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ASIEN/704: Hamid Karsai tut Kritik an iranischen Hilfsgeldern ab (SB)


Hamid Karsai tut Kritik an iranischen Hilfsgeldern ab

Kampfansage an die Sicherheitsindustrie könnte Karsai den Kopf kosten


Die jüngste Veröffentlichung von rund 400.000 Geheimdokumenten der US-Streitkräfte aus dem Irak durch das Enthüllungsportal Wikileaks hat die Regierung in Washington in schwere Erklärungsnot gebracht. Nach Analyse der Dokumente ergeben sich vier Haupterkenntnisse, um die es kein Herumkommen gibt: erstens, die US-Streitkräfte haben entgegen anderslautender Behauptungen sehr wohl die Anzahl der nach dem angloamerikanischen Einmarsch im März 2003 getöteten Zivilisten laufend registriert und sie als zu niedrig wiedergeben (die Dokumente berichten von mindestens 15.000 Todesfällen, die bislang unter Verschluß gehalten worden waren); zweitens, die US-Streitkräfte haben mehr Zivilisten, als zugegeben, getötet - vor allem bei Straßenkontrollen und bei Luftangriffen; drittens, die US-Streitkräfte im Irak haben auf Anweisung des früheren Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, jedoch entgegen ihrer Verantwortung als Besatzungsmacht nach dem Völkerrecht zahlreiche Menschen von den mit den USA kooperierenden, neuen irakischen Sicherheitskräften foltern und ermorden lassen; viertens, die Mitarbeiter privater westlicher Sicherheitsdienste, die hauptsächlich das Pentagon und das State Department für sehr viel Geld ins Zweistromland holten, haben ihrerseits völlig an den Gesetzen vorbei gehandelt und auch nicht wenige Zivilisten getötet.

Über jene Plage des modernen Söldnertums, das in die Pläne von Rumsfeld, Paul Wolfowitz und Konsorten bezüglich der Führung moderner Kriege mit minimaler Truppenstärke, dafür unter Einsatz allen erdenklichen elektronischen Schnickschnacks paßte, beschweren sich viele Politiker und Medienkommentatoren seit einigen Jahren. Die einzige Person, die jedoch wirkungsvolle Schritte dagegen unternommen hat, ist Hamid Karsai. Der afghanische Präsident will, daß die Unsummen, die in Afghanistan für ausländische Sicherheitleute ausgegeben werden, in den Aufbau der afghanischen Armee und Polizei fließen. Auf diese Weise soll das Potential der Afghanen, ihre eigene Gesellschaft zu ordnen, gestärkt werden, während man durch eine Umleitung der Ausgaben für Sicherheit an die bisher unterbezahlten, einheimischen Polizisten und Soldaten die Korruption in deren Reihen effektiv bekämpft. Zu diesem Zweck hat Karsai am 10. August ein Verbot aller ausländischen Söldnerdienste, die durch ihre Schießwütigkeit besonders im Straßenverkehr die einfachen Afghanen in die Arme der Taliban treiben, erlassen. Solche Firmen und ihre Mitarbeiter sollen bis zum 17. Dezember Afghanistan verlassen haben.

Mit diesem Ukas hat Karsai die Regierung von US-Präsident Barack Obama, deren Mitglieder ihm seit längerer Zeit Korruption und Unfähigkeit vorwerfen, erst richtig gegen sich aufgebracht. Der Grund liegt auf der Hand. Kurz vor dem spektakulären Erlaß aus Kabul war bekanntgeworden, daß Hillary Clintons Außenministerium Xe Services, dem ehemaligen Blackwater, einen 120-Millionen-Dollar-Auftrag zum Schutz zweier noch im Bau befindlicher US-Konsulate in Afghanistan zugeschanzt und die CIA für 100 Millionen Dollar demselben Unternehmen die Bewachung ihrer Liegenschaften in Afghanistan übertragen hatte. Seit Wochen machen nun Außenpolitiker und Medien der USA gegen die Maßnahme Karsais mit der durchsichtigen wie wenig glaubwürdigen Behauptung Front, müßte das ausländische Sicherheitspersonal abziehen, wären die westlichen Nicht-Regierungsorganisationen den bösen Taliban schutzlos ausgeliefert, der "Wiederaufbau" Afghanistans - der ohnehin im Schneckentempo, wenn überhaupt, vonstatten geht - käme zum Erliegen, die NATO-Mission wäre gescheitert.

Für die jüngste Episode der Anti-Karsai-Kampagne sorgte die regierungsnahe, angeblich "liberale" New York Times, die am 24. Oktober unter der Überschrift "Iran is Said to Give Top Karzai Aide Cash by the Bagful" berichtete, Umar Daudzai, der Stabschef des afghanischen Präsidenten, nehme in dessen Namen regelmäßig "sackweise" Bargeld aus dem Nachbarland Iran an. Damit wurde Karsai unterstellt, mit Washington ein doppeltes Spiel zu betreiben und sich heimlich mit dem bei den neokonservativen Kriegstreibern in den USA verhaßten "Mullah-Regime" in Teheran zu arrangieren. Die Unterstellung wiegt schwer, schließlich behaupten Teile des Kommentariats und des Sicherheitsapparats in den USA, die Iraner betrieben ihrerseits ein doppeltes Spiel, indem sie einerseits in Infrastrukturprojekte im Westen Afghanistans und den Ausbau des bilateralen Handels investierten, andererseits aber die Taliban heimlich mit Geld und Waffen für den Kampf gegen die NATO-Truppen unterstützten.

Bei einer Pressekonferenz am 25. Oktober ist Karsai auf die ihm von der New York Times gemachte Unterstellung eingegangen und hat sich recht energisch dagegen zur Wehr gesetzt. Er gab freiwillig zu, der Iran spende seinem Präsidentenamt "ein oder zweimal im Jahr" eine Million Dollar, die er zur Deckung der laufenden Ausgaben benutze. Über den Erhalt des Geldes aus Teheran sei Washington stets im Bild gewesen. Er, Karsai, habe persönlich Obamas Vorgänger George W. Bush bei einem Treffen auf dem Landsitz des US-Präsidenten in Camp David darüber informiert. Die Gelder aus dem Iran seien im Vergleich zu den Milliarden, mit denen die USA und die anderen NATO-Staaten die afghanische Regierung unterstützten, ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die finanziellen Zuwendungen aus den USA habe er auch teilweise in Bar erhalten - so etwas sei weder verwerflich, noch etwas Besonderes angesichts der Verhältnisse in Afghanistan.

Nachdem er das eigene Verhalten und das seines Stabschefs Daudzai verteidigt hatte, ging Karsai in die Offensive. Er bezichtigte die amerikanischen Gegner des Verbots der Söldnerfirmen, die Geschichte von den iranischen Bargeldzahlungen in der New York Times lanciert zu haben. Er warf Amerikas "Paper of Record" vor, ihn und das afghanische Volk diffamieren zu wollen. Er kündigte nicht nur an, daß es keine Rücknahme seines umstrittenen Erlasses geben wird, sondern begründete ihn mit noch schwereren Anschuldigungen der ausländischen Sicherheitsleute und ihrer Auftraggeber in der US-Politik. Die meistens aus den westlichen Industriestaaten stammenden Ex-Soldaten seien eine Quelle der "Unsicherheit" im Alltag der Afghanen und seien für "das Töten afghanischer Kinder" sowie für "Explosionen und Terrorismus" verantwortlich, erklärte Karsai und setzte nach: "Die Geldzuteilung an die privaten Sicherheitsfirmen fängt in den Fluren der US-Regierung an. Dann schicken sie das Geld zum Töten hierher." Mit seiner Kampfansage an die Adresse der neuen privaten US-Sicherheitsindustrie hat sich Karsai mächtige Feinde gemacht. Es würde nicht überraschen, wenn demnächst ein Anschlag der Taliban oder ein Auto- bzw. Hubschrauberunglück ihn das Leben kostet.

26. Oktober 2010