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AFRIKA/2143: Am Katzentisch (SB)


Mal schauen, wie man den Hungernden helfen kann ...


Das Bild ist vertraut: Die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten kommen an irgendeiner attraktiven "Location" desjenigen Landes, das die G7-Präsidentschaft innehat, zu einem informellen Treffen zusammen und reden über weltpolitisch bewegende Themen. Am zweiten Tag dürfen auch ein oder mehrere ausgewählte Vertreter afrikanischer Länder am Katzentisch Platz nehmen. Dann wird darüber gesprochen, daß man mehr im Kampf gegen Hunger, Armut und seit einigen Jahren auch Flüchtlinge tun müsse, und es werden vielversprechende Zusagen über Hilfe für diese Länder gemacht ... wenngleich stets mit der Aufforderung verbunden, daß die afrikanischen Staaten den Boden für die segensreichen Investitionen bereiten und ihre Zollschranken abbauen, die Staatsquote senken, Subventionen für Bildung, Landwirtschaft und Bedürftige streichen müßten und ähnliche soziale Grausamkeiten mehr, die als "gute Regierungsführung" (good governance) pervertiert werden.

Nach dem Gipfel gehen die Zusagen üblicherweise im Tagesgeschehen unter. Bei Nachforschungen stellt sich heraus, daß sie mit anderen Hilfezusagen verrechnet werden sollen, (die allerdings ebenfalls nicht eingehalten werden), oder beispielsweise längst für die Flüchtlingsabwehr ausgegeben wurden. Jedenfalls kehren die Vertreter Afrikas in ihre Heimatländer zurück und erklären dann der eigenen Bevölkerung entweder, daß sich die reichen Länder endlich ernsthaft ihrer existentiellen Probleme annehmen wollen, oder, Variante 2, daß sie nicht genügend tun. In beiden Fällen wird der Eindruck hinterlassen, daß die Interessen der von Hunger und Armut betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner Afrikas überhaupt wahrgenommen werden und die Beseitigung der Notlage irgendeine Bedeutung für irgend jemanden in der illustren Runde der Staatenlenker hätte.

Auf diese Weise wird hüben wie drüben der Eindruck von Stabilität erzeugt. Das heißt, es wird die vorherrschende Ordnung sowohl in den G7-Staaten als auch den eingeladenen afrikanischen Ländern gestärkt. Zugegeben, dieses Bild ist recht grob gezeichnet. Erfahrungsgemäß sind die Ausreden und Vorwände, um Hunger und Not in Afrika genau nicht ernsthaft in Angriff zu nehmen, differenzierter ...

Zur Zeit findet wieder ein G7-Treffen statt, Austragungsort ist Taormina auf Sizilien. Am Samstag, dem zweiten Tag des Treffens, soll es unter anderem um afrikanische Belange gehen. Dazu wurden die Staatschefs von Äthiopien, Kenia, Niger, Nigeria und Tunesien eingeladen. Möglicherweise spart man sich diesmal die Farce, mit gewaltig klingenden Zusagen bei der übrigen Welt Eindruck schinden zu wollen. Jedenfalls schreibt Spiegel online: "Ein milliardenschweres Hilfspaket, um die Versorgung mit Lebensmitteln in Dürreregionen langfristig zu verbessern, wird es allerdings wohl nicht geben. Der italienische Plan fand bisher weder in den USA noch in Japan die nötige Unterstützung." [1]

Doch selbst bei den Plänen Italiens kommt der Verdacht auf, daß nicht vorgesehen ist, den wohlfeilen Worten Taten folgen zu lassen. Raffaele Trombetta von der italienischen Vorbereitungsgruppe des G7-Gipfels, sagte laut Spiegel online: "Afrika ist für uns sehr wichtig. Wir wollen nicht bloß über die Krisen reden, sondern auch Innovationen fördern und sehen, was wir als Hilfe anbieten können." Was gibt es denn da noch zu sehen? Wie wäre es fürs erste mit Hungerhilfe? Klingt irgendwie nicht so, als müßte man lange zusehen, wie man helfen kann. Davon unbenommen kann man ja immer noch mittel- und langfristige Strategien entwickeln, um die Dauerhungerkrise in Afrika zu beenden. Wenn einem daran gelegen ist.

Das scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Noch immer hungern UN-Angaben zufolge weltweit rund 800 Millionen Menschen jedes Jahr, viele davon in Afrika, und es sind bei weitem nicht immer die gleichen Menschen, die hungern. Zig Millionen sterben im Laufe des Jahres, neue kommen hinzu. Wenn Hilfsorganisationen wie das Welternährungsprogramm WFP oder das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR Monat für Monat davon sprechen, daß in der gegenwärtigen Dürre in der Sahelzone, von Nigeria bis Somalia, mehrere Millionen Menschen akut von Hunger bedroht sind und sie einige Monate später nahezu wortgleich klingende Appelle an die Weltgemeinschaft richten, dann muß man wohl davon ausgehen, daß zwischenzeitlich viele Menschen bereits verhungert sind.

Aus welchen hehren Motiven heraus auch immer NGO-Mitglieder an die G7-Staaten appellieren, sie mögen sich des Hungers annehmen, und durchaus mit Zahlen aufwarten, die das große Ausmaß des Nahrungsmangels belegen, sind solche Aufrufe doch inzwischen zum Bestandteil der Hungerverwaltung geronnen. Hunger ist keine Naturkatastrophe, sondern wird gemacht oder zumindest in Kauf genommen. Da der Wohlstand der industrialisierten Staaten, wie sie in Taormina zusammengekommen sind, darauf aufgebaut wurde, daß ihn andere nicht für sich generieren konnten, macht man mit Appellen an die G7-Staaten den Bock zum Gärtner.

Die kapitalstarken Länder haben nicht das Interesse, Armut und Hunger grundsätzlich zu beseitigen. Das Wohlstandsgefälle innerhalb der industrialisierten Gesellschaften wie auch zwischen ihnen und denen des Südens wird absichtlich aufrechterhalten und genährt, andernfalls drohten die vorherrschenden Produktionsverhältnisse fundamental in Frage gestellt zu werden. Wenn allen alles zur Verfügung stände, gäbe es keine Not, die verwaltet werden müßte, und Arbeit verlöre ihren fremdbestimmten Charakter. Damit die hiesige Gesellschaft so sein kann, wie sie ist, und Menschen fremdnützige, physisch und psychisch ruinöse Arbeit verrichten, bedarf es eines Bedrohungspotentials wie Arbeitslosigkeit, Hartz-IV-Regime und auch der sogenannten Dritten Welt mit ihren Hunger- und Konfliktgebieten.

Das vitale Interesse der G7-Staaten besteht nicht darin, Armut und Hunger aus der Welt zu schaffen, sondern im Gegenteil diese zu pflegen und als ordnungsstabilisierende Faktoren für sich zu instrumentalisieren. Vielleicht werden die afrikanischen Staatsführer nicht mit gänzlich leeren Händen aus Taormina weggehen, doch an der Lage der Notleidenden in Afrika wird sich absehbar nichts ändern.


Fußnote:

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/g7-gipfel-in-taormina-sechs-gegen-einen-staatschefs-treffen-sich-auf-sizilien-a-1149304.html

26. Mai 2017


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