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ASIEN/597: Obama setzt in Afghanistan auf verdeckte Kriegsführung (SB)


Obama setzt in Afghanistan auf verdeckte Kriegsführung

Am Kriegsschauplatz Af-Pak stehen die Zeichen auf Sturm


Nichts wäre verfehlter als die Annahme, die völlig überraschende Entlassung des Armeegenerals David McKiernan am 12. Mai nach nur einem Jahr als Oberkommandierender der US-Streitkräfte und der International Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan wäre eine Reaktion der Regierung Barack Obamas auf den schrecklichen Bombenangriff der US-Luftwaffe in der Provinz Farah, der die höchste Zahl an zivilen Opfern seit dem Einmarsch ausländischer Truppen im Oktober 2001 gefordert hat (Bei dem Angriff kamen laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters vom 13. Mai, die sich auf Angaben aus der laufenden Untersuchung der afghanischen Behörden bezog, mehr als 140 Dorfbewohner, darunter 93 Kinder und 25 Frauen, ums Leben). Washington antwortet ganz im Gegenteil auf den Vormarsch des afghanischen Widerstandes, dessen Angriffe laut der NATO im Vergleich zu letztem Jahr um 73 Prozent angestiegen sind, mit der Eskalation. Nachdem man bereits angekündigt hat, bis zum Ende des Jahres die Anzahl der US-Soldaten auf 68.000 zu verdoppeln, wollte man nun durch die erste Entlassung eines Kriegskommandeurs durch die zivile Führung, seit Präsident Harry Truman 1951 General Douglas MacArthur, den Held des Pazifikkrieges gegen Japan, wegen Insubordination in Verbindung mit einem Streit um die richtige Strategie im Koreakonflikt, in die Wüste schickte, ein Zeichen der Entschlossenheit setzen. Die Wahl des Militärs, der an die Stelle McKiernans rückt, unterstreicht dieses Zeichen. Neuer Oberbefehlshaber aller ausländischen Streitkräfte in Afghanistan wird Generalleutnant Stanley McChrystal, der als Aufstandsbekämpfungsexperte der besonders grausamen Sorte gilt.

Der 1954 geborene Absolvent der Offiziersschmiede West Point, der fast seine gesamte Militärkarriere bei den US-Spezialstreitkräften verbracht hat, spielte von Anfang an eine besondere Rolle im sogenannten "globalen Antiterrorkrieg". Von 2003 bis 2008 war er Oberbefehlshaber des Joint Special Operations Command (JSOC), das die Einsätze der Army Rangers, Navy SEALs und der Delta Force koordiniert. Wie die New York Times in einem mehr als wohlwollenden Profil am 13. Mai berichtete, verbrachte McChrystal während dieser Jahre viel Zeit im Irak, wo er "geheime Missionen", die "meistens nachts durchgeführt wurden", leitete. In jener Zeit arbeitete McChrystal eng mit dem damaligen Pentagon-Chef Donald Rumsfeld und dessen Geheimdienstkoordinator Stephen Cambone zusammen. Im Juni 2006 bekam er von Präsident George W. Bush öffentliches Lob, als seine Männer den gewaltsamen Tod des Abu Musab Al Zarkawis, des damals gefürchteten Anführers der sogenannten Al-Kaida-im-Irak (AKI) meldeten.

Die Anwesenheit Zarkawis im Irak diente der Bush-Regierung als Teil ihrer Begründung für den Einmarsch im März 2003. Tatsächlich aber soll sich der Jordanier, der ein Bein im Krieg der Mudschaheddin gegen die Sowjets in Afghanistan verloren haben soll und dessen Männer angeblich mit biologischen Kampfmittel Experimente durchführten, vor Beginn des Krieges im irakischen Kurdistan aufgehalten haben, das bereits damals nicht unter der Kontrolle Saddam Husseins, sondern der lokalen Machthaber und darüber hinaus unter dem permanenten Schutz der US-Luftwaffe stand. Im Irak und der islamischen Welt gab es nicht wenige Menschen, die hinter den zum Teil bestialischen Angriffen von Zarkawis AKI auf Schiiten die CIA und die US-Spezialstreitkräfte der USA vermuteten, die auf diese Weise Zwietracht zwischen den Konfessionen sähen wollten, um den militanten Widerstand gegen die Besatzungstruppen zu spalten. Auf diese Strategie machte 2004 in einem Artikel für die Zeitschrift New Yorker der Enthüllungsjournalist Seymour Hersh aufmerksam und nannte sie in Anspielung auf die schmutzigen, verdeckten Kriege der CIA und des Pentagons und ihrer Todesschwadronen in Mittelamerika der achtziger Jahre die "Salvador Option". Bereits 2002 hatte der Militärexperte William Arkin in einem Artikel für die Los Angeles Times die Existenz einer von Rumsfeld ins Leben gerufenen "Proactive, Preemptive Operations Group", auch P2OG genannt, bekanntgemacht, deren Aufgabe darin bestand, "Terrorgruppen" zu Aktionen zu provozieren, um sie dadurch angeblich besser bekämpfen zu können. Als Leiter des JSOC dürfte McChrystal wesentlichen Anteil an den Operationen der P20G und somit an der Entstehung jenes Bürgerkrieges gehabt haben, der im Irak besonders 2005 und 2006 tobte und Zehntausenden, wenn nicht sogar Hunderttausenden Menschen das Leben kostete.

Auch wenn die seit zwei Jahren abgeflaute Gewalt im Irak offenbar wieder zunimmt, die Obama-Regierung will offenbar den trügerischen Erfolg von Bushs Truppenaufstockungsstrategie im Zweistromland - der sogenannten "Surge" - in Afghanistan wiederholen. Zu diesem Zweck sollen die US-Streitkräfte ihre Anstrengungen gegen die Taliban im Süden und Osten Afghanistans verstärken, während die pakistanische Armee gegen talibanfreundliche Kräfte im eigenen Land militärisch vorgeht und die CIA zunehmend Angriffe auf Unterschlupfe der Widerständler beiderseits der Grenze durchführt. Gleichzeitig wird man versuchen, wie einst im Irak den Widerstand zu spalten und mit Geld, Waffen und anderen Versprechungen die Verbündeten der Taliban auf die Seite der westlichen Streitkräfte zu ziehen.

Zu keinem anderen Zweck dürfte sich Richard Holbrooke vor kurzem mit einem Vertreter von Gulbuddin Hekmatyars Hezb-i-Islami Afghanistan (HIA) getroffen haben. Über die geheime Begegnung zwischen Obamas Af-Pak-Sondergesandten und einem Vertrauensmann des ehemaligen afghanischen Premierministers, der mit einem Kopfgeld in Höhe von 25 Millionen Dollar immer noch auf der Terroristenliste des FBI steht, berichtete am 10. Mai Syed Saleem Shahzad in der Asia Times Online. Angesichts der Art und Weise, wie seit einigen Wochen im Irak seitens der schiitisch dominierten Streitkräfte des Premierministers Nuri Al Maliki Jagd auf die sunnitischen Militanten gemacht wird, die sich 2007 auf die Versprechungen der Amerikaner eingelassen und ihre Waffen gestreckt haben, dürften Obamas Diplomaten es nicht einfach haben, Hekmatyar oder den anderen wichtigen Ex-Mudschaheddin-Kommandeur Jalaluddin Haqqani von der Allianz mit ihren paschtunischen Stammesbrüdern um Mullah Omar und dessen Taliban abzubringen. Um so mehr soll vermutlich McChrystals verdeckte Kriegsführung zum Einsatz kommen, um alle NATO-feindlichen Kräfte und die Bevölkerungen in Afghanistan und Pakistan davon zu überzeugen, daß Widerstand gegen die Imperialmacht USA zwecklos ist.

In einem aufschlußreichen Artikel, der am 7. Mai bei der linken US-Zeitschrift The Nation unter der Überschrift "Understanding the Long War", erschienen ist, hat Tom Hayden die Parallele zwischen den Indianerkriegen der Truppen Washingtons im 19. Jahrhundert und dem "Global War on Terror" von heute erläutert. Als Vorbild dessen, was McChrystal und Konsorten im Irak bereits durchgeführt haben und ihnen nun für das Siedlungsgebiet der Paschtunen beiderseits der Durand- Linie vorschwebt, nannte Hayden das berüchtigte Phoenix-Programm der USA im Südvietnam, das Zehntausenden armen Bauern das Leben kostete, und schreibt:

Bevor sich eine einheimische Bevölkerung gegen ihre Nachbarn wendet ... muß demonstriert werden, wie die Besatzungsarmee jene "Nachbarn" besiegt, die angeblichen Aufständischen in ausreichender Zahl tötet und verletzt, die Infrastruktur in deren Dörfern schwächt oder zerstört, und für eine Flut an Flüchtlingen sorgt.

(...)

Laut der Theorie, die auf Erfahrungen der Briten in Malaysia [in den fünfziger Jahren] basiert, benötigt man bei der Aufstandsbekämpfung eine Periode von zehn bis zwölf Jahren, um der Bevölkerung soviel Leid zuzufügen, daß diese sich vor lauter Erschöpfung gezwungen sieht, die Friedensbedingungen der herrschenden Macht zu akzeptieren.

Für die Festigung der Position der USA in Afghanistan scheint McChrystal besonders geeignet. Im Oktober 2001 war er Stellvertretender Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte bei der Afghanistan-Invasion und damit verantwortlich dafür, daß im Dezember desselben Jahres Osama Bin Laden trotz der Umzingelung in dem Bergverließ Tora Bora entkommen konnte. Wäre der Al-Kaida-Chef, dessen Männer die Flugzeuganschläge vom 11. September durchgeführten haben sollen, verhaftet worden, wäre schnell die Forderung nach Abzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan laut geworden. Politische Schläue besitzt McChrystal auch. 2007 kam heraus, daß er es gewesen war, der nach dem Tod Pat Tillmans 2004 durch freundliches Feuer in Afghanistan, die Legende in die Welt setzte, der frühere Football-Star sei im Kugelhagel der Taliban gefallen. McChrystal sorgte sogar dafür, daß Tillman posthum ein Tapferkeitsorden bekam, während er gleichzeitig Rumsfeld und Bush davor warnte, die wackelige Geschichte allzu hoch zu hängen.

Bereits während des Einmarsches in den Irak erwies sich McChrystal als Meister der Heuchelei. Nachdem am 26. März 2003 am hellichten Tag US-Raketen auf den Bagdader Marktplatz Al Shaab einschlugen und 30 Zivilisten getötet hatten, behauptete er vor der Presse, das Blutbad sei auf herunterfallende Kugeln der irakischen Luftabwehr zurückzuführen gewesen. Im darauffolgenden Monat, als die Kämpfe andauerten, bezeichnete er Iraker, die sich nicht durch die Uniform als Kombattanten auszuzeichneten und dennoch das Feuer auf die Invasionstruppen eröffneten, als "Kriegsverbrecher". Als jedoch ein Journalist auf einer Pressekonferenz im Pentagon am 4. April wissen wollte, ob man nicht dieselbe Bezeichnung auf die Mitglieder der CIA und der US-Spezialstreitkräfte anwenden müßte, die zu diesem Zeitpunkt im Irak, als Zivilisten verkleidet, Jagd auf Saddam Hussein und seine Generäle machten und die irakischen "Massenvernichtungswaffen" suchten, verschlug es dem General die Sprache. Schnell mußte ihm Rumsfelds Sprecherin Victoria Clarke beispringen und die peinliche, aber berechtigte Frage abwimmeln. Seit Jahren fällt McChrystals Name in Verbindung mit Vorwürfen, das JSOC und die CIA hätten in Rahmen eines gemeinsamen Programms unter anderem auf dem Gelände des Stützpunktes Nama bei Bagdad gefangengenommene, mutmaßliche "Terroristen" von Mitgliedern der strenggeheimen Sondereinheit Task Force 121 schwer foltern und eventuell "verschwinden" lassen.

Daß McChrystals unbestreitbare Fähigkeiten ihm erlauben werden, das Ruder in Afghanistan herumzureißen und die USA und die NATO vor der sich abzeichnenden Niederlage am Hindukusch zu retten, dürfte zu bezweifeln sein. Zwar werden die USA in den kommenden Wochen und Monaten ihre Militärmaschinerie noch mehr als bisher ankurbeln, doch dies dürfte die einfachen Paschtunen - in Afghanistan und Pakistan - nur noch mehr in die Arme der Taliban treiben.

14. Mai 2009