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ASIEN/675: Aufgezwungene Wirtschaftsdoktrin bahnt Ausplünderung Afghanistans (SB)


Investitionsschutzgesetz diktierte neoliberalen Umbau


Kaum war der primäre Angriffskrieg der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten in Afghanistan soweit beendet, daß ein Besatzungsregime in Stellung gebracht werden konnte, als der Internationale Währungsfond (IWF) auch schon ein von langer Hand vorbereitetes Programm präsentierte, das einen radikal neoliberalen Umbau des Landes vorsah. Der Administration Präsident Hamid Karzais wurde ein Investitionsschutzgesetz (Law on Domestic and Foreign Private Investment) diktiert, das die Kabuler Regierung in September 2002 ratifizierte. Dieses Gesetz sieht in seinen wichtigsten Elementen vor, keinen Unterschied zwischen ausländischen und inländischen Investitionen zu machen. Es ermöglicht 100prozentige ausländische Investitionen, den vollständigen Transfer von Kapital und Gewinnen aus dem Land, internationale Schlichtungsverfahren sowie "stromlinienförmige" Lizenzverfahren. Zudem werden Ausländer, die Kapital ins Land bringen, für vier bis acht Jahre von Steuern befreit. Auf Betreiben von IWF und Weltbank wurde ferner die Steuergesetzgebung "vereinfacht", indem man eine Flat-Tax von 20 Prozent auf Unternehmensgewinne einführte. [1]

In Durchsetzung der Doktrin, die Öffnung Afghanistans für ausländisches Kapital sei der entscheidende Garant für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, schuf man die Voraussetzungen für eine aller Fesseln ledige ökonomische Zugriffsgewalt zu günstigsten Verwertungsbedingungen. Der afghanische Staat wurde wesentlicher Schutzmechanismen beraubt, sich gegen Raubzüge ausländischer Profiteure zumindest partiell zur Wehr zu setzen, zumal er jederzeit Gefahr läuft, der im eigenen Land erwirtschafteten Erträge verlustig zu gehen - kurz der Ausplünderung wurde Tür und Tor geöffnet.

Solche marktradikalen Konzepte, wie sie allen nach dem Muster westlicher Interventionspolitik geschaffenen Protektoraten von Bosnien über Kosovo bis hin zu Afghanistan und dem Irak aufgezwungen wurden, sind nicht nur untauglich, die soziale Lage der Bevölkerung zu verbessern, sie führen in der Regel sogar zu noch größerer Armut. Waren den Afghanen bei Ankunft der ausländischen Truppen blühende Landschaften in Aussicht gestellt worden, so gehört ihr Land gut acht Jahre nach der Intervention nach wie vor zu den ärmsten der Welt. Im "Human Development Index" des UN-Entwicklungsprogramms rangiert Afghanistan auf Platz 181. Die Lebenserwartung liegt bei 43 Jahren, in vielen Regionen ist die Müttersterblichkeit die höchste der Welt und die Arbeitslosigkeit der erwerbstätigen Bevölkerung liegt zwischen 50 und 70 Prozent. Und nicht zuletzt ist das Land im Korruptionsindex von Transparency International auf den vorletzten Platz abgerutscht, so daß nur Somalia noch schlechter eingestuft wird. [2]

Welche Ausmaße der heimliche Abzug enormer Geldsummen vorerst unbekannter Herkunft aus Afghanistan angenommen hat, illustrieren aktuelle Medienberichte. Demnach ist offenbar sehr viel mehr Bargeld illegal außer Landes geschafft worden als zunächst angenommen. Hatte das "Wall Street Journal" in der vergangenen Woche von rund drei Milliarden Dollar berichtet, die in den letzten Jahren "kistenweise" aus Kabul herausgeschafft worden seien, so geht man inzwischen von mindestens 4,2 Milliarden Dollar in den vergangenen dreieinhalb Jahren aus. Wie die britische Zeitung "The Times" unter Berufung auf einen Brief des afghanischen Finanzministers Omar Zakhilwal an die US-Abgeordnete Nita Lowey schrieb, könne die Zahl sogar noch höher liegen. Zakhilwal bat die USA in seinem Schreiben vom 30. Juni um Hilfe bei der Aufklärung, woher das Geld stammt. [3]

An Mutmaßungen fehlt es nicht. Ein US-amerikanischer Ermittler hatte gegenüber dem "Wall Street Journal" den Verdacht geäußert, ein Teil des Geldes stamme vermutlich aus vom Westen finanzierten Hilfs- und und Wiederaufbauprojekten. Lowey sperrte daraufhin mehrere Milliarden Dollar an Hilfen für Afghanistan, zumal die "Washington Post" unterdessen berichtet hatte, hohe afghanische Regierungsbeamte verhinderten Korruptionsermittlungen gegen einflußreiche Landsleute. Dieser Vorwurf war in der Vergangenheit des öfteren erhoben worden, wobei vor allem in den letzten Wochen die dubiosen Geschäfte privater Sicherheitsdienstleister thematisiert wurden, die den Schutz der Nachschubkonvois übernommen haben. Dabei kam einerseits zur Sprache, daß beträchtliche Teile der dafür westlicherseits aufgewendeten Gelder an Fraktionen des afghanischen Widerstands gehen, der dafür wichtige Straßenverbindungen in bestimmten Zeiträumen nicht angreift. Andererseits konnte der Nachweis erbracht werden, daß führende Profiteure dieses Sicherheitsgeschäfts der Regierung in Kabul nahestehen und teilweise sogar Verwandte Hamid Karzais sind.

Da neben den Erträgen aus dem Drogengeschäft die ins Land fließenden Gelder der westlichen Streitkräfte und Hilfsorganisationen die ansonsten darniederliegende Wirtschaft Afghanistan in wesentlichen Teilen generieren, repräsentiert das kistenweise außer Landes geschaffte Bargeld, was in den Medienberichten als "illegal" bezeichnet wird, womöglich sogar den Löwenanteil der Ökonomie, die sich nach der ohnehin fragwürdigen Unterscheidung in legales Wirtschaften und korrupte Praktiken nicht entschlüsseln läßt.

Wer die Profiteure und wer die Leidtragenden des Afghanistan aufgezwungenen Wirtschaftsmodells sind, beleuchtet schlaglichtartig auch ein gestern erschienener Bericht der "New York Times". Demnach werfen mehrere afghanische Baufirmen, die als Subunternehmer Militärstützpunkte der US-amerikanischen und NATO-Truppen errichten, amerikanischen Mittelsmännern vor, vereinbarte Zahlungen für Material und Arbeitsleistungen vorzuenthalten. Im spektakulärsten bislang bekanntgewordenen Fall hat eine der US-Firmen sogar das Land verlassen, ohne ihre Schulden in Höhe von Hunderttausenden, wenn nicht Millionen Dollars zu begleichen. [4]

Dies hat dazu geführt, daß Hunderte Arbeitskräfte im Süden des Landes ihre Löhne nicht erhielten und Dutzende kleinerer Fabriken und Geschäfte in den Ruin getrieben wurden, was der Propaganda der Besatzungsmächte, man wolle die Herzen der Menschen gewinnen, nicht gerade zuträglich sein dürfte. Da in Afghanistan keine Behörde oder Institution existiert, die das Treiben ausländischer Unternehmen wirksam kontrollieren könnte, kann es sich bei den nun publik geworden Fällen durchaus um die Spitze des Eisbergs handeln, dessen tatsächliches Ausmaß erst nach und nach ermittelt werden kann.

Den westlichen Militärs in Afghanistan kommt diese Enthüllung mehr als ungelegen, nicht weil sie von tiefer Sorge um das Wohlergehen der Bevölkerung erfüllt wären. Ihre Kriegsführung unter der bislang durchgetragenen Doktrin steht und fällt jedoch mit der Spaltung des Widerstands von der Zivilbevölkerung, die unmöglich gelingen kann, wenn ausländische Unternehmen den Afghanen zusätzliche Gründe liefern, alle Fremden zum Teufel zu wünschen. Die Botschaft, daß die ISAF geleistete Arbeit nicht bezahlt, macht in Windeseile die Runde durch die Familien und von Dorf zu Dorf. Und da die Besatzer noch jede Menge Stützpunkte zu errichten vorhaben, kann sie diese Entwicklung durchaus an empfindlicher Stelle treffen.

Die Vorwürfe einheimischer Subunternehmer konzentrieren sich derzeit insbesondere auf die Firma Bennett-Fouch Associates LLC aus Michigan, die 2002 gegründet wurde und auch im Irak tätig war. Sie nahm 2008 ihre Arbeit in Afghanistan auf und soll von den US-Streitkräften Aufträge im Umfang von 33 Millionen Dollar erhalten haben, die sie teils selbst ausführte, teils Subunternehmen übertrug. Im Herbst 2009 kursierten erstmals Gerüchte über Zahlungsprobleme von Bennett-Fouch, Mitte Dezember setzten sich die ausländischen Manager ab, ohne die ausstehenden Rechnungen zu begleichen. Als die Beschäftigten im März nach dem afghanischen Neujahrsfest die Arbeit wieder aufnehmen wollten, hatte Bennett-Fouch seine Büros geschlossen, die Konten geleert und das Land verlassen.

Botschaft und Streitkräfte der USA versuchen mit allen Mitteln, sich jede Verantwortung für derartige Geschäftspraktiken vom Leib zu halten. Erleichtert wird das durch ein ausgefeiltes System eingeschränkter Zuständigkeit, das die US-Streitkräfte von der Verantwortung für die Rechte afghanischer Subunternehmen enthebt. Letzten Endes bereichern sich zahlreiche ausländische Unternehmen zu Lasten der afghanischen Bevölkerung, wobei die Firma Bennett-Fouch nur insofern ein Extremfall ist, als ihre Auslegung des Investitionsschutzgesetzes besonders krass ausfällt.

Anmerkungen:

[1] Globalisierung, Armut und Krieg (03.07.10)
http://www.linkezeitung.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=8979&Itemid=294

[2] "Blühende Landschaften" am Hindukusch? Bewertung aus der Sicht einer deutschen Hilfsorganisation (24.11.09)
http://www.medico.de/themen/krieg/afghanistan/dokumente/vortrag-thomas-gebauer/3649/

[3] "Kistenweise" Geld aus Afghanistan weggeschafft. Mindestens 4,2 Milliarden Dollar illegal abgezweigt (06.07.10)
NZZ Online

[4] Afghan Companies Say U.S. Did Not Pay Them (07.07.10)
New York Times

8. Juli 2010