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ASIEN/605: Besatzungstruppen im Süden Afghanistans unerwünscht (SB)


Britisch-amerikanische Offensive stößt auf offene Ablehnung


Die Truppen der US-amerikanischen und britischen Besatzungsmacht sind im Süden Afghanistans nicht willkommen. Ein kühler Empfang und reservierte Zurückhaltung stellen noch die moderatesten Formen der einheimischen Bevölkerung im Umgang mit fremden Soldaten dar, die in diesem Teil des Landes seit jeher besonderen Argwohn hervorrufen. Nicht selten werden die Fahrzeuge der Eindringlinge mit Steinen beworfen und in mehreren Fällen kam es sogar zu Feuergefechten mit Dorfbewohnern. Wie die Menschen dort aus generationenlanger bitterer Erfahrung wissen, ist eine Offensive ausländischer Mächte in ihrem Siedlungsgebiet unweigerlich mit Tod und Zerstörung verbunden. Nach den Bombenangriffen mit zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung können die vorrückenden US-Marines weniger denn je erwarten, daß ihre Propaganda, sie brächten Schutz und Freiheit, auf unbedarft fruchtbaren Boden fällt.

Die Herzen der Afghanen zu gewinnen, wie es einst pathetisch hieß, hat man inzwischen aufgegeben. Andererseits hat sich wohl die Erkenntnis allmählich durchgesetzt, daß man diesen Krieg mit Sicherheit verliert, sofern es nicht gelingt, die Bevölkerung auf die eine oder andere Weise über den Tisch zu ziehen. Also beruft man die traditionellen Beratungen mit den Ältesten ein, um in Erfahrung zu bringen, was die ansässigen Bewohner wollen und brauchen. Die Antwort lautet in den meisten Fällen klipp und klar, daß man die fremden Soldaten hier nicht haben will und sie so schnell wie möglich wieder verschwinden sollen. Das berichten wohlgemerkt US-Soldaten und westliche eingebettete Journalisten, die sich zunehmend befremdet und verunsichert fragen, ob diese Menschen am Ende weder von ihnen befreit werden, noch ihr Leben nach den Maßgaben der Eindringlinge ändern wollen. [1]

Wie die Dorfältesten deutlich zum Ausdruck bringen, hat man von der Zentralregierung in Kabul seit Jahren nichts mehr gehört. Im Zweifelsfall ziehe man der bekanntermaßen korrupten Führung in den fernen Residenzen die Anwesenheit der Taliban vor, die jedenfalls die Sicherheit garantierten. Hätten sich hingegen fremde Soldaten erst einmal breitgemacht, stiegen die Preise erfahrungsgemäß gewaltig an, während zugleich die Kämpfe schlagartig zunähmen. Letzteres belegen auch die Statistiken der US-Militärs, aus deren Sicht es freilich logisch und sogar erwünscht ist, daß dort gekämpft wird, wo man die Truppen hinverlegt.

Wenn davon die Rede ist, daß dies die gefährlichsten Provinzen des Landes seien, gilt das für eindringende Truppen der Amerikaner und Briten. Für die einheimische Bevölkerung verhält es sich nur insofern ähnlich, als auch sie durch die Präsenz der Besatzungstruppen akut gefährdet ist. Die Propaganda der Militärs, man sei gekommen, um für den Schutz der Menschen einzustehen, stellt also die Verhältnisse buchstäblich auf den Kopf. US-Soldaten haben sich in Interviews bitter beklagt, daß mitunter sogar Kinder angebotene Süßigkeiten ablehnen und sie als Wurfgeschoße verwenden. Auch könne man den Einheimischen nie trauen, da sie mit der Wahrheit hinter dem Berg hielten und nicht selten Lügen verbreiteten. Und treffe man doch einmal freundlich wirkende Leute an, könnten diese schon bei der nächsten Begegnung völlig gleichgültig oder gar feindselig wirken.

Als Soldat einer Besatzungsmacht steht man den Menschen im okkupierten Land zwangsläufig feindlich gegenüber und führt deren Verhalten auf mehr oder minder unverständliche und irrationale Motive zurück. Dabei liegt der naheliegendste Grund für die Haltung der Bevölkerung buchstäblich auf der Hand: Die Taliban sind zumindest in diesem Landesteil häufig die eigenen Söhne oder nahen Verwandten und selbst wenn sie aus etwas entfernteren Gebieten stammen, teilen sie doch in den meisten Fällen ihre ethnische Herkunft, Kultur und Weltsicht mit der ansässigen Bevölkerung.

Bezeichnenderweise gelingt es den Besatzungstruppen in aller Regel nur dann, Afghanen für ihre Präsenz zu begeistern, wenn sie vorherrschende Rivalitäten und Feindschaften zwischen verschiedenen Kriegsherrn, Clans und Volksgruppen in der Weise ausnutzen und befördern, daß sie die eine Fraktion für den Kampf gegen die andere aufrüsten. Diese Strategie funktioniert jedoch auf das ganze Land gesehen nur bedingt, zumal die angeblich angestrebte Befriedung durch diese Verfahrensweise ad absurdum geführt wird. Innerhalb einer bestimmten Region versagt sie oft völlig, da sich die traditionell eng miteinander verbundenen Menschen nicht leicht von Fremden spalten lassen.

Da die US-Truppen aus den Afghanen nicht schlau werden, wobei die fremde Sprache noch das geringste Problem darstellt, sind sie dringend auf einheimische Sicherheitskräfte angewiesen, ohne die der vielbeschworene Aufbau und Übergang in eine moderne Gesellschaft völlig illusorisch ist. Die Marines können Krieg führen, sich in ihren Stützpunkten verschanzen oder ein militärisches Kontrollregime etablieren. Ihre Möglichkeiten enden jedoch lange vor dem Schutz der Bevölkerung, von einer Unterstützung bei der Verbesserung ziviler Strukturen ganz zu schweigen.

Die dringend erforderlichen afghanischen Truppen sind es jedoch, die bei der Offensive in Helmand nur in spärlicher Zahl angetreten sind. Während die US-Marines mit fast 4.000 Mann vorrücken, werden sie lediglich von 400 einheimischen Soldaten unterstützt, deren Mannschaftsstärke offenbar nur die Hälfte der ursprünglich angegebenen Zahl beträgt. Weit von der Brigade entfernt, welche die US-Militärs allein in dieser Provinz für unabdingbar halten, machen sich die afghanischen Soldaten bei dieser Operation rar, was Oberbefehlshaber General Stanley A. McChrystal und dem Kommandeur der ausgerückten Marines, Brigadegeneral Larry Nicholson, beträchtliche Sorgen bereitet. Der langfristige Erfolg, so heißt es, hänge unmittelbar vom Aufbau einheimischer Sicherheitskräfte ab, denen man die Kontrolle Schritt für Schritt übergeben kann.

Die militärischen Erfolge drohten zunichte zu werden, sofern sich das Leben der ansässigen Bevölkerung nach der Vertreibung der Taliban nicht tatsächlich zum Besseren wende. Um das zu erreichen, habe man ein Zeitfenster von wenigen Monaten. Lasse man diese Frist ungenutzt verstreichen, was ohne angemessene Unterstützung durch afghanische Sicherheitskräfte unvermeidlich sei, könne man allenfalls ein Gebiet für eine gewisse Zeit kontrollieren, doch nie die Bevölkerung erreichen. [2]

Aus welchen Gründen Ausbildung und Einsatzbereitschaft einheimischer Sicherheitskräfte stagnieren, wird zwar nicht näher ausgeführt, doch kann man wohl davon ausgehen, daß der Kollaboration mit dem Besatzungsregime Grenzen gesetzt sind. Beispielsweise kann man keineswegs davon ausgehen, daß die Bevölkerung in Helmand Polizisten oder Soldaten aus anderen Landesteilen über den Weg traut, die eine fremde Volksgruppe und damit einen potentiellen oder realen Feind verkörpern. Vor allem aber sind sie Repräsentanten der Zentralregierung und damit einer aus gutem Grund verhaßten Obrigkeit.

Zudem deutet alles darauf hin, daß der aktuelle militärische Erfolg der Operation insbesondere darauf beruht, daß die Taliban größere Gefechte weitgehend vermieden und sich zurückgezogen haben. Höchstwahrscheinlich verlagern sie ihre Aktivitäten in andere Landesteile, in denen die gegenwärtige Lage ihrer Art der Kriegsführung eher entgegenkommt als eine direkte Konfrontation mit weit überlegenen Kräften. Die Doktrin der US-Militärs, daß man den lange gemiedenen Süden des Landes zuerst mit geballter Macht vom Feind säubern müsse, worauf man die Sicherheitslage für die Bevölkerung dauerhaft gewährleisten und den Aufbau einleiten könne, scheint nicht einmal im ersten Schritt zu funktionieren. Das wiederum legt den Schluß nahe, daß es in Afghanistan in erster Linie um die langfristige Etablierung einer Besatzungsmacht in dieser strategisch zentralen Weltregion geht, während Aufbau und Transformation dem Reich systematischer Vernebelung und Täuschung zuzurechnen sind.

Anmerkungen:

[1] http://www.csmonitor.com/2009/0707/p06s23-wosc.html

[2] New York Times (08.07.09)

9. Juli 2009