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ASIEN/940: Afghanistan - entgegen US-amerikanischer Wünsche ... (SB)


Afghanistan - entgegen US-amerikanischer Wünsche ...


In Afghanistan tobt der Krieg weiterhin auf einem hohen Niveau. Beim Bombenanschlag der Taliban auf einen Autokonvoi des privaten kanadischen Sicherheitsunternehmens Gardaworld am 13. November in Kabul kamen 12 Zivilisten, Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer, ums Leben. Mehr als zwanzig Personen, darunter vier Gardaworld-Mitarbeiter, wurden dabei schwer verletzt. Am 12. November fielen vier afghanische Soldaten, deren Einheit sich in der Provinz Logar ein schweres Feuergefecht mit den Taliban lieferte und deshalb Luftunterstützung angefordert hatte, als ihre Position "aus Versehen" von US-Kampfjets bombardiert wurde. Wenige Stunden zuvor hatte ein Selbstmordattentäter einen Autobombenanschlag auf einen US-Militärkonvoi nahe der Hauptstadt von Logar, Pul-i-Alam, durchgeführt und laut offiziellen Angaben lediglich sich selbst ins Jenseits befördert.

Seit Anfang September US-Präsident Donald Trump die Verhandlungen mit den Taliban just in dem Moment abbrach, als sie angeblich kurz vor dem Durchbruch standen, treten alle Friedensbemühungen von Washingtons Afghanistan-Sonderbeauftragten Zalmay Khalilzad auf der Stelle. Vor diesem Hintergrund hatte die afghanische Regierung von Präsident Ashraf Ghani, welche die Taliban für ein "Marionettenregime" halten, weshalb sie sich weigern, mit ihr zu verhandeln, einen eigenen Vorstoß unternommen. Am 12. November sollten drei gefangene Vertreter des Haqqani-Netzwerks gegen zwei westliche Akademiker, die sich seit drei Jahren in den Händen der Taliban befinden, ausgetauscht werden. Dies hätte eventuell den Weg für erste Gespräche zwischen Kabul und der Taliban-Führung freigemacht. Doch leider ist die Unternehmung aus bislang unbekannten Gründen gescheitert.

In einer Fernsehansprache erklärte am 12. November Präsident Ghani, er habe dem Gefangenenaustausch zugestimmt, um mit den Taliban "direkte Friedensverhandlungen zu ermöglichen". Ursprünglich wollten die Taliban, daß 80 ihrer in Afghanistan gefangengehaltenen Kämpfer im Austausch mit dem 63jährigen Professor Kevin King aus den USA und seinem 50jährigen Kollegen Tim Weeks aus Australien, die beide zuletzt an der American University of Afghanistan in Kabul gearbeitet hatten und in deren Nähe 2016 verschleppt worden waren, freigelassen werden sollten. King leidet an Herz- und Nierenproblemen. In einer 2017 von den Taliban veröffentlichten Videobotschaft waren die beiden Männer in schlechter Verfassung und sprachen von ihrer Angst, in Gefangenschaft zu sterben.

Um die Dinge in Bewegung zu bringen und das Leben von King und Weeks doch noch zu retten, hatte sich Ghani zur Freilassung von drei Gefangenen entschlossen. Es handelte sich um Anas Haqqani, den Bruder des derzeitigen Operationschefs der Taliban, Hafis Raschid, dessen Bruder der Verhandlungsdelegation der einstigen Koranschüler in der katarischen Hauptstadt Doha angehört - beide waren 2014 in Bahrain festgenommen worden-, und Hadschi Mali Khan, ein ranghohes Mitglied des Haqqani-Netzwerks. Die drei Männer haben am fraglichen Tag neue Kleider bekommen und wurden vom Gefängnis auf dem Gelände des Militärstützpunkts Bagram nahe Kabul zum nahegelegenen Flughafen der afghanischen Hauptstadt gebracht. Von dort aus haben sie zuletzt mit den Taliban-Vertretern in Doha telefoniert, wo sie wenige Stunden später eintreffen sollten. Nach der Übergabe sollten die Taliban die Freilassung von King und Weeks veranlassen.

Doch zum Abflug der drei Männer ist es aus bisher unbekannten Gründen nicht gekommen. In einem am 14. November veröffentlichten Bericht der Nachrichtenagentur Reuters machte Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid die USA für das Scheitern der Operation verantwortlich. In einer am selben Tag veröffentlichten Meldung der afghanischen Online-Zeitung TOLOnews.com hieß es, die Taliban seien angesichts der kurzfristigen Planänderung "erstaunt und verletzt". Gegenüber TOLOnews.com hat eine Quelle bei den Aufständischen berichtet, nach dem Nichteintreffen der drei Dschihadisten in Doha hätten die Taliban aus Mißtrauen gegenüber den Absichten der USA King und Weeks sofort an einen anderen Platz gebracht. Man kann davon ausgehen, daß eine solche Verlegung im schwer umkämpften Afghanistan mit beträchtlichen Strapazen für die beiden Geiseln verbunden war, die den gebrechlichen King das Leben kosten könnten.

Was die Absichten der USA in Afghanistan im allgemeinen betrifft, dürften die Taliban erhebliche Zweifel an dem von Khalilzad seit über einem Jahr propagierten Willen Washingtons zum Abzug aller amerikanischen Truppen hegen. Schließlich hatte US-Generalstabschef Mark Milley bei einem Auftritt im Fernsehsender ABC am 10. November erklärt, Washington werde seine Streitkräfte für "mehrere weitere Jahre" in Afghanistan stationiert halten. Zur Begründung erklärte Milley, die eigentliche Mission, die für die nationale Sicherheit der USA von Afghanistan ausgehende terroristische "Bedrohung" restlos zu beseitigen, sei nach mehr als 18 Jahren Krieg "immer noch nicht vollbracht".

16. November 2019


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