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JUSTIZ/673: 9/11-Prozeß findet auf Kuba anstelle New Yorks statt (SB)


9/11-Prozeß findet auf Kuba anstelle New Yorks statt

Obamas vollmundige Guantánamo-Versprechen lösen sich in Luft auf


Nicht einmal ein Monat, nachdem am 7. März US-Präsident Barack Obama sein Veto gegen die strafrechtliche Behandlung der Fälle der in dem Sonderinternierungslager auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba eingesperrten Häftlinge durch Militärtribunale aufgehoben hatte, hat am 4. April sein Justizminister Eric Holder den Plan der Regierung, den Prozeß gegen fünf mutmaßliche Beteiligte des Komplotts um die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 in New York durchzuführen, aufgegeben. Zusammen stellen beide Entscheidungen die schlimmste politische Niederlage der Präsidentschaft Obamas dar, hatte doch der ehemalige Juraprofessor aus Harvard im Wahlkampf 2008 ein Ende der gesetzlichen Eigenmächtigkeiten der Administration von George W. Bush im Rahmen des "globalen Antiterrorkrieges" versprochen und gleich nach dem Einzug ins Weiße Haus im Januar 2009 die Schließung des umstrittenen Gefängnisses in Guantánamo Bay und die Verlegung der dortigen Inhaftierten, denen man eine konkrete Straftat zur Last legte, in die USA zum Ziel erklärt (Die übrigen sollten freigelassen werden).

Wenig unerwartet fiel die Reaktion von Amerikas Liberalen auf den Kursumschwung der Obama-Regierung verheerend aus. Es hagelte kritische Stellungnahmen seitens Bürgerrechtsorganisationen wie der American Civil Liberties Union (ACLU) und des Center for Constitutional Rights (CCR), die seit Jahren für eine menschenwürdige Behandlung sogenannter "Terrorverdächtiger" eintreten. In einem am 5. April unter der Überschrift "Cowardice Blocks the 9/11 Trial" erschienenen Leitartikel warf die New York Times Obama, Holder und den Demokraten "Feigheit" vor. Statt wichtigste rechtsstaatliche Prinzipien zu verteidigen bzw. durchzusetzen, seien die demokratische Regierung und ihre Parteikollegen im Repräsentantenhaus und Senat vor der republikanischen Minderheit eingeknickt, welche die eventuelle Schließung des Lagers in Guantánamo Bay und die geplante Durchführung des Prozesses gegen den mutmaßlichen 9/11-Chefplaner Khalid Sheikh Mohammed und dessen Gesinnungsgenossen Walid Bin Attash, Ramsi Binalschibh, Ali Abdul Asis Ali und Mustafa Al Hawsawi auf dem amerikanischen Festland zu einer inakzeptablen Bedrohung der nationalen Sicherheit aufgebauscht hatten, so das Leitmedium der USA.

Ende letzten Jahres waren die Republikaner im Kongreß mit einem Gesetz, das die Finanzierung des 9/11-Prozesses in den USA verbietet, nur durchgekommen, weil zahlreiche Demokraten dafür gestimmt haben und Obama es, als es dann auf seinem Schreibtisch gelandet war, unterzeichnete, statt dagegen sein Veto einzulegen. Offenbar fürchten sich die Demokraten davor, von den Republikanern und deren neokonservativen Kommentatoren in den Medien, allen voran beim Nachrichtensender Fox News, als "weich" in der Frage der Terrorbekämpfung abgestempelt zu werden. Der Umstand, daß am selben Tag die Entscheidung zur Durchführung des 9/11-Prozesses auf Kuba statt in New York und die offizielle Kandidatur Obamas für die Präsidentenwahl 2012 bekanntgegeben wurden, spricht Bände.

In einem aufschlußreichen Artikel, der am 6. April bei Consortiumnews.com unter der Überschrift "Military Tribunal May Hide 9/11 Motives" erschienen ist, hat der ehemalige ranghohe CIA-Analytiker Ray McGovern die Argumente derjenigen Personen in Presse und Politik, die gegen den geplanten großen 9/11-Prozeß in New York erfolgreich opponiert hatten, unter die Lupe genommen. Er kommt zu dem Schluß, daß das Verfahren nach Guantánamo Bay verbannt werden sollte, damit Sheikh Mohammed und Konsorten nicht die Gelegenheit bekommen, im Scheinwerferlicht der großen Medien ihr Motiv für eine Beteiligung an den Angriffen auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington zu erläutern - nämlich ihre Ablehnung der Politik Washingtons im Nahen Osten einschließlich der Unterstützung für Israel und diverse autoritäre arabische "Regime" in der Region. Auf die Weise könnten Kriegstreiber wie der frühere demokratische und heute parteilose Senator Joseph Lieberman dem amerikanischen Volk weiterhin das ursprünglich von George W. Bush in die Welt gesetzte Märchen erzählen, die Islamisten vom Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens und Aiman Al Zawahiris griffen militärische und zivile Ziele der USA an, weil sie die "Freiheit" der Amerikaner haßten.

McGovern hat natürlich recht mit der Feststellung, daß die Befürworter des Antiterrorkrieges eine eingehende Diskussion der Beweggründe ihrer Gegner wie der Teufel das Weihwasser meiden, doch gleichzeitig greift seine Analyse etwas kurz. Medienberichten zufolge sind die fünf angeblichen Mittäter der mutmaßlichen 19 Selbstmordattentäter des 11. September vor ihrer Verlegung 2006 nach Guantánamo Bay in irgendwelchen "black sites" der CIA im Ausland schwer gefoltert worden. Khaled Sheikh Mohammed oder KSM, wie er im amerikanischen Sicherheitsjargon heißt, soll 183mal dem Waterboarding unterzogen worden sein. Das trägt nicht gerade zu Plausibilität seines angeblichen Geständnisses, sich die Flugzeuganschläge ausgedacht und sie koordiniert zu haben, bei. Vor diesem Hintergrund bestand die Chance, daß bei einem ordentlichen und fairen Prozeß die durch Folter erpreßten Aussagen zu einem Freispruch geführt hätten; entweder indem die Angeklagten sie widerriefen oder der zuständige Richter sie als Beweismittel nicht zugelassen hätte oder die Geschworenen sie einfach nicht geglaubt hätten.

Durch den Verzicht auf einen zivilen Prozeß hat man diesem Alptraumszenario der Sicherheitsfanatiker und der Islamophoben Amerikas einen Riegel vorgeschoben. Bei einem Prozeß, der vor einem Militärtribunal auf Kuba hinter Mauern und Stacheldraht stattfindet, über den nur ausgesuchte Journalisten berichten dürfen und bei dem die Möglichkeiten der Anwälte der Verteidigung stark eingeschränkt sein werden, braucht sich die politischen Elite in Washington keine Gedanken zu machen, daß im Verlauf des Verfahrens irgend etwas bekannt werden könnte, was die offizielle, über weite Strecken recht wackelige Verschwörungstheorie zum Hintergrund und Verlauf der Flugzeuganschläge ernsthaft gefährdete. Durch den Verzicht auf ein öffentliches Verfahren vor einem Bundesgericht in New York für KSM et al. hat die Obama-Regierung nicht nur vor der Behauptung der Bush-Administration, der "Terrorist" sei kein "Bürger" mehr und genieße nicht dessen Rechte, kapituliert, sondern ihre letzte Chance vertan, den gewaltigen, unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001 vollbrachten Sprung der USA in Richtung Polizeistaat rückgängig zu machen.

7. April 2011