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ASIEN/659: Streit mit USA bringt Japans Regierungschef zu Fall (SB)


Streit mit USA bringt Japans Regierungschef zu Fall

Stützpunktkontroverse zeigt die Grenzen von Japans Souveränität auf


Nach nur acht Monaten im Amt ist am 2. Juni Japans Premierminister Yukio Hatoyama zurückgetreten. Unter Tränen begründete Hatoyama in einer Fernsehansprache seine Entscheidung mit den Worten, "die Politik der [nationaldemokratischen] Regierungspartei" hätte "ihre Erwiderung in den Herzen des Volkes nicht gefunden". So stimmt dies nicht. Der drastische Sturz Hatoyamas in den Meinungsumfragen von 70 Prozent Zustimmung nach der Amtsübernahme im letzten September auf 17 Prozent in diesen Tagen ist darauf zurückzuführen, daß die von ihm angeführte Koalition aus der Demokratischen Partei Japans [DPJ), den Sozialdemokraten (SDP) und der kleinen Neuen Volkspartei (NVP) ihr wichtigstes und im weiten Teilen der japanischen Gesellschaft auf Zustimmung stoßendes Wahlversprechen, für eine substantielle Verringerung der US-Militärpräsenz auf der südjapanischen Insel Okinawa zu sorgen, über Bord geworfen hat bzw. wegen des granitartigen Widerstands Washingtons werfen mußte. 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wiegen in Tokio offenbar die Sicherheitsinteressen der USA immer noch schwerer als der Wille des japanischen Wahlvolkes.

Bei den Wahlen zum japanischen Unterhaus im letzten August hatte die DPJ einen erdrutschartigen Sieg über die seit rund 50 Jahren fast ohne Unterbrechung regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) erzielt. Sie errang 308 von 480 Sitze, die LDP dagegen lediglich 116. Die DPJ, die von der allgemeinen großen Unzufriedenheit mit der verbrauchten und skandalgeplagten LDP profitierte, war im Wahlkampf zum Thema Außenpolitik für eine "gleichberechtigte Partnerschaft" zwischen Japan und den USA eingetreten. Als deutlichstes Zeichen des Endes des japanischen Vasallentums stellte die DPJ die Streichung der Pläne zur Verlegung der US-Marineinfanterie von ihrem bisherigen Stützpunkt Futenma im Süden Okinawas auf eine neue Basis im Norden der Insel in Aussicht. Mit diesem Vorhaben ist Hatoyama gründlich gescheitert.

Noch Monate vor dem Regierungswechsel zeichnete sich die Konfrontation zwischen der DPJ und der Regierung Barack Obamas ab. Kurz nachdem im Frühjahr 2009 der damalige Oppositionsführer Ichiro Ozawa in der Öffentlichkeit davon sprach, die Amerikaner zur Räumung der meisten ihrer Militärstützpunkte aufzufordern und die Beteiligung der japanischen Marine an der Versorgung der NATO-Streitkräfte in Afghanistan mit Treibstoff zu beenden, fand sich dieser in einem Finanzskandal verwickelt und mußte den DPJ-Vorsitz an Hatoyama übergeben. Fortan diente Ozawa der DPJ als Generalsekretär und graue Eminenz.

Bereits im Februar, nach nicht einmal einem Monat im Weißen Haus, entsandte Obama Außenministerin Hillary Clinton nach Tokio, die dort zusammen mit dem damaligen Amtskollegen Nakasone Hirofumi ein umfassendes Militärabkommen paraphierte. Im Mai, noch rechtzeitig vor den Parlamentswahlen, peitschte die scheidende LDP-Regierung unter der Führung von Premierminister Taro Aso das umstrittene Abkommen als Sondergesetz durchs Parlament. Demnach übernimmt Tokio die auf sechs Milliarden Dollar geschätzten Kosten der 2006 beschlossenen und bis 2014 zu vollendenden Verlegung von 8000 US-Marinesoldaten von Okinawa in das US-Überseeterritorium Guam. Darüber hinaus soll die US-Marineinfanterie als Ersatz für die Schließung ihres Luftlandeplatzes Futenma im dicht bevölkerten Süden Okinawas einen Stützpunkt im Norden der Insel erhalten.

Seit Jahren laufen die Menschen Okinawas gegen die US-Truppenpräsenz auf der Insel Sturm. Obwohl das 1200 Quatradkilometer große Eiland nur 0,3 Prozent der japanischen Landmasse ausmacht, sind dort - unter anderem wegen der Nähe zu Taiwan - rund die Hälfte der etwa 47.000 US-Militärangehörigen stationiert. Zwar begrüßt man die anvisierte Teilverlegung der US-Marineinfanterie nach Guam, doch die Pläne zum Ausbau des Stützpunkts Camp Schwab im Norden Okinawas als Ersatz für die Schließung des Landeplatzes Futenma stellt nicht nur für die Menschen auf der Insel und für Japans Umweltaktivisten ein Ärgernis dar. Vor Camp Schwab liegt eines der unter dem Gesichtspunkt des Artenschutzes wertvollsten Korallenriffe Japans. Dort sind die Dugongs, eine vom Aussterben bedrohte Seekuh, heimisch. Man befürchtet, daß der geplante Ausbau des Ufers von Camp Schwab zum Untergang der Dugongs führen könnte. Darüber hinaus empfinden viele Japaner vor dem Hintergrund der internationalen Wirtschaftskrise Tokios Subventionierung der US-Militärpräsenz mit rund zwei Milliarden Dollar jährlich als eine zu hohe finanzielle Belastung.

Hatoyamas Wahlversprechen, mit der neuen demokratischen Obama-Regierung über all diese Themen zu sprechen und zu einem besseren und gerechteren Ergebnis als zuvor die LPD zu kommen, hat ihn an die Macht gespült. Tatsächlich wollte der DPJ-Vorsitzende mit den USA das State of Forces Agreement (SOFA) von 2006, das den rechtlichen Status der amerikanischen Streitkräfte in Japan und die Finanzierung ihrer Stationierung regelt, neu aushandeln. Doch nach der Machtübernahme stieß der neue japanische Premierminister mit seinem Vorhaben in Washington auf eine kategorische Ablehnung, als hätten dort die Republikaner unter George W. Bush immer noch das Sagen. Bei Besuchen in Tokio ließen sich US-Verteidigungsminister Robert Gates im Oktober und Obama in November ihre Unzufriedenheit und Verärgerung über die angeblich unsolidarische Haltung der neuen japanischen Administration deutlich anmerken.

Zuletzt führte die Hatoyama-Regierung Konsultationen mit den Vertretern der Lokalverwaltung Okinawas, die bis Mai abgeschlossen werden sollten und aus denen eine Kompromißlösung hervorgehen sollte. Doch als am 24. März die südkoreanische Fregatte Cheonan im Gelben Meer unter mysteriösen Umständen sank, 46 Matrosen dabei ihr Leben verloren und zwei Monate später die Regierung in Seoul Nordkorea für das Unglück verantwortlich machte, gerieten Hatoyama und die DPJ in ein Dilemma. Es kriselte plötzlich in Ostasien. Nordkorea und Südkorea versetzten ihre Armeen in Alarmbereitschaft. Die USA waren als Schutzmacht, die mit ihren Atomwaffenarsenal die nordkoreanischen Kommunisten in Schach halten sollte, wieder gefragt. Außenministerin Clinton besuchte die Krisenregion, sicherte Seoul und Tokio Unterstützung zu, griff Pjöngjang rhetorisch scharf an und versuchte Peking in Washingtons Anti-Nordkorea-Front einzubeziehen.

Angesichts dieser bedrohlichen geopolitischen Kulisse ist Hatoyama offenbar unter einen Druck geraten, dem er nicht standhalten konnte. Am 23. Mai gab der japanische Premierminister unter Verweis auf die Wichtigkeit des Militärbündnisses mit den USA die eigenmächtige und plötzliche Entscheidung bekannt, auf die Verlegung aller US-Marines von Okinawa zu verzichten und dem Ausbau von Camp Schwab zuzustimmen. Aus Peking wurde Hatoyama am nächsten Tag von Hillary Clinton gelobt, "die schwierige, aber letztlich richtige Entscheidung" getroffen zu haben. In Japan bewerteten die meisten Menschen den Vorgang anders. Hatoyamas Umfragewerte, die wegen seines Zauderns im Basenstreit kontinuierlich gefallen waren, stürzten ins Bodenlose. Der Gouverneur von Okinawa erklärte den Premierminister zur unerwünschten Person auf der Insel. Am 30. Mai verlor Hatoyama die Unterstützung der SDP, als deren Vorsitzende Mizuho Fukushima, Ministerin für Verbraucherschutz und Geschlechtergerechtigkeit, ihm Wortbruch vorwarf und aus dem Kabinett zurücktrat.

Daß Hatoyama selbst so schnell danach alle politischen Ämter niederlegte, hat nichts mit der Stärke der SDP im Unterhaus zu tun, denn diese verfügt dort lediglich über sieben Sitze. Auch ohne die SDP haben DPJ und die NVP - drei Sitze - immer noch eine deutliche Mehrheit. Der Rücktritt des glücklosen DPJ-Chefs ist auf die bevorstehenden Wahlen für das Oberhaus, die im Juli stattfinden, zurückzuführen. Dort verfügt die DPJ über eine hauchdünne Mehrheit. Indem Hatoyama seinen Hut nimmt, soll dies seiner Partei in den Augen der Wähler Erneuerungsfähigkeit attestieren. Zu diesem Zweck ist auch der bisherige DPJ-Strippenzieher Ozawa, der sich bis zuletzt mit Finanzskandalen herumplagte, ebenfalls von allen Parteiämtern zurückgetreten. Ob die Änderungen an der Parteispitze der DPJ viel helfen werden, muß man erst sehen. Jedenfalls dürfte das peinliche Theater um die US-Militärbasen auf Okinawa die Augen vieler Japaner geöffnet haben und für einen deutlichen Rückgang der Wahlbeteiligung im Juli sorgen.

3. Juni 2010