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ASIEN/833: Afghanistans Taliban legen internen Führungsstreit bei (SB)


Afghanistans Taliban legen internen Führungsstreit bei

Der Bruder und der Sohn des verstorbenen Mullah Omar werden befördert


In Afghanistan scheinen die Taliban den Führungsstreit, den letztes Jahr die Bekanntgabe des Todes des Gründers und unangefochtenen Anführers der militanten Bewegung, Mullah Mohammad Omar, ausgelöst hatte, beigelegt zu haben. Der neue Taliban-Chef Mullah Aktar Muhammad Mansur hat Omars Sohn und Bruder wichtige Führungspositionen übertragen. Im Gegenzug ficht Omars Familie die Autorität Mansurs nicht mehr an. Weil die Taliban nun vermutlich die neue Einheit unter Beweis stellen und gleichzeitig die neue Konkurrenz namens Islamischer Staat (IS) in ihre Schranken verweisen wollen, ist mit einer starken Frühjahrsoffensive zu rechnen. Für Friedensverhandlungen stehen die Zeiten schlecht.

Als im Juni 2015 die afghanische Regierung bekanntgab, daß Omar bereits 2013 aus dem Leben geschieden war, und sich die Taliban, welche das Ereignis zwei Jahre lang geheimgehalten hatten, gezwungen sahen, die Richtigkeit der Meldung zu bestätigen, brach ein heftiger Kampf um die Nachfolge innerhalb der islamistischen Rebellenorganisation aus. Eine Taliban-Splitterfraktion namens Fidai Mahaz, die seit 2013 gegen die Bemühungen Mansurs um Friedensverhandlungen mit der afghanischen Regierung opponiert hatte, warf dem neuen Anführer vor, den leberkranken Omar vergiftet und einen Putsch durchgeführt zu haben. In der südlichen Provinz Zabul, wo Omar aus dem Leben geschieden sein soll, kam es zu heftigen Kämpfen zwischen der Fihai-Madaz-Fraktion um Mullah Mansur Dadullah und den Anhängern Mansurs.

Als Ende September es den Taliban dennoch gelang, Kundus, die im Norden gelegene, fünftgrößte Stadt Afghanistans, im Sturm zu erobern und mehrere Tage lang zu halten, galt dies als eine Demonstration der Macht und des Kampfwillens Mansurs. Dessen Gegner hatten ihm zuletzt vorgeworfen, den Tod Omars verheimlicht zu haben, um sich in seinem Namen auf die Friedenssignale der Regierungen Afghanistans, Pakistans, Chinas und der USA einzulassen. Tatsächlich war es 2015 in Katar zwischen Abgesandten Mansurs und des neuen afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani zu informellen Annäherungsgesprächen gekommen, die leider keine nennenswerten Ergebnisse zeitigten.

Noch im Dezember 2015 hatten die Taliban Ghani bloßgestellt, als sie während seines ersten Staatsbesuchs in Pakistan einen Überfall auf den internationalen Flughafen von Kandahar, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Süden Afghanistans, sowie auf eine Polizeiwache in der Provinz Helmand durchführten. Ungeachtet dessen tobte innerhalb der Gruppe weiterhin der Richtungsstreit auf hohem Niveau. Damals kursierten Gerüchte, denen zufolge es bei einem Treffen ranghoher Taliban-Kommandeure am 1. Dezember in der Stadt Quetta im pakistanischen Belutschistan zu einer Schießerei gekommen war, in deren Verlauf Mansur tödlich verletzt wurde. Die Veröffentlichung einer Tonbandaufnahme mit der Stimme Mansurs am 6. Dezember hat die Gerüchte nicht ganz abflauen lassen.

Inzwischen steht fest, daß Mansur noch lebt und inzwischen bei den Taliban die Zügel fester denn je in den Händen hält. Seine wichtigsten Gegner haben nichts mehr zu melden. Mullah Mansur Dadullah, der einstige Anführer der Fihai-Madaz-Fraktion, ist Ende letzten Jahres bei den Kämpfen in der Provinz Zabul ums Leben gekommen. Mullah Mohammad Rasul, der während der Taliban-Herrschaft in Afghanistan von 1996 bis 2001 Gouverneur der Provinzen Farah und Nimruz war, ist einem Bericht der New York Times vom 6. April zufolge vor einiger Zeit in Pakistan in Gewahrsam des dortigen Militärs genommen und somit bis auf weiteres kaltgestellt worden. Unterdessen werden aktuell in der Provinz Helmand die letzten Anhänger der Fihai-Madaz-Fraktion von den regulären Taliban aufgerieben.

Zum militärischen Erfolg kommen nun diplomatische Schachzüge, die den Machtkampf innerhalb der Taliban zugunsten Mansurs zumindest mittelfristig beenden sollen. Ende März hat sich überraschend, vermutlich nach geheimen Annäherungsgesprächen, Mullah Kajum Zakir, der sich lange auf Distanz zu Mansur gehalten hatte, der neuen Führung untergeordnet. Am 5. April gab das Islamische Emirat Afghanistan - so bezeichnen sich die Taliban bis heute - die Aufnahme von Omars Bruder und Sohn, Mullah Abdul Manan und Mullah Muhammad Jakub, in die Quetta Schura, das höchste Entscheidungsgremium der Organisation, bekannt. Gleichzeitig wurde Mullah Manan in die Glaubenskommision der Taliban befördert, während der jüngere Mullah Jakub die militärische Befehlsgewalt über die Kampfeinheiten der Taliban in 15 afghanischen Provinzen übertragen bekam. Angesichts der anhaltenden Weigerung der NATO, sich auf die Kernforderung der Taliban nach dem Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus Afghanistan einzulassen, ist kein Ende des Blutvergießens am Hindukusch in Sicht.

9. April 2016


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