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ASIEN/705: PR-General Petraeus täuscht Erfolg in Afghanistan vor (SB)


PR-General Petraeus täuscht Erfolg in Afghanistan vor

Washingtons Lieblingssoldat soll militärische Ehre Amerikas retten


Das am 25. Oktober durch eine spektakuläre Schlagzeile hervorgehobene, vernichtende Fazit des britischen Guardians, bei den jüngsten Berichten über angeblich angelaufene "Friedensverhandlungen" zwischen der Regierung Hamid Karsais und Anführern des afghanischen Aufstands handele sich um "Schaumschlägerei", läßt sich ohne weiteres auf einen weiteren Aspekt des Krieges am Hindukusch anwenden, nämliche auf die Behauptung, die Streitkräfte der NATO und der Afghanischen Nationalarmee (ANA) erzielten derzeit in der südostafghanischen Provinz Kandahar, die strategisch enorm wichtig ist, weil sie an Pakistan angrenzt und als die Taliban-Hochburg schlechthin gilt, entscheidende militärische Erfolge.

Seit mehreren Wochen läuft in Kandahar jene Großoffensive, die bereits Anfang des Sommers hätte beginnen sollen, jedoch aus zwei Gründen verschoben werden mußte. Erstens, weil der Probelauf in Mardschah in der Provinz Helmand vollkommen schiefgegangen war; die Vertreibung der Taliban hat Wochen statt wenige Tage gedauert und sollte sich als taktischer Rückzug der Aufständischen entpuppen, weswegen bis heute die Region um die kleine Handelsstadt, in deren Mitte nun die Amerikaner einen Stützpunkt unterhalten, nicht als von feindlichen Kräften gesäubert betrachtet werden kann. Zweitens mußte im Juni der in den US-Medien als "Zen-Krieger" gefeierte General Stanley McChrystal wegen Despektierlichkeiten gegenüber der zivilen Führung in Washington zurücktreten. An dessen Stelle setzte US-Präsident Barack Obama General David Petraeus ein, der in der amerikanischen Öffentlichkeit als derjenige gilt, der 2007, 2008 mit einer Eskalationststrategie - der sogenannten "Surge" - die US-Streitkräfte vor einer peinlichen Niederlage im Kampf gegen schiitische und sunnitische Aufständische im Irak bewahrte.

Seit Petraeus in Afghanistan das Kommando hat, geht die Zahl der Luftangriffe und der Operationen der Spezialstreitkräfte in die Höhe. Angeblich werden dadurch viel mehr Mitglieder der Taliban, der Hisb-i-Islami von Gulbuddin Hekmatjar und des "Netzwerks" des Jallaludin Hakkani und dessen Sohn Saraj getötet. Angaben von westlichen Hilfsgruppen zufolge kommen gleichzeitig viel mehr Zivilisten ums Leben. Offenbar hat Petraeus den Ansatz McChrystals, die Zivilbevölkerung zu schonen, um sie auf die Seite der ausländischen Besatzer und der Karsai-Regierung zu ziehen, über Bord geworfen und setzt dagegen voll auf kurzfristige Erfolge in Form erhöhter Verlustzahlen - wie verläßlich auch immer - beim Feind. Über diese Entwicklung zeigte sich in einem Artikel, der am 23. Oktober bei der britischen Tageszeitung Independent erschienen ist, der legendäre Nahost- und Kriegskorrespondent Robert Fisk, überhaupt nicht überrascht. Er wies darauf hin, daß nach Petraeus' Übernahme des Oberkommandos der US-Streitkräfte im Irak im Januar 2007 die Zahl der dort geflogenen Luftangriffe drastisch angestiegen ist - von 226 im Jahr 2006 auf 1447 in den nachfolgenden zwölf Monaten. Fisk führte in diesem Zusammenhang Angaben des Pentagons an, wonach die Zahl der Bombenangriffe der US-Luftwaffe in Afghanistan, seitdem Petraeus den Posten des ISAF-Oberkommandeurs innehat, um 172 Prozent zugenommen hat.

Laut dem Washington-Post-Kolumnisten David Ignatius, dessen Verbindungen zur CIA und zum Pentagon legendär sind, betreibt Petraeus in Afghanistan wie zuvor im Irak eine "talk and shoot offensive". In einem Gastkommentar, der am 20. Oktober beim Beiruter Daily Star erschienen ist, klärte Ignatius den Leser auf, daß Petraeus "seit langem ein Verfechter der Idee" sei, "daß Kriege in Stammesgesellschaften eine Mischung aus Schießen und Reden" seien. Deshalb, so Ignatius, unterstütze der "Krieger-Staatsmann" Petraeus die Bemühungen Karsais um Verhandlungen mit kapitulationswilligen Aufständischen, während er gleichzeitig "diejenigen, die sich widersetzen, mit vernichtender Feuerkraft" bearbeite.

Solche Hagiographien wie diejenigen von Ignatius und dessen Post-Kollegen Thomas Ricks gehören ebenso zum "perception management" des Pentagons in Bezug auf den Krieg in Afghanistan wie eine stramme Kontrolle des Nachrichtenflusses vom Schlachtfeld. Nicht umsonst durften "aus Kapazitätsgründen" bei der jüngsten Offensive in Kandahar keine Journalisten zugegen sein. Dieser wenig bekannte Umstand, über den als einer der wenigen der Irakkriegsveteran und Friedensaktivist Michael Prysner am 21. Oktober auf der Website des linken US-Dokumentarfilmemachers Michael Moore - michaelmoore.com - berichtete, erklärt die Entstehung von Artikeln wie derjenigen Carlotta Galls am 22. Oktober in der New York Times unter der Überschrift "Coalition Routs Taliban in Southern Afghanistan" ("Koalition schlägt Taliban im Südafghanistan in die Flucht") sowie Joshua Partlows und Karin Brulliards am 25. Oktober in der Washington Post "U.S. operations in Kandahar push out Taliban" (US-Operationen in Kandahar verdrängen Taliban"). Besonders der Artikel von Gall, die selbst nicht an der Front war, sondern aus der Verwaltungsstadt Arghandab berichtete, quoll von Angaben amerikanischer und afghanischer Militärs über. Eine unabhängige Bestätigung für Erfolgsmeldungen, wie die des von Gall zitierten Polizeichefs von Arghandab, Hajji Niaz Muhammad, man habe den Taliban "das Genick gebrochen", gibt es nicht.

In seinem Blog auf der Website Foreign Policy hat am 22. Oktober Stephen Walt, Professor der Politikwissenschaft an der Universität Harvard und führender Vertreter der "Realisten" unter der außenpolitischen Elite der USA, recht nüchtern die Erfolgsaussichten von der Petraeus-Inszenierung "Surge II - Afghanistan" bewertet und folgende Prognose abgegeben:

Ich werde Ihnen sagen, was geschehen wird. Die Vereinigten Staaten werden die nächsten paar Monate damit verbringen, so viele Taliban, wie wir finden können, zu vertreiben oder zu töten, begleitet von lauter optimistischen Berichten darüber, wie gut wir vorankommen. Es wird sich nicht um die Herangehensweise "Herzen und Köpfe" oder sogar um Staatsaufbau drehen; es wird sich darum handeln, den Eindruck des Fortschritts und des Erfolges zu erwecken. Gleichzeitig werden wir versuchen einen politischen Prozeß zu führen, der als "Friedensabkommen" zwischen der Karsai-Regierung und irgendwelchen gemäßigten Taliban verkauft werden kann. Wenn wir wirklich Glück haben und genügend hohe Bestechungsgelder anbieten (pardon, ich meinte Auslandshilfe), könnten wir die Pakistaner dazu bringen, so zu tun, als wären sie mit an Bord. Und dann wird Obama behaupten, daß "die Surge in Afghanistan" geklappt habe, und irgendwann in der zweiten Hälfte 2011 mit dem Abzug der US- Streitkräfte beginnen. ... Es könnte wohl das Beste sein, was man aus einer schlechten Situation machen kann. Doch ein solcher Taschenspielertrick birgt eine subtile, langfristige Gefahr in sich. Bilden wir uns ein, wir hätten gewonnen, und ziehen dann ab, werden wir schließlich die falschen Lehren aus der ganzen Angelegenheit ziehen.

Mit dieser letzten Ergänzung relativiert Walt seine Prognose, was den Abzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan betrifft. Für Petraeus stellt der von Obama vorgegebene Termin Juli 2011 lediglich den Beginn der Truppenreduzierung dar. Wie lange der Vorgang dauert, soll nach eigenen Verlautbarungen des ISAF-Oberkommandeurs "von den Bedingungen am Boden" abhängen. In dem bereits erwähnten Gastkommentar von David Ignatius erzählte dieser ganz nebenbei, Petraeus orientiere sich nicht mehr an Obamas Abzugstermin, sondern statt dessen an das von Karsai anvisierte Datum 2014 als Zeitpunkt für die Übergabe der Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan von den westlichen Streitkräften an die afghanische Nationalarmee und Nationalpolizei und wolle auf dem NATO-Gipfel im portugiesischen Lissabon im November die Allianz auf einen solchen Fahrplan festlegen. Gemäß des "Surge"-Paradigmas strebt Petraeus in Afghanistan offenbar einen Verlauf ähnlich dem im Irak an. Dort haben die US-Streitkräfte im August die letzten "Kampftruppen" abgezogen und haben trotzdem dort immer noch rund 50.000 Soldaten stationiert.

27. Oktober 2010