Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

ASIEN/693: Rußland und China vertiefen strategische Partnerschaft im Energiesektor (SB)


Schulterschluß gegen Dominanzstreben der USA und Europas


Wie sich immer deutlicher abzeichnet, ist die neue Weltordnung nach Gusto der USA und ihrer Verbündeten ein Auslaufmodell. Der nach Ende des Warschauer Pakts von den Vereinigten Staaten proklamierte unipolare Entwurf, den Washington und die NATO mit einem permanenten Feldzug strategisch durchzusetzen trachten, zielt langfristig auf die letztendliche Konfrontation mit Rußland und China ab. In dem auf Raub gegründeten Streit um die schwindenden Sourcen des Überlebens zu Lasten wachsender Teile der Menschheit kämpfen sich die westlichen Mächte insbesondere im Nahen und Mittleren Osten an die ultimativen Rivalen heran, um mit militärischen und ökonomischen Mitteln einen Keil zwischen sie zu treiben. In Moskau und Beijing scheint die Ratio Raum zu greifen, demgegenüber eine strategische Partnerschaft zu vertiefen, die sich zunächst auf den Energiesektor konzentriert, doch keineswegs darauf beschränkt bleiben muß.

"Die Freundschaft mit China ist eine strategische Entscheidung - eine Wahl, die vor Jahren mit Blut besiegelt wurde", unterstrich der russische Präsident Dmitri Medwedjew während seines dreitägigen Staatsbesuches in China vor russischen und chinesischen Veteranen. Mit dieser Äußerung bezog er sich darauf, daß Russen und Chinesen einst Seite an Seite gegen die japanische Besatzung in China gekämpft haben. Zudem halfen die Sowjets den chinesischen Kommunisten 1949 auf dem Weg zur Machtübernahme. Später kam es jedoch zu einer tiefgreifenden ideologischen Spaltung, in deren Folge die Chinesen den vormals engsten Verbündeten als größte Bedrohung empfanden. Auf dem Höhepunkt der Spannungen lieferten sich die Nachbarstaaten Ende der 1960er Jahre blutige Grenzgefechte, und dem Vernehmen nach soll die Sowjetunion 1969 sogar einen nuklearen Schlag gegen China erwogen haben. [1]

Heute scheinen die finstersten Kapital der beiderseitigen Beziehungen endgültig Vergangenheit zu sein, da sich beide Länder aus den inneren Angelegenheiten des anderen heraushalten und man in wesentlichen internationalen Fragen weitgehend übereinstimmt. Vor allem aber zeichnet sich eine wirtschaftliche Kooperation ab, bei der Rußland als weltgrößter Produzent von Erdöl und Erdgas seine Interessen mit dem größten Energieverbraucher China verschränkt. Präsident Dmitri Medwedjew und Staats- und Parteichef Hu Jintao weihten in Peking mit einem symbolischen Knopfdruck die erste Pipeline zwischen beiden Ländern ein, die im kommenden Jahr ihren Betrieb aufnehmen soll. Zudem besiegelten sie den Ausbau der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit mit der Unterzeichnung von mehr als einem Dutzend Abkommen, bei denen es um Öl, Gas, Kohle, Atomenergie und erneuerbare Energien sowie den Bankensektor geht.

In einer gemeinsamen Erklärung vereinbarten Hu und Medwedjew eine "umfassende Vertiefung der strategischen Partnerschaft". Beide zeigten sich zufrieden über die bisherige Entwicklung der Beziehungen, die ein noch nie dagewesenes Niveau erreicht hätten. "Es ist Chinas beharrliche Politik, beständig die Kooperation und strategische Partnerschaft mit Rußland zu festigen und zu fördern", sagte Hu Jintao. "Es ist ein großes Projekt, das unsere beiden Länder einander näherbringt", pflichtete ihm Medwedjew bei. Für die chinesische Regierung geht es darum, die Energieversorgung und neue Lieferwege für die rasant wachsende Wirtschaft zu sichern. Rußland will seine Abhängigkeit von europäischen Kunden verringern, die bislang seine Hauptabnehmer von Öl und Gas sind, wie auch neue Märkte in China und dem gesamten ostasiatischen Raum erschließen. [2]

Von der russischen Ostsibirien-Pazifik-Pipeline führt eine Abzweigung nach Daqing in Nordostchina, durch die pro Jahr 15 Millionen Tonnen Öl fließen, die sich bis auf 30 Millionen Tonnen verdoppeln könnten. Bislang wurden jährlich neun Millionen Tonnen auf dem Schienenweg geliefert, was den quantitativen wie auch technologischen Sprung deutlich macht, der nun vollzogen wird. Im letzten Jahr hatten beide Seiten vereinbart, daß Rußland für einen Kredit von 25 Milliarden US-Dollar bis 2030 insgesamt 300 Millionen Tonnen Erdöl nach China liefern wird. Nach einem Rückgang des Handels zwischen den Nachbarländern in Folge der weltweiten Wirtschaftskrise im vergangenen Jahr erwartet man bereits für 2010 eine Rückkehr auf das Niveau von 2008. Im nächsten Jahr wird Rußland auch mit dem Bau des dritten und vierten Meilers des Kernkraftwerks Tianwan bei der Stadt Lianyungang in der Provinz Jiangsu beginnen.

Nicht minder bedeutend wie die Lieferung russischen Erdöls ist die Versorgung Chinas mit Erdgas, die 2015 aufgenommen werden soll. Rußland sei bereit, Chinas wachsende Nachfrage nach Gas komplett zu erfüllen, kündigte der russische Vizepremier Igor Setschin an. Ein entsprechendes Abkommen soll bis spätestens Juli 2011 unterschrieben sein, wobei noch harte Preisverhandlungen ausstehen. Der russische Konzern Gazprom will ein Angebot machen, das fast auf europäischem Niveau liegt (derzeit rund 300 US-Dollar für 1000 Kubikmeter). China will jedoch wesentlich weniger zahlen und verweist darauf, daß das importierte Gas aus Turkmenistan nur 160 US-Dollar kostet. Um sich den Zugang zur weltweit größten Wachstumsregion zu sichern, muß Gazprom zwangsläufig Kompromisse eingehen, die sich für den Monopolisten jedoch in Zukunft auszahlen dürften. [3]

Wie Setschin hervorhob, habe auch die Zusammenarbeit im Gasbereich strategische Perspektiven. Während Chinas wichtigste Energiequelle bislang die Kohle sei, mache Gas derzeit sieben bis acht Prozent des Energieverbrauchs aus. In China würden bis zu 83 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr gefördert, der Gasimport liege bei sieben Milliarden Kubikmeter. Hinsichtlich der Zunahme des Gasverbrauchs seien so gut wie keine Einschränkungen abzusehen, da sich der Schwerpunkt von Kohle zu Gas verlagere und der Energiebedarf insgesamt rasant steige. Rußland sei der größte Produzent von Energie, China der größte Verbraucher - eine enge Kooperation der beiden Staaten liege auf der Hand, so Setschin. Von Ende 2015 an soll das staatlich kontrollierte Unternehmen Gazprom 30 Jahre lang jährlich 30 Milliarden Kubikmeter des Rohstoffes an den staatlichen Energieversorger China Petroleum liefern. Von Westsibirien soll eine Erdgasleitung nach Urumtschi in Xinjiang gebaut werden, von wo aus das Erdgas durch das chinesische Leitungsnetz weiterverteilt wird. Zugleich wird die Volksrepublik in die russische Gasförderung investieren und damit einen Teil der für den Export erforderlichen Infrastruktur finanzieren. [4]

Da Rußland und China einander nicht von vornherein in einem hierarchischen Verhältnis gegenübertreten, wie es ansonsten zwischen hochindustrialisierten Industriestaaten und Lieferanten von Rohstoffen vorherrscht, ist nicht von der Hand zu weisen, daß in diesem Fall die Zusammenarbeit zum beiderseitigen Nutzen nicht als bloße Formel ein Machtgefälle verschleiert, sondern tatsächlich Zukunft haben könnte. Dies gilt um so mehr, als Moskau und Beijing auf die Konsolidierung ihres Staatsgebiets samt aller darin lebenden Völkerschaften bedacht sind und die unmittelbar angrenzenden Nachbarländer im Blick haben, aber keine darüber hinausgehenden expansiven Ziele verfolgen. Angesichts der Bedrohung, die geopolitisch von den USA und der NATO ausgeht, könnte man einen Schulterschluß zwischen Rußland und China als geradezu unverzichtbares Manöver bewerten, der Gefahr in einem Stadium zu begegnen, in dem die Einkreisung und Spaltung noch nicht vollständig gegriffen hat.

Anmerkungen:

[1] Schulterschluss gegen die USA: Russland und China verbünden sich in Energiefragen (28.09.10)
http://www.stern.de/politik/ausland/schulterschluss-gegen-die-usa-russland-und-china-verbuenden-sich-in-energiefragen-1608162.html

[2] China und Russland rücken näher (27.09.10)
http://www.focus.de/politik/ausland/international-china-und-russland-ruecken-naeher_aid_556244.html

[3] Russland liefert gigantische Gasmengen an China - "Gazeta.Ru" Thema: China-Besuch des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew (28.09.10)
http://de.rian.ru/trade_and_finance/20100928/257349947.html

[4] Energiemarkt: Moskau und Peking rücken zusammen (27.09.10)
http://diepresse.com/home/wirtschaft/eastconomist/597610/index.do

28. September 2010