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JUSTIZ/679: Großes Medientheater um 9/11-Prozeß in Guantánamo Bay (SB)


Großes Medientheater um 9/11-Prozeß in Guantánamo Bay

Folteropfer der Regierung George W. Bush zur Schau gestellt



Nach eigenen Angaben verstehen die Streitkräfte und Geheimdienste der USA die mediale Ebene als wichtigste Front in jedem Konflikt. Solange die Moral und der Glaube der eigenen Bevölkerung an der Richtigkeit des von der Regierung vorgegebenen Kriegskurses aufrechterhalten bleibt, hätte man keine militärischen Niederlagen in Übersee zu befürchten, so die angeblich grundlegende Lehre des Pentagons und der CIA und der restlichen 16 US-Geheimdienste aus dem Vietnamkrieg. Vor diesem Hintergrund kann man die Anklageerhebung gegen Khalid Sheikh Mohammed (KSM), den mutmaßlichen Chefplaner der Flugzeuganschläge vom 11.‍ ‍September 2001, und vier seiner mutmaßlichen Komplizen am 5. Mai vor einem Militärtribunal im US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba nur als Propagandaveranstaltung im sogenannten Informationskrieg begreifen.

Dem Medienecho zufolge scheint die Inszenierung ihren Zweck mehr als erfüllt zu haben. Am 7. Mai berichtete u. a. der einflußreiche linksliberale Londoner Guardian von der Verärgerung der 9/11-Hinterbliebenen, die auf vier Stützpunkten in Massachusetts, New York, New Jersey und Maryland per Satellitenverbindung den Prozeßauftakt auf Kuba mitverfolgen konnten, über das Verhalten der Angeklagten, die das Gericht nicht anerkannten und sich weigerten, die extra für sie durchgeführte Übersetzung jeder einzelnen Seite der 87seitigen Anklageschrift ins Arabische zu verfolgen. Statt dessen unterhielten sich der Pakistaner KSM und seine vier Mitangeklagten und störten die Verhandlung durch Betpausen und Zwischenrufe. Dadurch dauerte die ganze Veranstaltung 13 Stunden statt, wie ursprünglich geplant, zwei. Der Jemenit Ramsi Binalschibh zum Beispiel beschwerte sich über die Behandlung in Guantánamo Bay, behauptete, er und seine Mitangeklagten seien das Ziel permanenter Drohungen seitens der Wächter, und äußerte die Befürchtung, daß man sie umbringen könnte und den Vorfall anschließend als Suizid ausgeben.

Neben KSM und Binalshibh, dem früheren Mitbewohner und angeblichen Vertrauten des 9/11-"Chefpiloten" Mohammed Atta in der Harburger Marienstraße, sitzen auf der Anklagebank der Jemenit Walid Bin Attash, der ein Al-Kaida-Ausbildungslager in Afghanistan geführt und Auskünfte über Flugsimulatoren und den nordamerikanischen Flugverkehr eingeholt haben soll, der Saudi Mustafa Ahmad Al Hawsawi, der die 19 Flugzeugattentäter mit westlicher Kleidung, Geld, Reisechecks und Kreditkarten versorgt haben soll, und KSMs pakistanischer Neffe Ali Abd Al Asis Ali, der ebenfalls die Operation finanziell unterstützt haben soll. Allen fünf Männern wird Mord in 2976 Fällen und die Teilnahme an einer terroristischen Verschwörung zu Last gelegt.

Folglich hat man es in der Anklageerhebung mit einer Verschwörungstheorie zu tun, die jedoch im Vergleich zur üblichen diffamierenden Verwendung dieses Begriffs nicht im Widerspruch zu den herrschenden Interessen steht, sondern diesen dient. Für die Gruppe um KSM gilt die Unschuldsvermutung formell immer noch, in der Wirklichkeit des öffentlichen Diskurses hat sie jedoch für keine Millisekunde Bestand. Dies wurde 2009 besonders deutlich, als Barack Obama in seinem ersten Amtsjahr als US-Präsident vergeblich versuchte, gegen den Widerstand der Republikaner im Kongreß das Sonderinternierungslager in Guantánamo Bay zu schließen und den 9/11- Prozeß an ein ziviles Gericht in New York zu verlegen. Damals behauptete der liberale Ex-Senator aus Chicago, die Gegner eines zivilen Prozesses würden ihre Befürchtungen bezüglich eines sanften Umgangs mit KSM spätestens dann verlieren, wenn der Massenmörder verurteilt und hingerichtet worden sei. Menschenrechtler sahen in dem Ausspruch Obamas eine unzulässige Vorverurteilung von KSM und verglichen ihn mit der berühmten Äußerung Richard Nixons während des Prozesses gegen Charles Manson und seine Anhänger wegen der Ermordung der schwangeren Schauspielerin Sharon Tate, wonach "jeder" wisse, daß diese die Täter seien.

Es gibt gute Grunde, Skepsis gegenüber der allgemein herrschenden Annahme hinsichtlich der Verwicklung von KSM, Binalschibh, Bin Attash, Al Hawsawi und Asis Ali in die Ereignisse des 11. September 2001 zu hegen. Wann, wo und wie sie festgenommen wurden, ist unklar. Rechtzeitig zum ersten Jahrestag der Flugzeuganschläge wurde die Festnahme Binalschibhs bei einer Razzia im pakistanischen Karatschi gemeldet. Damals berichtete die Asia Times Online, KSM sei bei der Schießerei während der Razzia ums Leben gekommen und seine Frau hätte anschließend seine Leiche für die Behörden identifiziert. Rund ein halbes Jahr später, im März 2003, wurde jedoch mit der Festnahme des 9/11-"Mastermind" im pakistanischen Rawalpindi der nächste Erfolg im "Antiterrorkampf" gefeiert.

Vor ihrer Verlegung nach Guantánamo Bay im Jahr 2006 sind alle fünf Männer auf irgendwelchen "black sites" der CIA außerhalb der USA schwer gefoltert worden. Allein KSM soll 183mal das "Waterboarding", bei dem man an den Rand des Erstickens gebracht wird, unterzogen worden sein. Kein Wunder also, daß sich in seinem Geständnis eine Beteiligung an praktisch allen islamistischen Anschlägen auf US-Ziele der vorangegangenen Jahre findet. Demnach war er nicht nur im ersten Lastwagenbombenanschlag auf das New Yorker World Trade Center 1993 beteiligt, sondern soll Anfang 2002 eigenhändig dem mit Hilfe des mutmaßlichen MI6-Doppelagenten Omar Scheich Ende 2001 in Karatschi entführten Wall-Street-Journal-Reporter Daniel Pearl die Kehle aufgeschnitten haben.

Die Folterer von KSM, dessen "Geständnis" die Schlußfolgerungen in dem 2006‍ ‍dem Kongreß vorgelegten Bericht der "unabhängigen" 9/11-Kommission maßgeblich beeinflußte, scheinen bei ihrer Vernehmungsarbeit etwas über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Denn wie sich Präsident Bush 2006 rühmte, hätten die "verschärften Verhörmethoden" bei KSM geholfen, ein geplantes Flugzeuganschlag der Al Kaida auf den 73stöckigen Library Tower in Los Angeles, das höchste Gebäude der kalifornischen Millionenstadt, zu vereiteln. Die wunderschöne Geschichte hat jedoch einen Haken. Offiziell war das Library-Tower-Komplott bereits 2002 aufgeflogen, KSM erst im darauffolgenden Jahr überhaupt gefangengenommen worden.

Zufälligerweise (oder auch nicht) tauchte Jose Rodriguez, dem früher die CIA-Sondergruppe unterstand, die KSM und die anderen Gefangenen in den "black sites" betreuten, wenige Tage vor der Anklageerhebung gegen die noch lebenden 9/11-Komplottteilnehmer in der Öffentlichkeit groß auf. Anläßlich des Erscheinens des von ihm verfaßten Buchs, sprich Folterrechtfertigungsmanifests, mit dem Titel "Hard Measures: How Aggressive CIA Actions after 9/11 Saved American Lives", zu deutsch "Harte Maßnahmen: Wie aggressive Handlungen der CIA nach 9/11 amerikanische Leben retteten", gab Rodriguez den Machern der vielbeachteten und populären CBS-Politsendung "60 Minutes" ein Exklusivinterview, das am Abend des 29. April im landesweiten US-Fernsehen ausgestrahlt wurde und am darauffolgenden Tag Anlaß zu zahlreichen Artikeln und Kommentaren in der amerikanischen Presse war.

Gegenüber der Reporterin Leslie Stahl, die 1996 bei "60 Minutes" der damaligen amerikanischen UN-Botschafterin Madeleine Albright die berühmt-berüchtigte Aussage entlockte, die Eindämmung von Saddam Husseins Irak mittels eines internationalen Handelsembargos sei eine halbe Million toter irakischer Kinder "wert", präsentierte sich Rodriguez als selbstloser Ex-Staatsbeamter, der während seiner Zeit als Leiter der CIA-Abteilung für verdeckte Operationen den notwendigen Mut hatte, die wirklich schwierigen Entscheidungen zum Schutz der nationalen Sicherheit zu treffen. Gemäß des eigenen Selbstbildes als harter Knochen machte sich Rodriguez über die Folter von KSM lustig. Dem Mörder von Daniel Pearl hätte es "einen Scheißdreck gekümmert, Wasser aufs Gesicht gegossen zu bekommen", so Rodriguez. Er behauptete, "Leuten mit amerikanischem Blut an ihren Händen ein paar ungemütliche Tage bereitet zu haben", genau das Richtige gewesen sei. Nur so habe man mehrere Anschläge verhindern und die Spur, die zum Versteck Osama Bin Ladens im pakistanischen Abbottabad führte, aufdecken können, insistierte er.

Rodriguez verteidigte zudem energisch seine umstrittene Entscheidung, die Videobänder der "verschärften Vernehmungen" von KSM und anderen zu vernichten. Mit diesem Schritt habe er verhindern wollen, daß er und seine Kollegen, allesamt patriotische CIA-Helden, später aufgrund politischen Drucks wegen des Foltervorwurfs an den Pranger gestellt werden könnten, erläuterte er gegenüber Leslie Stahl. Gegen diese märchenhafte, mission-impossible-mäßige Version der Ereignisse sprechen zahlreiche Indizien. Als Ende 2010 das Justizministerium in Washington die fünfjährige Frist, innerhalb derer man Rodriguez und seine Kollegen wegen der Vernichtung hunderter Stunden magnetischer Aufzeichnungen der Folter an KSM und anderen hätte strafrechtlich belangen können, ungenutzt verstreichen ließ, stellte am 11. November jenes Jahres der Schattenblick folgendes fest [1]:

Das Datum der Beseitigung der CIA-Folter-Videobänder [9. November 2005 - Anm. d. Red.] ist von keiner geringen Bedeutung. Gerade sechs Tage davor hatte Leonie Brinkema, Richterin am Bundesgericht in Alexandria, Virginia, die US-Behörden um die Aushändigung allen Materials aus den Vernehmungen gefangengenommener, "illegaler Kombattanten" des "Antiterrorkrieges" gebeten, das zur Entlastung von Zacarias Moussaoui, dem mutmaßlichen "20. Highjacker" des 11. September, beitragen könnte. Ausdrücklich hatte Brinkema die Frage gestellt, ob die US-Regierung "Video- oder Audiobänder von diesen Vernehmungen hat". Am 14. November beantwortete das Justizministerium die Frage mit Nein - schließlich waren in der Zwischenzeit die fraglichen Bänder auf immer dem Feuer übergeben worden.
Moussaoui, ein Franzose marokkanischer Herkunft, war am 16. August 2001 in Egan, Minnesota, aufgrund seines seltsamen Verhaltens an einer Flugschule zunächst wegen Verstoßes gegen die US-Einreisebestimmungen festgenommen worden. Die Versuche der Mitarbeiter des FBI-Büros in Minneapolis, die in Moussaoui einen potentiellen Flugzeugattentäter sahen, den Fall zu lösen, wurden von ihren Vorgesetzten in Washington regelrecht torpediert - selbst nachdem die Ermittler in Minnesota von der Staatspolizei in Paris umfangreiche Hinweise auf Kontakte des Verdächtigen zur islamistischen Szene in Frankreich übermittelt bekommen hatten.
Als Ende 2007 der Skandal um die Vernichtung der CIA-Folteraufnahmen losbrach, hatte dies für Moussaoui keine Relevanz mehr. 2006 hatte er sich dazu bekannt, 2001 zum Zwecke der Flugzeugentführung bzw. des Flugzeuganschlags in die USA eingereist zu sein, und wurde von Brinkema zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Ein Jahr später kamen jene Fragen auf, auf die es nach der jüngsten Entscheidung, auf eine Anklageerhebung gegen die unmittelbar Verantwortlichen bei der CIA zu verzichten, niemals eine ausreichende Antwort geben wird: inwieweit Rodriguez vor der Vernichtung der Videobänder Rücksprache mit dem damaligen CIA-Chef Porter Goss, dem damaligen Justizminister John Ashcroft oder dem Weißen Haus gehalten hat.
Ein wichtiger Aspekt des Skandals von 2007 war neben der Vernichtung der Bänder die Tatsache, daß ihre Existenz einschließlich der Abschriften der Aussagen der gefolterten Personen, von denen einige eine führende Rolle bei der Vorbereitung der Flugzeuganschläge gespielt haben sollen, nicht nur beim Moussaoui-Prozeß, sondern auch den Mitgliedern der "unabhängigen" 9/11-Untersuchungskommission verschwiegen wurde, die 2004 ihren Abschlußbericht vorgelegt und den US-Sicherheitsapparat zwar wegen Funktionsuntüchtigkeit kritisiert, jedoch von jeder Verwicklung in die Angriffe auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington freigesprochen hatte.
Vor diesem Hintergrund hat sich am 11. Dezember 2007 Coleen Rowley, die im Sommer 2001 als FBI-Anwältin in Minneapolis an den erfolglosen Ermittlungen gegen Moussaoui beteiligt gewesen ist, mit einem bemerkenswerten Leserbrief in der New York Times zu Wort gemeldet. In dem Schreiben warf Rowley der "Bush-Bande" offen vor, durch die Vernichtung von Beweismaterial, das für die Aufklärung des 11. September höchst relevant wäre, "die Wahrheit zu unterdrücken". Angesichts der Diskussion um Bushs Memoiren und der Entscheidung, daß die Vernichtung der CIA-Folteraufnahmen kein strafrechtliches Nachspiel haben wird, scheint den zuständigen Stellen in Washington die von Rowley angeprangerte Unterdrückung der Wahrheit inzwischen recht gut gelungen zu sein.

Mit dem Auftakt des 9/11-Prozesses gegen KSM und seine Mitangeklagten vor dem Militärtribunal in Guantánamo Bay wird die Vertuschung der wahren Hintergründe des "Tages, der die Welt veränderte" erfolgreich wie konsequent fortgesetzt.

7.‍ ‍Mai 2012

Fußnote:
[1] Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION → USA/1268: Bush wird seinen Ruf als Folter-Befürworter nicht los (SB)
http://schattenblick.de/infopool/politik/redakt/usa1268.html