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JUSTIZ/641: Folteropfer der CIA erringen juristischen Sieg (SB)


Folteropfer der CIA erringen juristischen Sieg

Obama-Regierung gibt in bezug auf Folter-Klage keine gute Figur ab


In der USA zerfleischen sich derzeit liberale Demokraten und republikanische Hardliner in der Frage der Folter von Gefangenen im Zuge des "globalen Antiterrorkrieges". Angesichts der vor rund zwei Wochen erfolgten Veröffentlichung eines umfangreichen Untersuchungsberichts des Senats und vierer, einst geheimer Memoranden, in denen die Juristen der Regierung George W. Bush die Anwendung "verschärfter Vernehmungsmethoden" für rechtlich vertretbar erklärt hatten, haben am 28. April der Kongreßabgeordnete John Conyers, der Vorsitzende des Justizausschusses des Repräsentantenhauses, sein demokratischer Parteikollege Jerrold Nadler, der Vorsitzende des Unterausschusses des Repräsentantenhauses zum Thema Verfassung und Bürgerrechte, und Justizminister Eric Holder schriftlich um die Einsetzung eines Sonderermittlers gebeten. Am selben Tag meldete die Onlinezeitschrift Politico, daß Patrick Leahy, der demokratische Vorsitzende des Justizausschusses des Senats, entgegen des erklärten Willens von Präsident Barack Obama, daß keine Schritte gegen die Verantwortlichen der Bush-Regierung unternommen werden, die Einberufung einer "Wahrheitskommission" plant, um die Missetaten der vergangenen acht Jahren aufzuarbeiten. Die Republikaner, angeführt von Ex-Vizepräsident Dick Cheney, werfen ihrerseits Obama vor, durch die Freigabe besagter Memoranden nicht nur Parteipolitik der übelsten Sorte zu betreiben, sondern auch die Sicherheit Amerikas aufs Spiel zu setzen.

Derweil hat am 27. April die American Civil Liberties Union (ACLU), die größte Bürgerrechtsvereinigung der USA, im Kampf gegen das ihres Erachtens illegale CIA-Programm der "extraordinary renditions", das heißt der "außergewöhnliche Verschleppungen", im Rahmen derer der Betroffene nach der Verhaftung in einem Land in ein anderes verschleppt und dort gefoltert wird, vor dem 9. Bundesberufungsgericht in San Francisco einen wichtigen juristischen Sieg errungen. Seit Mai 2007 klagt die ACLU im Namen von fünf Männern, die 2001 und 2002 von der CIA verschleppt und entweder von deren Vertretern selbst oder unter deren Aufsicht von Handlanger eines mit den USA befreundeten "Regimes" im Nahen Osten schwer gefoltert wurde, gegen das Flugunternehmen Jeppesen Dataplan geklagt. Die Tochterfirma von Boeing, dem zweitgrößten Rüstungslieferant des Pentagons, steht seit Jahren unter Verdacht, tief in den Skandal um die sogenannten CIA-Folterflüge verwickelt zu sein, wenn nicht sogar sie durch die Bereitstellung von Flugzeugen und Personal erst ermöglicht zu haben.

Bei den Mandanten der ACLU in diesem Fall handelt es sich um Bisher Al-Rawi, Binyam Mohamed, Abou Elkassim Britel Ahmed Agiza und Mohamed Farag Ahmad Bashmilah. Bisher Al-Rawi, ein Iraker, der lange in Großbritannien wohnhaft war, wurde im November 2002 in Gambia, wo er mit einem Freund eine Fabrik zur Verarbeitung von Erdnüssen einrichten wollte, festgenommen, der CIA übergeben und anschließend nach Afghanistan geflogen. Dort wurde er im berüchtigten "dunklen Gefängnis" der CIA am US-Luftwaffenstützpunkt Bagram bei Kabul gefoltert, bevor man ihn 2003 in das Internierungslager Guantánamo Bay auf dem Gelände des gleichnamigen US-Marinestützpunktes verlegt. Ohne ein Wort der Entschuldigung wie auch ohne daß jemals Anklage gegen ihn erhoben wurde, hat man Al-Rawi im März 2007 freigelassen. Seitdem wohnt er wieder in London.

Binyam Mohamed, ein Äthiopier, der ebenfalls jahrelang in Großbritannien wohnhaft gewesen ist, reiste 2001 zwecks Drogenentzugs nach Pakistan, wurde im Frühjahr 2002 am Flughafen von Karatschi festgenommen und bezichtigt, in ein "terroristisches" Komplott des Al-Kaida-"Netzwerkes" verwickelt zu sein. Anschließend wurde er fünf Monate lang in Pakistan, 18 Monate in Marokko und mehrere Monate in Bagram gefoltert, bis man ihn 2004 nach Guantánamo transferierte. Nach rund sieben Jahren in Gewahrsam dort wurde Mohamed im Februar freigelassen und nach Großbritannien ausgeflogen. Dort hat sein Fall ein heftigen politischen Skandal ausgelöst. Mohammed hat Anzeige gegen die Regierung in London mit der Behauptung erstattet, Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes hätten in Pakistan und Marokko seiner Folter beigewohnt. Den beteiligten Beamten droht rechtliche Schritte. Die Justizbehörden und das Parlament haben jeweils eigene Untersuchungen eingeleitet.

Abou Elkassim Britel, ein italienischer Staatsbürger marokkanischer Herkunft, war 2001 in Verbindung mit der Übersetzung islamischer Bücher und Texte ins Italienische nach Pakistan gereist. Im März 2002 wurde in Lahore verhaftet. Statt der Bitte Britels nach Kontaktaufnahme mit einem Vertreter der italienischen Botschaft zu entsprechen, hat man ihn, von der Decke hängend, solange mit einem Cricket-Schläger traktiert, bis er zugab, ein "Terrorist" zu sein. Im Mai 2002 wurde Britel nach Marokko geflogen, wo er ebenfalls schwer mißhandelt wurde. Später hat man ihn zu einer langjährigen Haftstrafe wegen "Terrorismus" verurteilt. Heute sitzt Britel diese Strafe im Gefängnis von Casablanca ab.

Im Dezember 2001 wurde Ahmed Agiza, ein ägyptischer Pharmakologe, der in Schweden mit Frau und drei Kindern seit drei Jahren wohnte und dort politisches Asyl beantragt hatte, von der Sicherheitspolizei festgenommen und schwarzgekleideten und -maskierten Männern, die im Auftrag der CIA unterwegs waren, übergeben. Diese haben ihn betäubt und in Ketten von Stockholm nach Kairo geflogen. In Ägypten wurde er schwer gefoltert, unter anderem durch Elektroschocks. Anschließend hat ein Militärtribunal ihn bei einem politischen Schauprozeß wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, die er derzeit verbüßt.

Im Oktober 2003 wurde der Jemenit Mohamed Farag Ahmad Bashmilah, der mit seiner Frau von Indonesien, wo sie damals wohnten, nach Damaskus geflogen war, um eine Operation für seine kranke Mutter zu arrangierten, vom jordanischen Geheimdienst verhaftet und mittels Folter zur Unterzeichnung eines falschen Geständnisses gezwungen. Nach wenigen Tagen übergab man ihn der CIA, die ihn wiederum nach Bagram brachte. Die Zustände dort und die Mißhandlungen, die Bashmilah erfuhren, waren so schlimm, daß er dreimal versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Im Mai 2005 wurde er von den Amerikanern ohne jegliche Erklärung von Afghanistan nach Jemen geflogen und den Behörden dort überlassen. Im März 2006 kam er endlich frei.

2008 gelang es der Bush-Regierung mit dem Argument, eine juristische Behandlung des Falls der fünf Männer würde die "nationale Sicherheit" Amerikas gefährden, daß die Klage gegen Jeppesen Dataplan in erster Instanz abgewiesen wurde. Daraufhin ging die ACLU in Berufung. Unter den Anhängern Barack Obamas machte sich Entsetzen breit, als im vergangenen Februar, nur wenige Wochen nach dem Einzug von Amerikas neuem Hoffnungsträger ins Weiße Haus, die Anwälte des Justizministeriums im Berufungsverfahren das gleiche Argument der "nationalen Sicherheit" ins Feld führten und eine erneute Zurückweisung der Klage der fünf Folteropfer forderten. Am 27. April haben nun die drei Richter des 3. Bundesberufungsgerichts in einem wichtigen Grundsatzurteil dieses Argument für nicht stichhaltig erklärt.

Im 26seitigen Urteil hieß es, es könne nicht angehen, daß "alle geheimen Regierungsoperationen" der USA wegen des Verweises auf die "nationale Sicherheit" nicht behandelt werden dürfen, denn diese würden "die CIA und ihre Partner vor den Erfordernissen und Richtlinien des Gesetzes immunisieren". Ließe man den Standpunkt der Regierungen Bush und Obama gelten, könnte dies "perverserweise den Präsidenten dazu ermutigen, politisch belastende Informationen zur geheimen Verschlußsache zu erklären, einfach um sie jenseits der Reichweite der Gerichte zu verbannen", so die Richter.

In der Praxis heißt dies, daß der Prozeß stattfinden kann und daß die Behörden unter Verweis auf die "nationale Sicherheit" lediglich im Einzelfall die Geheimhaltung bestimmter Details bzw. die Zurückhaltung bestimmter Dokumente beantragen, jedoch nicht mehr die ganze Klage zum Scheitern bringen können. Während sich die Anwälte der ACLU und ihre Mandanten erfreut über diesen wichtigen Etappensieg zeigten, enthielt sich die Obama-Regierung zunächst jedes Kommentars. Nun muß das Justizministerium entscheiden, ob er seinen Widerstand gegen einen Prozeß in Sachen der fünf CIA-Entführungsopfer gegen Jeppesen Dataplan aufgibt oder Berufung beim kompletten Bundesberufungsgericht einlegt bzw. den Obersten Gerichtshof in Washington anruft.

Eigentlich ist Aufklärung in dieser Angelegenheit dringend nötig. Wie Thomas Friedman in der heutigen New York Times unter Verweis auf Aussagen von Lawrence Wilkerson, der während der ersten Amtszeit von Bush jun. Stabschef von Außenminister Colin Powell war, konstatiert hat, sind mindestens 100 Inhaftierten im Militärgefängnissen der USA im Irak und in Afghanistan gestorben; 27 von ihnen sind regelrecht zu Tode mißhandelt worden. Laut Andy Worthington, Autor des Buchs "The Guantánamo Files", der das Schicksal gefangengenommener "feindlicher Kombattanten" seit Jahren verfolgt, gibt es sogar rund 80 Personen, die von der CIA entführt wurden und über deren Verbleib nichts bekannt ist.

29. April 2009