Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

ASIEN/645: USA melden Festnahme des Taliban-Anführers Baradar (SB)


USA melden Festnahme des Taliban-Anführers Baradar

CIA begleitet NATO-Offensive im afghanischen Mardschah an der PR-Front


Am 13. Februar hat mit der Offensive gegen die Taliban-Hochburg Mardschah in der Provinz Helmand die größte Militäroffensive der NATO seit der Invasion Afghanistans im Oktober 2001 begonnen. An der Operation Moschtarak ("Zusammen" auf Dari), mit der US-Präsident Barack Obama und seine Generäle, allen voran der ISAF-Oberbefehlshaber Stanley McChrystal, den Vormarsch der Taliban stoppen und die Wende zum Besseren erzwingen wollen, nehmen rund 15.000 schwerbewaffnete, afghanische, amerikanische, britische, dänische, estländische, französische und kanadische Soldaten teil. Ihnen stehen lediglich geschätzte 400 Talibankämpfer gegenüber, die jedoch offenbar zu allem einschließlich des Märtyrertods entschlossen sind und Mardschah und Umgebung mit zahlreichen Minen und Sprengfallen versehen hatten.

Von Anbeginn an kamen die NATO-Truppen und ihre afghanischen Verbündeten wegen der Heckenschützen und der Minengefahr nur langsam voran. Angesichts der Tatsache, daß man die Eroberung der "Herzen und Seelen" der Zivilbevölkerung zum Hauptziel der Militäroperation erklärt hatte, gab es für die NATO gleich am zweiten Tag der Offensive einen herben Rückschlag, als eine Boden-Boden-Rakete der US-Marineinfanterie aus bisher ungeklärten Gründen in ein Wohnhaus einschlug und alle zwölf Bewohner, bei denen es sich offenbar um Nicht-Beteiligte des Konfliktes, darunter sechs Kinder, handelte, tötete. Erstaunlicherweise wurde innerhalb von fast 24 Stunden die aufgekommene Diskussion um zivile Opfer infolge der Mardschah-Offensive von der spektakulären Meldung der Festnahme Mullah Abdul Ghani Baradars, des ranghöchsten Anführers der afghanischen Taliban nach deren legendärem Chef Mullah Mohammed Omar, vollkommen überlagert. Der von Washington erwünschte, vorübergehend in Gefahr geratene Eindruck des angelaufenen Erfolges der Af-Pak-Strategie Obamas - massive Truppenaufstockung in Afghanistan, verstärkte Zusammenarbeit mit den Behörden Pakistans im Kampf gegen einheimische Dschihadisten und zur Aushebung von Talibanverstecken - war wieder hergestellt.

Für die Richtigkeit dieser etwas zynisch klingende Interpretation der Ereignisse sprechen die Umstände der Bekanntgabe der Festnahme von Mullah Baradar selbst. Mit der entsprechenden Exklusivmeldung wartete die New York Times am 15. Februar auf ihrer Website und am 16. Februar in der Printausgabe auf. In dem betreffenden Artikel "Secret Joint Raid Captures Taliban's Top Commander" berichteten - aus Washington und nicht aus Islamabad - Mark Mazzetti and Dexter Filkins unter Verweis auf nicht namentlich genannte US-Regierungsvertreter, daß Mullah Baradar "vor mehreren Tagen" in der südpakistanischen Hafenstadt Karatschi von einem Kommando des pakistanischen Geheimdienstes Inter-Services Intelligence Directorate (ISI), das von mehreren Mitgliedern der Central Intelligence Agency (CIA) begleitet wurde, in Gewahrsam genommen worden sei. Des weiteren schrieben Mazzetti und Filkins, daß man in der Redaktion der New York Times bereits am 11. Februar von dem schweren Schlag gegen die Taliban-Führungsebene gewußt, "jedoch auf Bitten von Vertretern des Weißen Hauses, die behaupteten, daß eine Bekanntmachung eine enorm erfolgreiche Operation der Nachrichtengewinnung beenden würde, den Bericht darüber verschoben" habe. "Die Regierungsvertreter erklärten, daß die Führung der Gruppe von der Festnahme Baradars nichts gewußt habe und daß sie, würde es publik werden, ihre Spuren verwischen und mehr Vorsicht im Kommunikationsaustausch untereinander an den Tag legen würden", so Mazzetti und Filkins.

Nun, daß die New York Times stets zu Diensten ist, wenn es darum geht, die Kriegspropaganda des Pentagons zu verbreiten oder die Missetaten der US-Geheimdienste zu verschleiern, wissen wir spätestens seit der unrühmlichen Rolle der einstigen Starreporterin Judith Miller 2002/2003 bei der Verbreitung der Lügen der Regierung George W. Bushs in Bezug auf die "Massenvernichtungswaffen" Saddam Husseins sowie seit der skandalösen Entscheidung des Herausgebers Arthur Sulzberger jun. und des Chefredakteurs Bill Keller Mitte 2004 - nach einer Privataudienz im Oval Office - zur Verschiebung der Bekanntgabe der Recherche James Risens und Eric Lichtblaus über Bushs illegale Anweisung an die National Security Agency (NSA) zur größtmöglichen Überwachung des amerikanischen Telefon- und E-Mail-Verkehrs auf Ende 2005. Auf diese Weise hat die NYT-Führung den Skandal um den großen NSA-Lauschangriff aus dem Präsidentschaftwahlkampf 2004 herausgehalten und mit dafür gesorgt, daß Bush jun. für vier weitere Jahre im Amt blieb.

Vor diesem Hintergrund sind die Angaben im NYT-Artikel Mazzettis und Filkins zur Festnahme Mullah Baradars, der inzwischen an einem geheimen Ort von Vertretern des ISI und der CIA vernommen würde, mit höchster Vorsicht zu genießen. Lediglich zwei Angaben klingen absolut verläßlich. Erstens: "Einzelheiten der Razzia bleiben undurchsichtig." Und zweitens: "Die Bekanntgabe von Mullah Baradars Festnahme erfolgte, als sich amerikanische und afghanische Streitkräfte inmitten einer Großoffensive im Süden Afghanistans befanden."

Über die möglichen Auswirkungen der Festnahme Mullah Baradars, der zuletzt als Oberkommandierender der Taliban in Afghanistan fungiert haben soll, wird nun eifrig spekuliert. Inzwischen läßt der ursprüngliche Eindruck von einem großen Fahndungserfolg stark nach. Nach Angaben von Korrespondenten wie Syed Saleem Shahzad von der Asia Times Online und Charlotta Gall von der New York Times, die sich im Dickicht des paschtunischen Widerstands in Afghanistan und Pakistan gut auskennen, hatte Mullah Baradar in den beiden letzten Jahren Mullah Omar bei geheimen Verhandlungen, die unter der Schirmherrschaft Saudi-Arabiens zwischen den Taliban und der US-Regierung stattgefunden haben, vertreten. Folglich dürfte seine Festnahme für das ISI und die CIA eine Aufgabe der leichteren Art und kein Ergebnis monatelanger, fieberhafter Ermittlungen gewesen sein.

Jedenfalls dürfte die Inhaftierung Mullah Baradars von Mullah Omar und den anderen Taliban-Führern als Absage der bestimmenden Kräfte in den USA an die Bemühungen des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai um eine Verhandlungslösung zur Beendigung des Krieges am Hindukusch aufgefaßt werden. Durch eine harte Haltung hoffen CIA und Pentagon eine Spaltung der Taliban zwischen denjenigen, welche die Überlegenheit der Kriegsmaschinerie der USA und ihrer Verbündeten einsehen und zur Zusammenarbeit mit den neuen afghanischen Institutionen bereit sind, und dem "harten Kern" um Mullah Omar, der nach wie vor an der Forderung nach Abzug aller ausländischen Truppen aus Afghanistan festhält, zu erwirken. Doch so einfach werden die Taliban und ihre paschtunischen Verbündeten vermutlich nicht auf diese durchsichtige Teile-und-herrsche-Strategie hereinfallen. Die weitere Eskalation des Afghanistankrieges ist vorprogrammiert.

18. Februar 2010