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ASIEN/939: Afghanistan - viele Köche verderben den Brei ... (SB)


Afghanistan - viele Köche verderben den Brei...


Bisher vergeblich bemühen sich die Taliban und der amerikanische Sonderbeauftragte Zalmay Khalilzad um eine Beendigung des Krieges in Afghanistan. Am 7. September mußte US-Präsident Donald Trump wegen Widerstands in der eigenen Regierung die gemeinsame Unterzeichnung eines angeblich bereits fertigen Friedensvertrags abblasen und die bisherigen Gespräche, die über Monate im katarischen Doha stattgefunden hatten, für gescheitert erklären. Um die politische Niederlage nicht eingestehen zu müssen, begründete Trump den plötzlichen Kurswechsel mit einem Bombenanschlag, der zwei Tage zuvor in Kabul zwölf Menschen, darunter einen US-Soldaten, das Leben gekostet hatte.

Tatsächlich schießt seit Monaten in Afghanistan die Zahl der Kriegsopfer in die Höhe. Dafür gibt es zwei Hauptgründe. Erstens sind die Taliban auf dem Vormarsch, kontrollieren de facto rund die Hälfte Afghanistans und sind auch im restlichen Land hochaktiv. Zweitens hat Trump nach dem Einzug ins Weiße Haus im Januar 2017 die Einsatzregeln für die US-Streitkräfte in Afghanistan gelockert. Beim Waffengebrauch müssen die Piloten der US-Luftwaffe und die Soldaten der Bodentruppe weniger Rücksprache mit ihren Kommandeuren halten, dürfen mehr nach eigenem Ermessen handeln und müssen weniger Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen. Darum hat von Anfang Juli bis Ende September die Zahl der zivilen Opfer sowohl infolge von Bombenanschlägen der Taliban und der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) als auch von Einsätzen der US-Luftwaffe den bisher höchsten Stand per Quartal seit 2009 erreicht, als die United National Afghanistan Assistance Mission (UNAMA) die traurige Statistik zu führen begann. Die nackten Zahlen für das dritte Quartal 2019 wiesen 1.174 Tote und 3.139 Verletzte aus.

Eine weitere Ursache der Zunahme an Leid und Zerstörung in Afghanistan sind die Umtriebe von Todesschwadronen, die nominell der Kontrolle der afghanischen Regierung unterstehen, tatsächlich aber von der CIA und deren Helfershelfern bei den Spezialstreitkräften bzw. privaten US-Militärdienstleistern ausgebildet, ausgerüstet und bei Einsätzen geführt werden. Zu diesem Komplex, der sich stark an das grausame Aufstandsbekämpfungsprogram der CIA namens Phoenix anlehnt, das im Vietnamkrieg Hunderttausende Menschen das Leben kostete, hat am 31. Oktober die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch eine 53seitige Studie mit dem Titel "'They've Shot Many Like This': Abusive Night Raids by CIA-Backed Afghan Strike Forces" veröffentlicht. Im Mittelpunkt der Studie, die von Patricia Grossman, Leiterin der HRW-Asien-Abteilung, verfaßt wurde, stehen 14 blutige Überfälle auf Dörfer und Gemeinden, die zwischen Oktober 2017 und August 2019 von Einheiten wie der sogenannten NDS 01 durchgeführt worden sind, die dem National Directorate of Security, dem afghanischen Geheimdienst, in Kabul unterstellt, jedoch hauptsächlich unter der Leitung der CIA nachts "auf Mission" unterwegs sind.

Bei den behandelten Operationen kamen die Angreifer häufig per Hubschrauber, waren vermummt, genossen Luftunterstützung von Kampfjets und verbreiteten Tod und Verderben in einem ungeheuren Ausmaß. Hier und da wurden vereinzelt mutmaßliche Taliban-Mitglieder getötet oder verschleppt, dafür ließen die Schattenkrieger der CIA, unter denen die Überlebenden anhand der Verwendung der englischen Sprache auch Bürger der USA zu erkennen meinten, zahlreiche tote und verletzte Zivilisten zurück. In der Studie macht Grossman die Teilnehmer an derlei Aktionen "für außergerichtliche Hinrichtungen und gewaltsame Verschleppungen, willkürliche Luftangriffe, Überfälle auf medizinische Einrichtungen sowie andere Verstöße gegen internationale Menschenrechte sowie gegen das Kriegsrecht verantwortlich".

In der Studie werden mehrere Überfälle auf Krankenstationen der Hilfsorganisation Swedish Committee for Afghanistan (SCA), die bereits seit den achtziger Jahren in Afghanistan tätig ist und noch während der Taliban-Herrschaft 1996 bis 2001 landesweit 11.000 Mitarbeiter hatte, beschrieben. Allein weil sie notleidende, verletzte Menschen medizinisch behandelten, fielen SCA-Angestellte unter den Verdacht, Sympathisanten oder Helfershelfer der Taliban zu sein. Während Wohnhäuser und Moscheen aus der Luft bombardiert wurden, verschleppten die Milizionäre der CIA Ärzte und Pfleger, folterten sie, brachten einige später um und ließen andere wiederum laufen.

Im HRW-Bericht heißt es über eine nächtliche Razzia am 11. August 2019 in einem Dorf in der zentralafghanischen Provinz Wardak, die Angehörigen der NDS 01 hätten "die Türen eines Hauses gesprengt und vier Männer vor der restlichen Familie erschossen. In einem anderen Haus erschossen sie drei Ladeninhaber und einen ihrer Gäste, die alle zuhause Eid [das islamische Fest am Ende des Fastenmonats Ramadan - Anm. d. SB-Red.] feierten. In einem dritten Fall töteten sie einen Religionslehrer und zwei Bauarbeiter." Nach Angaben der Verwandten wurden alle Todesopfer, die unbewaffnet waren und keinerlei Widerstand leisteten, entweder in den Mund oder ins Auge geschossen.

Wie beim Phoenix Program in Vietnam oder den berüchtigten Operationen der CIA und der US-Spezialstreitkräfte gegen linke Guerillas in Zentralamerika in den achtziger Jahren sind die zivilen Opfer solcher Aktionen keine Kollateralschäden - so das übliche Erklärungsmuster -, sondern das eigentliche Ziel. Ihr Tod ist gewollt, denn es geht darum, Angst und Schrecken unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten und den Rückhalt für die Aufständischen zu brechen. Möglicherweise verfolgt die CIA in Afghanistan die Absicht, die Friedensbemühungen der Trump-Administration zu torpedieren und den Antiterrorkrieg am Hindukusch, der für Washington weitreichende Möglichkeiten der Einflußnahme in der Region zwischen Kaspischem Meer, Himalaya und Indischem Ozean gewährleistet, am Leben zu halten. Schließlich war es die CIA, die im Mai 2016 den damaligen Taliban-Chef Mullah Aktar Muhammad Mansur mittels eines per Drohne durchgeführten Raketenangriffs in Pakistan tötete und damit die Fraktion der Friedenswilligen unter den früheren Koran-Schülern vorübergehend schwächte.

5. November 2019


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