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ASIEN/786: USA bauen Raketenabwehrsystem in Japan aus (SB)


USA bauen Raketenabwehrsystem in Japan aus

Amerikas Wunderwaffe soll Stabilität Ostasiens garantieren



Als Reaktion auf den dritten Atomtest Nordkoreas am 12. Februar wollen die USA ihre Kapazitäten im Bereich der Raketenabwehr in Japan ausbauen. Zwei Tage nach einem Treffen zwischen US-Präsident Barack Obama und dem frischgewählten japanischen Premierminister Shinzo Abe im Weißen Haus haben sich Unterhändler beider Seiten am 24. Februar auf die Stationierung einer zweiten amerikanischen X-Band-Radaranlage in der Präfektur Kyoto im Südwesten der Hauptinsel Honshu geeinigt. Bereits 2006 wurde die erste Frühwarnanlage dieser Art in der Präfektur Aomori im Nordosten Honshus errichtet. Die Antwort Tokios und Washingtons auf die "Provokation" Pjöngjangs hat in erster Linie symbolischen Charakter. Mit solchen High-Tech-Radarstationen lassen sich die Starts feindlicher ballistischer Raketen ermitteln und ihre Flugbahn recht präzise verfolgen. Ob man sie auch abschießen kann, ist jedoch eine Frage, die Amerikas Rüstungsindustrie mehr als dreißig Jahre nach Ronald Reagans Verkündung seiner Strategic Defense Initiative (SDI), im Volksmund "Krieg der Sterne" genannt, und trotz Entwicklungsaufträgen in astronomischer Höhe immer noch nicht beantworten kann.

Seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts spielen sich die Militaristen Japans und der USA in Sachen Raketenabwehr unter Verweis auf die vermeintliche nordkoreanische Bedrohung die Bälle gegenseitig zu. Während der Ära Bill Clintons gab es unter dessen demokratischen Parteikollegen im Kongreß Bestrebungen, die Finanzierung des milliardenverschlingenden, technologisch dubiosen Projektes, wenn nicht ganz einzustellen, so zumindest drastisch zu senken. Durch den Einstieg der Japaner wurde das Vorhaben jedoch gerettet. Tokios finanzielle Beteiligung verringerte die Kosten für den amerikanischen Steuerzahler. Gleichzeitig wurde das Militärprojekt zum Gegenstand zwischenstaatlicher Abkommen, was seine Streichung schwierig bis unmöglich machte. Seit 1998 arbeiten japanische Ingenieure an der Entwicklung der PAC-3-Version des von Raytheon hergestellten Patriot-Raketensystems.

Als George W. Bush 2001 US-Präsident wurde und Donald Rumsfeld, einen der prominentesten Befürworter des Systems, zum Verteidigungsminister ernannte, war, ungeachtet zahlreicher erfolgloser Tests für Amerikas Ballistic Missile Defense (BDI), die Gefahr der Einmottung endgültig vorbei. Rechtzeitig zum Kampf um Bushs Wiederwahl 2004 ließ Rumsfeld demonstrativ die ersten Abwehrraketen in unterirdische Silos in Alaska stationieren. Darüber hinaus gelang es Bush jun. im Verlauf seiner achtjährigen Amtszeit im Weißen Haus, die europäischen NATO-Verbündeten zur Teilnahme an dem ambitionierten Rüstungsprojekt zu bewegen. Ähnlich wie Japan haben sie sich dazu verpflichtet, Radaranlagen und Abwehrraketen in Europa stationieren zu lassen und einen Teil der Finanzierung zu übernehmen. Nach dem Antritt Obamas als US-Präsident 2009 wurde das von Bush geplante System aufgrund explodierender Ausgaben und technischer Hindernisse rekonfiguriert. Die strategische Hauptfunktion spielen nun US-Lenkwaffenzerstörer der Aegis-Klasse, die sich bei der Zerstörung anfliegender Kurzstreckenraketen als einigermaßen zuverlässig erwiesen haben.

Eine spektakuläre, aber viel zu wenig beachtete Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press vom 9. Februar offenbart die völlige Ungewißheit der Funktionstüchtigkeit des US-Raketenabwehrsystems. Unter der Überschrift "Flaws found in US missile shield against Iran" berichtete AP-Korrespondent Desmond Butler unter Berufung auf Kongreßmitarbeiter von der Existenz mehrerer "geheimer Studien des US-Verteidigungsministeriums, die in Zweifel ziehen, ob ein für Europa milliardenteures Raketenabwehrsystem JEMALS [Hervorhebung d. SB-Red.) in der Lage sein wird, die USA wie beabsichtigt gegen iranische Raketen zu schützen..." Das Goverment Accountability Office (GAO) des US-Kongresses hatte eine Zusammenfassung der Pentagon-Studien für die entsprechenden Ausschüsse im Repräsentantenhaus und Senat erstellt, die anonyme Quellen an AP weitergeleitet hatten. Dazu schreibt Butler: "Zu einem Zeitpunkt, in dem das Militär mit riesigen Haushaltskürzungen konfrontiert ist, könnten die Studien den Kongreß dazu veranlassen, zu überlegen, ob es sich lohnt, Milliarden für ein System auszugeben, das seine ursprünglichen Ziele eventuell nicht erfüllen wird."

Eine Abkehr von dem prestigeträchtigen Raketenabwehrsystem ist dennoch nicht zu erwarten. In den USA kann sich kein Politiker gegen das Rüstungsvorhaben aussprechen, ohne zugleich als Fortschrittsverweigerer und Verräter an der historischen Mission Amerikas gebrandmarkt zu werden. Seit langem ist bekannt, daß der Abschuß feindlicher ballistischer Interkontinentalraketen praktisch nur während der Startphase und aus relativer Nähe möglich ist. Abschüsse in der mittleren Flugbahn, wenn die Rakete mit hoher Geschwindigkeit durch den erdnahen Weltraum fliegt, haben sich technisch nicht realisieren lassen. Für den Abschuß in der Endphase, nachdem zeitgleich mit dem Aussetzen des eigentlichen Sprengkopfes zahlreiche Attrappen freigesetzt werden, gibt es nicht einmal Lösungsansätze.

Dieser Umstand hinderte das Wall Street Journal in seinem am 23. Februar erschienenen Bericht zum Treffen Abe-Obama im Weißen Haus nicht daran, folgendes voller Wohlwollen zu schreiben: "Herr Abe erklärte, ... Japan beabsichtige, seine Gesetze, welche die operative Reichweite seines Militärs stark einschränken, zu ändern, damit die Nation eine größere Rolle in der Sicherheitsallianz [mit den USA - Anm. d. SB-Red.] spielen kann, um regionale Stabilität zu gewährleisten. Eine solche Veränderung würde es Tokio erlauben, eine von Nordkorea Richtung USA fliegende Rakete abzuschießen...". In Ronald Reagan, George W. Bush, Donald Rumsfeld, Barack Obama, Shinzo Abe und den anderen Erbauern des westlichen Raketenabwehrsystems scheint Grigori Potemkin seine wahren Erben gefunden zu haben.

26. Februar 2013