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ASIEN/813: Seemacht USA und Landmacht China auf Kollisionskurs (SB)


Seemacht USA und Landmacht China auf Kollisionskurs

Die Partnerschaft zwischen Washington und Peking bleibt ein Traum



Während in Europa der Streit zwischen der NATO und Rußland um die Zukunft der Ukraine seit Wochen die Schlagzeilen im Bereich der Außenpolitik beherrscht, beobachtet man in Asien mit nicht weniger Sorge die zunehmende Konfrontation zwischen China und den USA, die sich ähnlich der Situation nach der russischen Annektierung der Krim zu einer schweren internationalen Krise mit Kriegsgefahr entwickeln könnte. Als Auslöser kämen mehrere mögliche Szenarien in Betracht: eine Eskalation der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel, eine Zuspitzung des Streits zwischen Japan und China um die Senkaku- bzw. Diaoyu-Inseln, eine überdeutliche Infragestellung des Ein-China-Prinzips durch pekingfeindliche Kräfte auf Taiwan und eine militärische Auseinandersetzung der Seestreitkräfte Chinas und der Philippinen infolge ihrer Dauerdifferenzen um die gegensätzlichen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer.

Spätestens seit die damalige amerikanische Außenministerin Hillary Clinton auf dem APEC-Gipfel in Honolulu im September 2011 "America's Pacific Century" aus der Taufe hob und dabei demonstrativ die ungehinderte Seefahrt durch das Südchinesische Meer zum "Nationalinteresse" Amerikas erklärte, befinden sich die USA und China auf Kollisionskurs. Das Pentagon verfolgt die laufende Modernisierung der chinesischen Streitkräfte mit Argwohn und nimmt besonders an der zunehmenden Schlagkraft der Volksmarine Anstoß. Washington möchte nicht nur die militärische Hoheit im pazifischen Raum behalten, sondern ist auch nicht bereit, den Chinesen die Kontrolle über ihre Küstengewässer zuzugestehen. Folglich wird jede Leistungsverbesserung der chinesischen Marinestreitkräfte als Bedrohung für die Bewegungsfreiheit der US-Marine im Ost- und Südchinesischen Meer ausgelegt.

Während des Besuchs von US-Verteidigungsminister Chuck Hagel in China am 7. und 8. April traten die Spannungen zwischen den beiden wirtschaftlichen Supermächten deutlich hervor. Am Vorabend von Hagels Ankunft in der Volksrepublik hatte das Pentagon die geplante Teilnahme der US-Marine an einer Flottenparade der pazifischen Anrainerstaaten vor der chinesischen Hafenstadt Qingdao abgesagt, weil Gastgeber China Japan wegen des anhaltenden Streits um die Inselgruppe Senkaku/Diaoyu nicht eingeladen hatte. Zum Auftakt des Besuchs durften Hagel und seine Begleiter als erste Amerikaner den neuen chinesischen Flugzeugträger Liaoning, der in Qingdao vor Anker lag, besichtigen und der Durchführung von Flugzeugstarts und -landungen beiwohnen. Doch am nächsten Tag, nach den Gesprächen zwischen Hagel und seinem chinesischen Amtskollegen General Chang Wanquan, kam es auf der offiziellen Pressekonferenz zum offenen Streit.

Zwei Tage zuvor hatte Hagel in Tokio die Sicherheitsgarantie der USA für Japan auf die Senkaku-/Diaoyu-Inseln ausgeweitet und dabei China für die Eskalation des völkerrechtlichen Disputs durch die angeblich einseitige Ausweitung seines militärischen Luftraums verantwortlich gemacht. In Anwesenheit Changs wiederholte Hagel vor der internationalen Presse seine Vorwürfe. Er bezichtigte Peking, "ohne Beratungen, ohne Kooperation" mit den Nachbarn, seine Ansprüche im Ost- und Südchinesischen Meer zu verfolgen. Der Vietnamkriegsveteran meinte, dies könnte zu einem "gefährlichen Konflikt" führen, und warnte die Chinesen, daß die USA "voll zu ihren Verpflichtungen" gegenüber den Militärverbündeten Japan und den Philippinen stünden. Seinerseits erneuerte General Chang den Souveränitätsanpruch der Volksrepublik auf die Senkakus/Diaoyus und ließ sich zudem zu der etwas gewagten Behauptung hinreißen, die chinesischen Streitkräfte könnten "auf Befehl jeden Kampf ausfechten und gewinnen".

In den USA hat man die martialische Aussage Changs nicht sonderlich ernst genommen, zumal die Marine der Volksrepublik lediglich über einen Flugzeugträger verfügt, der sich derzeit erst in der Testphase befindet, während die amerikanischen Streitkräfte dagegen auf zehn solcher Schiffe samt jeweiliger Begleitflotte zurückgreifen können. Doch irgendwann mußte die Replik der Amerikaner auf die rhetorische Herausforderung durch die Volkschinesen kommen. Am 11. April ist sie in Form eines Interviews mit Generalleutnant John Wissler, derzeit Oberbefehlshaber des in Japan stationierten 3. Expeditionskorps der US-Marinefanterie, in der US-Militärzeitung Stars & Stripes erschienen.

Wissler gab sich davon überzeugt, daß die Marine und die Marineinfanterie der USA im Falle einer chinesischen Besetzung der Senkakus/Diaoyus gänzlich ohne die Hilfe der japanischen Streitkräfte die Inselgruppe zurückerobern könnten. Unter Hinweis darauf, daß die Inseln ziemlich klein seien, vertrat Wissler die Ansicht, daß die Rückeroberung keine aufwendige amphibische Operation wie 1945 auf Okinawa erforderlich machen würde. "Man müßte nicht zwingend jemanden auf die Insel setzen, bis man die Bedrohung eliminiert hätte", so Wissler. Das heißt, allein mit Raketen, die man von Schiffen und U-Booten abfeuert, und Bomben, die man von Flugzeugen abwirft, könnte das US-Militär die chinesischen Landungstruppen ausradieren bzw. zum Rückzug zwingen. Bedenkt man die politische Tragweite eines solchen Gemetzels und die damit verbundene Gefahr einer nicht mehr zu kontrollierenden Gewaltspirale, klingen die optimistischen Einschätzungen des amerikanischen Marineinfanteriegenerals mehr als etwas wirklichkeitsfremd.

14. April 2014