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AFRIKA/2120: Westsahara 40 Jahre Kolonie Marokkos - fortgesetzte Repressionen gegen Saharauis (SB)


Kolonialismus aktuell - Marokko hält unverdrossen Westsahara besetzt


Seit 40 Jahren hält Marokko große Teile der Westsahara besetzt, das Land gilt als die letzte Kolonie Afrikas. Aus diesem Grund ist Marokko als einziger Staat des Kontinents auch nicht der 2002 geschaffenen Afrikanischen Union beigetreten. Sinnbild des von dem Maghrebstaat mal brutal, mal subtil verwirklichten Prinzips des Teilens und Herrschens ist der 2700 Kilometer lange, mit Tretminen und Stacheldraht bestückte und von Soldaten bewachte Grenzwall namens Berm zwischen dem besetzten und dem von der saharauischen Befreiungsbewegung Polisario Front kontrollierten, an Algerien und Mauretanien grenzenden Gebiet.

Seit die Polisario Front, die im Unterschied zu Marokko ein egalitäres Gesellschaftsmodell betreibt, 1991 die Waffen niedergelegt hat, damit in Westsahara eine Volksabstimmung über die Zukunft des Landes abgehalten wird, hat sich an der politischen Lage des Landes nichts geändert. Mit allen Mitteln der Kunst, seine Herrschaft zu befestigen, lenkt das Königreich die Entwicklung seiner Kolonie. So wie vor vier Jahrzehnten zunächst Soldaten die Kontrolle übernahmen, als sich Spanien 1975 aus dem Land zurückzog, wird die Vorherrschaft Marokkos auch heute noch durch einen entwickelten Sicherheitsapparat zutiefst befestigt.

Aber eben nicht nur dadurch. Noch als Westsahara "Spanisch-Sahara" hieß, ließ der Maghrebstaat beim "Grünen Marsch" zwischen Ende Oktober und Anfang November, abgesehen von zunächst 30.000 Soldaten, auch 350.000 Zivilisten von Südmarokko aus in die Westsahara einmarschieren. Seit Beginn der Besetzung, an der von 1976 bis 1979 Mauretanien beteiligt war, hat Marokko gezielt Bürger seines Landes zur Besiedlung der Westsahara angelockt und so die Bevölkerungszusammensetzung in seinem Interesse beeinflußt.

Oppositionelle wurden und werden entweder ins Gefängnis geworfen oder aber still und leise umgebracht. Wie viele der "Verschwundenen" von den marokkanischen Sicherheitskräften über dem Meer abgeworfen oder in der Wüste verscharrt wurden, ist nicht bekannt. Vor zwei Jahren wurden jedenfalls bei der Wüstenstadt Amgala die Knochen von acht Saharauis im Sand entdeckt. Da Spanien nach internationalem Recht noch immer die Jurisdiktion über dieses Gebiet hat, wird der Vorfall von der spanischen Gerichtsbarkeit behandelt.

Der spanische Untersuchungsrichter Pablo Ruz hat sogar noch mehr getan, indem er die mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen Marokkos zwischen den Jahren 1975 bis 1992 untersucht und detailreich beschrieben hat. In seinem abschließenden Bericht wirft Ruz elf hochrangigen Vertretern Marokkos Mord, Folter und die Bombardierung von Dörfern mit Napalm vor, berichtete der Deutschlandfunk am 13. April; gegen sieben der Beschuldigten seien internationale Haftbefehle ausgestellt worden. [1]

Gut angepaßte Saharauis werden von Marokko geschickt in die Verwaltungsstrukturen eingebunden und bekleiden teils hochrangige Positionen. So berichtete Mounia Meiborg für SWR2, daß der Wali - Gouverneur - der Provinz El Aaiún vom Volk der Saharauis stammt und sogar eine Führungsposition bei der Polisario Front eingenommen hatte, bevor er die Seiten wechselte. Yahdih Bouchaab sei "der mächtigste Mann der Westsahara". Der frühere Botschafter Marokkos in Schweden ist somit Stellvertreter des marokkanischen Königs in der Provinz El Aaiún. Vom Volk der Saharauis sind auch der Bürgermeister von El Aaiún und der Gouverneur der Region Smara. [2]

Die Kultur der Saharauis wird systematisch unterdrückt. Auch das gehört zum Arsenal der Methoden, mit denen Marokko versucht, die Annexion unumkehrbar zu machen. Das Hinauszögern des Referendums ist dabei eine der entscheidenden Maßnahmen. Marokko spielt auf Zeit, denn Zeit spielt den Besatzern in die Hände. Ein Teil der Saharauis ist längst in die marokkanische Gesellschaft integriert, jeder von ihnen hätte persönlich einiges zu verlieren, sollte sich der Konflikt verschärfen.

Daß ganz dicht unterhalb der Oberfläche der schönen, heilen Welt, die der Staat vorgaukelt, ein finsterer Abgrund lauert, in den jeder hineingeraten kann, der in irgendeiner Weise an dem Grundwiderspruch rührt, daß Marokko definitiv eine Besatzungsmacht ist und die Saharauis keine Fremdherrschaft akzeptieren, wird in einem aktuellen Bericht zu Menschenrechtsverletzungen deutlich, den der norwegische Students' and Academics' International Assistance Fund (SAIH) aus Anlaß des 40. Jahrestags der Besatzung herausgegeben hat. [3]

Datiert auf den 13. April werden in dem Report "Acting with Impunity. Morocco's Human Rights Violations in Western Sahara and the Silence of the International Community" Menschenrechtsverletzungen aufgeführt, die von marokkanischen Sicherheitskräften zwischen April 2014 und April 2015 in Westsahara begangen wurden. Auch bleibt nicht unerwähnt, daß Marokko ebenfalls wegen der bereits betriebenen oder geplanten Ausbeutung von Rohstoffen (Phosphor, Erdöl, Fische) in der Westsahara gegen das Völkerrecht verstößt.

Nicht zuletzt wird in dem Bericht, wie der Titel schon verrät, auf das "Schweigen der internationalen Gemeinschaft" hinsichtlich der Repressionen gegen die Saharauis aufmerksam gemacht. Damit richtet sich der Vorwurf unter anderem gegen die UN-Mission MINURSO, die das Referendum vorbereiten soll und aufgrund des UN-Sicherheitsratsmitglieds Frankreich, das ein Verbündeter Marokkos ist, nicht mit dem Mandat ausgestattet wurde, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. So besteht nun seit vielen Jahren die Situation, daß Blauhelmsoldaten Mord, Vergewaltigung, Folter und andere Menschenrechtsverletzungen seitens Marokkos an Saharauis mitbekommen, aber nicht dokumentieren und schon gar nicht verhindern. Die Initiative SAIH schließt sich der Forderung des Robert F. Kennedy Center for Justice & Human Rights an, das Mandat der MINURSO zu erweitern, damit die Blauhelme zumindest die staatlichen Übergriffe auf die Saharauis erfassen. [4]

Gestützt unter anderem auf aktuelle Berichte von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch aus diesem Jahr listet der norwegische Report 256 verschiedene Fälle von gut dokumentierten Menschenrechtsverletzungen auf, die allein in dem Zeitraum zwischen dem 1. April 2014 und dem 1. März 2015 begangen wurden.

Die Liste läßt sich fortsetzen. Vor wenigen Tagen verurteilte das Robert F. Kennedy Center die jüngsten Übergriffe der marokkanischen Polizei auf die saharauische Menschenrechtlerin Aminatou Haidar und andere, die zuvor an einer friedlichen Demonstration in der westsaharischen Stadt El Aaiún teilgenommen hatten. Kerry Kennedy, Direktor des RFK-Centers, berichtete, daß UN-Mitarbeiter selbst zu den Opfern zählten, als die marokkanische Polizei und deren Unterstützungskräfte am 14. April das Haus von Aminatou Haidar rund zwei Stunden lang mit Steinen bewarfen, dabei schwere Schäden anrichteten und auch einen Gast verletzten. Zudem wurden je ein Fahrzeug der UN und der Menschenrechtsorganisation CODESA, deren Vorsitzende Haidar ist, beschädigt. [5]

Passender hätte es zum 40. Jahrestag der Besatzung nicht kommen können: Man hatte sich bei Haidar versammelt, um über Menschenrechtsverletzungen in der Westsahara zu sprechen ...


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/westsahara-voelkermordprozess-gegen-marokkanische-ex.795.de.html?dram:article_id=316888

[2] http://www.swr.de/-/id=13071000/property=download/nid=660374/1msam5a/swr2-wissen-20140513.pdf

[3] http://saih.no/assets/docs/Acting-With-Impunity-Western-Sahara-report.pdf

[4] tinyurl.com/okw7kta

[5] tinyurl.com/q7r9j3j

21. April 2015


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