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ASIEN/632: Aufregung in Japan um geheime Atomverträge mit den USA (SB)


Aufregung in Japan um geheime Atomverträge mit den USA

Militärallianz zwischen Japan und den USA vor Belastungsprobe


Zwischen den USA und Japan, deren Bündnis seit dem Zweiten Weltkrieg einen Eckstein der amerikanischen Geopolitik bildet, geraten die Dinge unübersehbar in Bewegung. Deutlichster Beleg dieser Entwicklung ist die verheerende Niederlage der fast 50 Jahre lang ohne Unterbrechung regierenden, konservativen Liberal-Demokratischen Partei (LDP) bei den Parlamentswahlen am 30. August. Wahlsiegerin war die linksliberale Demokratische Partei Japans (DJP), deren Vorsitzender Hatoyama Yukio als Regierungschef für eine "gleichberechtigte Partnerschaft" zwischen Tokio und Washington sorgen will. Der Wunsch der Japaner, den Satellitenstaatsstatus im Verhältnis zum großen Bruder abzuschütteln, hat mehrere Gründe. Ökonomisch verliert die einstige Supermacht an Strahlkraft. Japan, dessen Wirtschaft jahrzehntelang auf Exporte in die USA ausgerichtet war, orientiert sich immer mehr zum asiatischen Wirtschaftsraum hin. Während der Handel mit der aufstrebenden Volksrepublik China boomt, möchten die Japaner gleichzeitig den Chinesen die regionale Führungsrolle nicht überlassen, sondern mit ihnen zusammen die internationale Zusammenarbeit in Foren wie APEC und ASEAN bestimmen. Den USA, die China als Partner bezeichnen, jedoch stets als potentiellen Konkurrenten im Blick haben und deshalb im Traum nicht daran denken, auf den Flugzeugträger Japan vor der Küste Ostasiens zu verzichten, kommt die neu entdeckte Eigenwilligkeit der Japaner überhaupt nicht gelegen. Folglich stehen seit einiger Zeit Spannungen auf der Tagesordnung.

Bereits im Februar, als sich der Abschied der politisch verbrauchten LDP von der Macht in Japan abzeichnete, schickte der neue US-Präsident Barack Obama seine Außenministerin Hillary Clinton nach Tokio, damit sie zusammen mit ihrem japanischen Amtskollegen Nakasone Hirofumi ein umfassendes Militärabkommen unterzeichnet. Im Mai, noch rechtzeitig vor den Parlamentswahlen, peitschte die LDP-Regierung von Premierminister Taro Aso das Abkommen als Sondergesetz durchs Parlament. Der Vertrag ist höchst umstritten, denn er sieht unter anderem vor, daß Japan die Kosten für die 2006 beschlossene Verlegung von 8000 US-Marinesoldaten und ihren rund 9000 Familienangehörigen von Okinawa in das US-Überseeterritorium Guam - geschätzte sechs Milliarden Dollar - tragen soll. Darüber hinaus soll Tokio endlich dafür sorgen, daß die US-Marineinfanterie als Ersatz für die geplante Schließung ihres Luftlandeplatzes Futenma im Süden Okinawas bis 2014 einen Stützpunkt samt U-Boothafen in Henoko, in einem Naturschutzgebiet im Norden der Insel, bekommen soll. Gegen letzteren Plan laufen die Menschen in Okinawa seit Monaten Sturm. Sie wollen, daß die Truppenpräsenz auf ihrer nordöstlich von Taiwan gelegenen Insel, die seit Jahrzehnten rund 75% aller US-Militärangehörigen in Japan aufnimmt, drastisch reduziert wird und daß der kleine US-Marinestützpunkt Camp Schwab in Henoko nicht ausgebaut wird.

Seit 1978 subventioniert Tokio den Aufenthalt der rund 47.000 US-Militärangehörigen auf 13 Basen auf japanischem Territorium - darunter auf dem Marinestützpunkt der 7. US-Flotte in Yokosuka - mit jährlich rund zwei Milliarden Dollar. Nachdem der damalige NDP-Chef und Premierminister in spe, Ozawa Ichiro, öffentlich darüber nachgedacht hatte, die Amerikaner zur Räumung der meisten ihrer Basen aufzufordern und die Teilnahme der japanischen Marine an der Versorgung der in Afghanistan kämpfenden NATO-Streitkräfte mit Treibstoff zu beenden, dauerte es nicht lange, bis sich dieser im Frühjahr in einen Finanzskandal verwickelt sah. Zwar mußte Ozawa deswegen die Führung der NDP an Hatoyama übergeben, er bleibt jedoch die graue Eminenz hinter der neuen Regierung.

Wie Ozawa denkt inzwischen die Mehrheit der Japaner. Sie halten die USA nach acht Jahren der Regierung von George W. Bush und Dick Cheney für politisch nicht mehr ganz zurechnungsfähig. Sie lehnen die Versuche Washingtons, Japan in seine Containment-Strategie gegenüber China und Rußland einzubinden, ab und möchten, daß ihr Land, anstatt immer mehr aufzurüsten und sich von seiner pazifistischen Verfassung zu verabschieden - wozu die Amerikaner bekanntlich seit langem drängen -, für eine Stärkung der internationalen Zusammenarbeit und Konfliktlösung im Rahmen der Vereinten Nationen eintritt. Nicht zuletzt der innenpolitische Druck war es, weshalb sich die neue japanische Regierung weder im Oktober bei der Stippvisite von US-Verteidigungsminister Robert Gates, noch am 13. November anläßlich des eintägigen Staatsbesuchs Obamas in der Lage sah, eine rasche Lösung des Streits um die Schließung Futenmas und den Bau des neuen, noch größeren Stützpunktes in Henoko in Aussicht zu stellen. Während der sichtlich genervte Gates deshalb mit einem Stopp der geplanten Truppenverlegung von Okinawa nach Guam drohte, vereinbarten Obama und Hatoyama eine gemeinsame Prüfung des Mutual Security Treaty zwischen beiden Ländern, die bis zum 50. Jubiläum der Unterzeichnung dieses Grundsatzdokumentes im kommenden Jahr abgeschlossen werden soll. Japans neuer Regierungschef möchte am liebsten das State Of Forces Agreement (SOFA) mit den Amerikanern neu aushandeln, vor allem um die jährlichen Subventionsleistungen Tokios zu reduzieren, und zwecks der Schließung von Futenma die Hubschrauber der US-Marineinfanterie statt nach Henoko auf den US-Luftwaffenstützpunkt Kadena im Süden Okinawas zu verlegen.

Ob Hatoyama sich seine Wünsche erfüllen kann, steht angesichts der aus Sicht der Amerikaner übergeordneten Interessen Washingtons zu bezweifeln. Fest steht jedoch, daß der innenpolitische Druck auf die neue japanische Regierung wächst. Dafür sorgt die laufende Kontroverse um Geheimverträge, die frühere LPD-Regierungen am Parlament und Volk vorbei mit den Machthabern in Washington über die Stationierung und den Transport von US-Atomwaffen auf japanischem Staatsterritorium abgeschlossen haben. Die Kontroverse läßt in Japan die Gemüter hochkochen, weil vor dem Hintergrund der verheerenden Niederlage im Zweiten Weltkrieg und des ersten und bisher letzten Einsatzes von Atombomben gegen die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki im Sommer 1945 das Parlament in Tokio 1967 beschlossen hat, daß das Land der aufgehenden Sonne niemals Nuklearwaffen besitzen, produzieren oder sie auf seinem Staatsterritorium dulden werde.

In den neunziger Jahren waren in den USA einst geheime Regierungsdokumente veröffentlicht worden, aus denen hervorging, daß sich das amerikanische Militär während des Kalten Krieges und der Block-Konfrontation mit der Sowjetunion und Mao Tse-dungs China über die feierliche Erklärung der Japaner hinweggesetzt hatte. Vermutlich weil eine entsprechende Regelung mit Einverständnis eines kleinen Kreises ausgewählter Staatsbeamter und Führungsmitglieder der damals regierenden LDP erfolgte, haben Politik und Medien in Japan die brisanten Enthüllungen in den USA einfach ignoriert. Ende Mai, Anfang Juni brachte die japanische Nachrichtenagentur Kyodo News das Thema wieder aufs Tapet, als sie unter Verweis auf frühere ranghohe Beamte im Tokioter Außenministerium von der Existenz eines Geheimabkommens aus dem Jahr 1960 über die Stationierung und den Transport von US-Nuklearwaffen innerhalb des japanischen Staatsgebiets berichtete. Während der Noch-Regierungschef Taro Aso die Enthüllung als Ammenmärchen abzutun versuchte, versprach der NDP-Chef Hatoyama lückenlose Aufklärung - ein Versprechen, das nach der gewonnenen Wahl Ende August in Erfüllung gehen sollte.

Am 20. November sollen die Mitglieder einer eingesetzten Expertengruppe dem Außenamtschef Katsuya Okada berichtet haben, sie hätten im Archiv seines Ministeriums zahlreiche Dokumente gefunden, die auf die Existenz besagten Geheimabkommens hindeuteten. Bis Januar soll die Expertengruppe, die auch nach Belegen für vertrauliche Vereinbarungen zwischen Tokio und Washington für einen Wiederausbruch des seit 1953 lediglich im Waffenstillstand befindlichen Koreakrieges sowie hinsichtlich der finanziellen Leistungen Japans im Rahmen des State of Forces Agreement fahndet, das Ergebnis ihrer Arbeit vorlegen. Am 22. November zitierte die Nachrichtenagentur Agence France Presse Außenminister Okada mit den Worten: "Im Januar wird die Antwort schwarz auf weiß vorliegen. Wir werden die früheren Regierungen, die darauf insistierten, daß es kein Geheimabkommen gab, von ihrer Last befreien." Interessant wird zu sehen sein, wie sich die Klärung der Frage der geheimen Stationierung und des Transports von Atomwaffen auf japanischem Territorium auf die Prüfung des Militärbündnisses zwischen Tokio und Washington auswirkt.

24. November 2009