning, BNP Paribas Fortis, KBC Bank, Guaranty Trust Bank Plc. Aber selbstverständlich beteiligt sich auch die Stadt Lagos an den Investitionen. An diesem Beispiel führt das Wort "privat" seine ursprüngliche Wortbedeutung vor Augen, stammt es doch von lateinisch "privare" - rauben - ab. Der Staat bietet hierfür den politischen Ordnungsrahmen. Auf der Armut von vielen gründet sich der Reichtum von wenigen, die in Kooperation mit ihren internationalen Geschäftspartnern seit Jahrzehnten Einnahmen aus dem Erdölexport der Allgemeinheit vorenthalten und sie statt dessen auf eigene Konten schleusen oder in Projekte wie Eko Atlantic stecken.

Es dürfte kein Zufall sein, daß die nun mit Milliardenaufwand geschützte Victoria Island das Finanz- und Wirtschaftszentrum von Lagos bildet und daß das Geschäftsviertel der erste von zehn Stadtbezirken Eko Atlantics sein soll, der fertiggestellt werden soll.

23. Januar 2014