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ASIEN/926: Afghanistan - Kabul im Abseits ... (SB)


Afghanistan - Kabul im Abseits ...


In Afghanistan erwecken die Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban in Doha, deren zweite Runde Mitte März nach zwei Wochen zu Ende ging, Hoffnungen und Befürchtungen zugleich. Die mangelnde Transparenz bei den Gesprächen schürt Mißtrauen. Die afghanische Regierung um Präsident Ashraf Ghani macht sich Sorgen, im Stich gelassen zu werden. Viele Afghanen haben Angst davor, daß die Taliban versuchen könnten, nach einem Abzug der ausländischen Streitkräfte ihr früheres Islamisches Emirat einzurichten, Frauenrechte abzuschaffen und das demokratische System, das seit 2002 in Afghanistan herrscht, wieder zu beseitigen.

Bei den Verhandlungen in der Hauptstadt Katars, an denen auf seiten der Taliban fünf ehemalige Guantánamo-Häftlinge teilnahmen, soll man sich auf das Prinzip Abzug aller 14.000 US-Soldaten sowie deren NATO-Verbündeten gegen eine Garantie, daß von afghanischem Boden niemals wieder - wie vor dem 11. September 2001 - terroristische Umtriebe ausgehen, geeinigt haben. Bei den Gesprächen soll General Austin Miller, Oberkommandeur aller US- und NATO-Streitkräfte in Afghanistan, den Taliban den Vorschlag der künftigen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) unterbreitet haben. Dies berichtete am 27. März die New York Times unter der Überschrift "Once Jailed in Guantánamo, 5 Taliban Now Face U. S. at Peace Talks".

Die Idee, die Hauptverantwortung für "Sicherheit" und "Stabilität" in Afghanistan den Taliban zu übertragen, ist nicht so abwegig, wie es vielleicht im ersten Moment erscheint. Schließlich sind die einstigen Koranschüler um Mullah Mohammed Omar die stärkste militärische Kraft im Land. Sie sind deutlich auf dem Vormarsch, verüben nicht mehr nur punktuelle Angriffe auf Stützpunkte der afghanischen Armee und Polizei, sondern überrennen sie inzwischen regelrecht. Mitte März haben die Taliban eine Militärbasis in der Provinz Badghis im Sturm erobert und die mehr als 150 Soldaten dort entweder getötet, gefangengenommen oder zur Flucht über die Grenze in das benachbarte Turkmenistan getrieben. Beim Überfall auf Außenposten am 23. März in der südöstlichen Provinz Helmand soll die afghanische Armee insgesamt 65 Soldaten verloren haben.

Die ungebrochene Schlagkraft der Taliban auf dem Schlachtfeld sowie ihre Aufwertung durch die Anerkennung als Verhandlungspartner der USA scheint bei den afghanischen Sicherheitskräften zu einem dramatischen Verfall der Kampfmoral geführt haben, was wiederum deren anhaltende Niederlagenserie der vergangenen Monate zumindest teilweise erklärt. Sicherlich fragen sich viele afghanische Soldaten und Polizisten, wofür sie ihr Leben riskieren sollen, wenn die Taliban ohnehin demnächst am politischen Prozeß teilnehmen, möglicherweise sogar in die Regierungsgewalt eingebunden werden.

Um diese und andere Fragen zu klären, wollen Vertreter von mehr als 80 afghanischen Parteien und Nichtregierungsorganisationen über mehrere Tage Mitte April in Doha eigene Gespräche mit den Taliban führen. Dieses Treffen soll an eine überparteiliche Begegnung der Taliban mit den anderen gesellschaftlich relevanten Gruppen Afghanistans Mitte Februar in Moskau anknüpfen. Im Vorfeld der Begegnung am Persischen Golf haben unter anderem Führungsmitglieder sowohl der Nationalen Islamischen Front Afghanistans um Vizepräsident und Ex-Warlord Abdul Rashid Dostum als auch der Hisb-e-Islami um den ehemaligen Mudschaheddin-Anführer und Premierminister Gulbuddin Hekmatyar klargemacht, daß es keine Rückkehr zum früheren Scharia-System der Taliban geben dürfe und daß sich letztere mit den vorhandenen demokratischen Institutionen abfinden müssen, wollen sie am Aufbau eines neuen Afghanistans beteiligt werden.

Bedenklich ist dennoch die Boykotthaltung der Ghani-Regierung, die in Moskau nicht vertreten war und nach letzten Melungen auch keine Delegation nach Doha zu schicken beabsichtigt. Zwischen Kabul und Washington herrscht aktuell ganz miese Stimmung. Nachdem Anfang März Hamdullah Mohib den Chefunterhändler der USA bei den Verhandlungen mit den Taliban, den aus Afghanistan stammende Zalmay Khalilzad, bezichtigt hat, selbst in Kabul als "Vizekönig" Washingtons reagieren zu wollen, hat die Administration Donald Trumps den Nationalen Sicherheitsberater Ghanis zur Persona non grata erklärt. Um dies zu unterstreichen, haben am 26. März die US-Vertreter aus Protest gegen die Anwesenheit Mohibs das Treffen der NATO-Botschafter im afghanischen Präsidentenpalast demonstrativ verlassen. Für Außenstehende läßt sich schwer beurteilen, wer mehr für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen dem amtierenden Präsidenten Afghanistans und der US-Regierung verantwortlich ist. Wie dem auch sei, die Eintrübung des Verhältnisses zwischen Kabul und Washington wirft einen dunklen Schatten auf die aktuellen Friedensbemühungen am Hindukusch.

1. April 2019


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