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AFRIKA/2195: Unwetter - Hilfsmittelmangel für Friedens- und Katastrophendienste ... (SB)



Die internationale Hilfe für die Mitte März vom Wirbelsturm "Idai" heimgesuchten Länder Mosambik und seine Nachbarn Simbabwe und Malawi reicht bei weitem nicht aus, um die vielen in Not geratenen, häufig obdachlos gewordenen Menschen auch nur mit dem Nötigsten zu versorgen. Internationale Hilfsorganisationen wie das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) verteilen zwar Wasser und Nahrungsmittel an Hunderttausende Menschen - bedürftig sind jedoch Millionen. Manche entlegene Region ist nur schwer oder gar nicht zu erreichen. Der Rettungshilfe mangelt es an der erforderlichen Ausrüstung. Jede Armee der Welt ist besser ausgestattet als ausgerechnet jene Organisationen, die rund um den Globus Nahrungsmittel zu den in Not geratenen Menschen bringen sollen.

In Mosambik sind zahlreiche Hilfsorganisationen aktiv, unter ihnen ist das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen die größte. Sie leistet die meiste Hilfe und kann als Maßstab dienen, um die Diskrepanz zu verdeutlichen zwischen dem, was die Menschen im südöstlichen Afrika an Unterstützung dringend benötigen, und dem, was tatsächlich am Ende rüberkommt. Dabei verhält es sich nicht so, daß gar nichts getan wird. Beispielsweise wurden im April 800.000 Menschen gegen Cholera geimpft. Auch wurden mehrere hunderttausend imprägnierte Moskitonetze verteilt. Das WFP hat drei Hubschrauber angemietet, um Hilfsgüter in entlegene Regionen zu bringen. Dort wurden beispielsweise 20 Tonnen Energiekekse als Notrationen verteilt. Auch die Bevölkerung in der Stadt Beira, die weiträumig unter Wasser stand und in der viele Häuser zerstört wurden, erhielt Notrationen u.a. in Form von nahrhaftem Brei. Mit Hilfe einer Drohne des WFP kann sich die Regierung Mosambiks einen besseren Überblick über die Lage verschaffen.

Auf der anderen Seite, jener des dringenden Bedarfs, waren von dem Zyklon nach offiziellen Angaben 1,85 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner "betroffen". Rund 1000 Menschen starben. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef wurden bereits 7.500 Fälle von Malaria und 5.000 Fälle von Cholera registriert. Die Welthungerhilfe warnt vor einer "Katastrophe nach der Katastrophe". [1]

Auf der Südhalbkugel stand die Ernte kurz bevor, als durch den Zyklon etwa 700.000 Hektar Ackerland zerstört wurden. Eine halbe Million Kleinbauern und deren Familien haben teils oder komplett ihre Lebensgrundlage verloren. Es mangelt an Nahrung, Wasser und Saatgut, das rasch ausgebracht werden müßte, um wenigsten die nächste Haupterntezeit zu nutzen. Aber es mangelt vielerorts auch an vermeintlichen Kleinigkeiten wie landwirtschaftlichen Geräten. Zudem sind viele Tiere bei den Überschwemmungen umgekommen, was dazu beiträgt, daß die Menschen nicht einmal über jene geringen Kompensationsmöglichkeiten verfügen, die ihnen in manchen schlechten Erntejahren über die "lean season", die magere Saison, in der die alte Ernte aufgebraucht, die neue aber noch nicht reif ist, hinweggeholfen haben.

Zeitgleich zur unmittelbaren Notversorgung muß auch die Infrastruktur wiederhergestellt werden. Straßen, Brücken, Brunnen, Strommasten, Schulen, Krankenhäuser und vieles mehr wurden ein- oder umgerissen, sind weggebrochen oder wurden verschüttet. Die Weltbank schätzt die Wiederaufbaukosten für Mosambik, Simbabwe und Malawi auf 1,7 Milliarden Euro. Die deutsche Regierung hat 50 Mio. Euro als Nothilfe zugesagt. Das WFP teilte mit, es benötige 140 Millionen US-Dollar, um in den nächsten drei Monaten Ernährungshilfe für die Überlebenden des Zyklons leisten zu können. [2]

Daß es einem Teil der betroffenen Menschen in drei Monaten besser geht, einem anderen jedoch nicht, und daß danach die Bitte um Hilfsgelder von neuem losgetreten werden muß, wird zur Zeit noch nicht thematisiert. Die permanente Not, in der sich auch die UN-Hilfsorganisationen befinden, indem sie gezwungen werden, mangels eines umfassenden Budgets immer wieder an die "Geberländer" zu appellieren und, da diese ihren Bitten nicht oder nur teilweise nachkommen, zu improvisieren, taucht in den Medien kaum auf. Eigentlich müßten Hilfsorganisationen, die in kurzer Zeit jeden beliebigen Punkt der Erde erreichen und dort oftmals in einem sehr großen Umfang Hilfe leisten müssen, so gut ausgestattet sein wie ein staatlicher Militärapparat. Dann wäre ein Szenario denkbar, bei dem das WFP nicht drei Hubschrauber unter Vertrag nimmt, um ein so riesiges Gebiet wie Mosambik zu versorgen, sondern ein Vielfaches davon anmieten oder sogar selber aufbringen könnte.

Beispielsweise trieb sich im März dieses Jahres der atomar angetriebene Flugzeugträger USS John C. Stennis im Indischen Ozean herum. Doch als der Zyklon "Idai" am 15. März im Südosten Afrikas auf Land schlug, legte das Kriegsschiff nicht Kurs Richtung Süden an, um erste Hilfe zu leisten, sondern schipperte statt dessen in die Golfregion. Eine solche schwimmende Kriegsfestung, umgerüstet auf die Bedürfnisse der Katastrophenhilfe, könnte sehr viel mehr ausrichten als es die Hilfsorganisationen mit ihren Mitteln und Methoden bisher vermögen.

So ist die Welt allerdings nicht beschaffen. All das Kriegsgerät, das die Nationen angehäuft haben, rostet vor sich hin oder wird dazu verwendet, anderen Menschen das Leben zu nehmen oder es ihnen zumindest schwerzumachen, während vermeintlich schicksalshaft Menschen von Naturkatastrophen wie dem Zyklon "Idai" getroffen werden und verrecken müssen. Wenn die Welthungerhilfe vor der "Katastrophe nach der Katastrophe" warnt, ist das auch Ausdruck dessen, daß sie aufgrund jahrzehntelanger Erfahrungen weiß, daß nun, da die Bilder von der Not der Menschen in Mosambik allmählich aus den Medien verschwinden, sich kaum jemand dafür interessieren wird.

Regelmäßig müssen Hilfsorganisationen erfahren, daß mit dem abflauenden Interesse auch die Hilfsgelder ausbleiben, obgleich sie zuvor zugesagt worden waren. Wenn man so will, hat die Katastrophe schon viel früher begonnen, sie ist menschengemacht und von grundsätzlicher Beschaffenheit. In einer Welt, die technologisch so weit entwickelt ist wie die heutige, doch zugleich so geordnet wird, daß die Nationen gegeneinander konkurrieren, ebenso wie innerhalb einer Gesellschaft ein erbitterter Sozialkampf ausgetragen wird, erfüllen Hilfsorganisationen eine Feigenblattfunktion, um den Status quo zu sichern.

Die Welt könnte vollkommen anders ausgerichtet sein, wenn nur die Menschen sich einig wären. Soviel zu den Tagträumereien. Daraus aufgewacht zeigt sich ein ernüchterndes Bild: 20 Tonnen Energiekekse wurden verteilt. 100 Gramm dieser Kekse werden mit 450 kcal angegeben, so daß sich eine Gesamtkalorienzahl von 90 Mio. ergibt. Bei einem Tagesbedarf von 2100 kcal pro Person kämen mit dieser Menge 43.000 Menschen einen Tag lang über die Runden. Eine andere Rechnung: wenn nach WFP-Angaben eine halbe Million Kleinbauern ihre Lebensgrundlage verloren haben und man die 90 Mio. kcal gleichmäßig unter ihnen verteilen würde, erhielte jeder 180 kcal. Das entspricht etwa 30 Gramm oder sechs Stückchen Milchschokolade (die mit der lila Kuh ...). Im Durchschnitt hat jede Familie (zwei Elternteile) in Mosambik mehr als fünf Kinder. Sieben Personen teilen sich somit sechs Stückchen Schokolade. An nur einem einzigen Tag. Dank der Hilfe des WFP. Am nächsten Tag haben sie nichts. Am übernächsten wahrscheinlich ebenfalls nichts. Das darf man zumindest annehmen, weil das WFP nicht berichtet hat, daß es Tag für Tag 20 Tonnen Energiekekse in Mosambik verteilt.

Das sind Durchschnittswerte, die Realität sieht selbstverständlich anders aus. Da werden manche notleidenden Menschen stärker versorgt und andere gar nicht. Das WFP verteilt auch andere Lebensmittel als nur Energiekekse, und es gibt auch noch weitere Hilfsorganisationen sowie staatliche Strukturen, die Nahrung verteilen. Dennoch erscheint uns eine solche Berechnung überaus nützlich zu sein, nicht um ein genaues Bild von der Lage in Mosambik, sondern um überhaupt ein Bild zu erhalten. Wie gesagt, das WFP ist ein wichtiger Akteur der Hungerhilfe in Mosambik und die Energiekekse wiederum sind eine so wichtige Lieferung, daß das WFP nicht versäumt hat, sie eigens zu erwähnen. Zumindest ahnt man, daß die Nothilfe nicht hinten und nicht vorne reicht und daß die Warnung vor der "Katastrophe nach der Katastrophe" nicht übertrieben ist.


Fußnoten:

[1] tinyurl.com/y4jw8ggz

[2] https://kontext.wfp.org/mosambik-gesichter-der-katastrophe-dd40cb28b60b

15. April 2019


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