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AFRIKA/2169: Mangel und Willkür - Hungerfronten ... (SB)



Wer am Hungertuch nagt, kann noch nicht tot sein, wäre die gegenwärtige akute Notlage von rund der Hälfte der Bevölkerung Südsudans zu beschreiben. Wenn das zynisch klingt, dann nur deshalb, weil auf zynische Weise mit den dort lebenden Menschen umgegangen wird. Aufgerieben zwischen den Mahlsteinen zweier rivalisierender Völker, vernachlässigt von den Betreibern des "erfolgreichen" Nation-buildings, heimgesucht von Unwetterkatastrophen und verstrickt in lokale Streitigkeiten um Wasser und Weiden, müssen sie täglich um ihr Überleben kämpfen. Einige Menschen essen vor lauter Hunger bereits Gräser und Unkraut. Zwar erkranken sie daran, "aber das ist die einzige Chance zu überleben", sagte eine Frau aus der Stadt Pibor im östlichen Bundesstaat Boma gegenüber dem Oxfam-Landesdirektor für Südsudan, Nicolo Di Marzo [1].

Bereits im vergangenen Jahr hatte Südsudan nach Jahren des Bürgerkriegs eine schwere Hungersnot erlebt und erlitten. Internationale Hilfslieferungen vermochten die Not ein wenig zu lindern. Die fundamentalen Probleme der Nahrungsmangels sind damit nicht behoben, wie sich an der aktuellen, unzureichenden Versorgungslage der Bevölkerung unschwer ablesen läßt. Der britischen Hilfsorganisation Oxfam zufolge haben rund fünf Millionen Menschen nicht genügend zu essen. Besonders betroffen ist Pibor und Umgebung, denn dort wurden Teile der Ernte durch Überschwemmungen und Schädlingsbefall vernichtet. Jetzt, mit der Regenzeit, werden die Landwege unpassierbar und es muß eigens Nahrung aus der Hauptstadt Juba eingeflogen werden. Jedoch können sich viele Menschen die vergleichsweise hohen Preise für diese Nahrungsmittel nicht leisten. Also doch wieder Gräser und Unkraut.

"Auf eine formale Erklärung zu warten, daß in Südsudan Hunger herrscht, genügt nicht", sagte Nicolo Di Marzo. "Die Leute hungern bereits und sind verzweifelt." [2]

Damit spricht der Oxfam-Mitarbeiter ein Problem an, daß bestimmte globaladministrative Mechanismen erst dann in Gang gesetzt werden, wenn die Not bereits eingetreten oder gar voll entwickelt ist. Anders gesagt, wenn Menschen dahinsiechen oder gestorben sind. Oxfam bezieht sich in seinem Bericht unter anderem auf Fews Net, einer von der US-Regierung finanzierten Institution zur Erfassung der Versorgungs- und Hungerlage weltweit. Was Di Marzo an dieser Stelle nicht erwähnt: Selbst wenn eine offizielle Einstufung einer Region als Hungergebiet vorliegt, bedeutet das noch lange nicht, daß Hilfslieferungen auf den Weg gebracht werden. Ein solcher Automatismus existiert nicht. Das Welternährungsprogramm, das weltweit die meiste Hungerhilfe leistet, muß jedesmal die internationale Staatengemeinschaft um finanzielle Unterstützung bitten, damit es seinen Job machen kann. Nicht selten bleiben die Zusagen unter dem Bedarf oder werden später nicht eingehalten. Außerdem "konkurriert" Südsudan gewissermaßen mit anderen Ländern der Region, in denen ebenfalls eklatanter Nahrungsmangel herrscht, wie zum Beispiel Somalia und Zentralafrikanische Republik, um Hilfsgelder.


Dargestellt wird der Zeitraum Januar 2016 bis März 2018 - Grafik: Fews Net, unter Verwendung von Daten von WFP und IPC South Sudan

Diskrepanz zwischen Zahl der Hungernden (rote Linie) und den Empfängern von Nahrungsmittelhilfe (blaue Linie). Der Anteil der Versorgten hat deutlich abgenommen (graue Säulen).
Grafik: Fews Net, unter Verwendung von Daten von WFP und IPC South Sudan

Die US-Regierung war es, die bereits in den 1990er Jahren auf eine Abspaltung Südsudans vom Norden gedrängt hat. Dabei haben sich die Amerikaner sicherlich nicht das Autonomiebestreben der Südsudanesen zu ihrem eigenen Anliegen gemacht, sondern sie wollten erstens einen islamischen Staat, der an der potentiell einflußreichen Schnittstelle zwischen der arabischen Welt und den Subsaharastaaten liegt, schwächen und zweitens China gegen das Schienbein treten. Denn China war Hauptabnehmer sudanesischen Erdöls, dessen Lagerstätten hauptsächlich auf südlichem Territorium liegen. Folglich gehören sie heute zu Südsudan.

Ab 2006 erhielt Südsudan weitgehende Autonomie, 2011 entschied die Bevölkerung per Referendum, daß sie sich vollends von Sudan abspalten will. Das Ergebnis der Abstimmung wurde ausgiebig gefeiert. Die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Der Machtkampf zwischen Präsident Salva Kiir vom Volk der Mayardit-Dinka und Vizepräsident Riek Machar vom Volk der Dok-Nuer wuchs zu einem Bürgerkrieg aus, der bis heute nicht abgeschlossen ist. Die gegenwärtigen Friedensverhandlungen in Addis Abeba unter Mediation der regionalen Staatenorganisation Intergovernmental Authority on Development (IGAD) treten auf der Stelle. Die Vorstellungen beider Seiten über die zukünftige Aufteilung der Machtverhältnisse in Parlament und Militär klaffen noch weit auseinander. Zudem verlangen die Anhänger Machars, der sich in Südafrika unter Hausarrest befindet, dessen Freilassung.

Sollten die Kontrahenten jemals ein Friedensabkommen schließen, und sollte dieses tatsächlich langfristig eingehalten werden, garantiert das nicht, daß es den Einwohnerinnen und Einwohnern Südsudans endlich um vieles besser gehen wird. Vor rund zehn Jahren waren im Zuge einer globalen Welle von Land-grabbing in Südsudan große landwirtschaftlich nutzbare Flächen an ausländische Investoren vergeben worden. Andere Länder, teils in Kooperation mit örtlichen Unternehmen, lassen hier Nahrungsmittel erzeugen und diese außer Landes bringen [3]. Es könnte sein, daß noch nicht verwirklichte Besitzansprüche vorgebracht und möglicherweise eingelöst werden, sobald die Sicherheitslage im Land dies zuläßt.

Ob die Menschen vor Ort einen Nutzen davon haben, wenn sie zu Lohnempfängern abgestempelt werden und Feldarbeit für andere verrichten dürfen, ist fraglich. Somit stände nach Beendigung des Bürgerkriegs - so wünschenswert dies auch wäre - die Konfrontation in einem noch viel schwieriger zu führenden Krieg an, einem Krieg gegen den Verfügungsanspruch fremdnütziger Interessen, welche sowohl dies- als auch jenseits der nationalen Grenze zu verorten sind.


Fußnoten:

[1] https://www.oxfam.de/ueber-uns/aktuelles/2018-05-28-drohende-hungersnot-suedsudan

[2] http://allafrica.com/stories/201805290082.html

[3] https://landmatrix.org/en/get-the-detail/by-target-country/south-sudan/

29. Mai 2018


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