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JUSTIZ/691: Polen wegen Verwicklung in CIA-Folter verurteilt (SB)


Polen wegen Verwicklung in CIA-Folter verurteilt

Der Fall Al Zubaydah fällt den "neuen Europäern" auf die Füße



Polen hat sich 2002 und 2003 durch die Bereitstellung des Militärstützpunkts Szymany samt Start- und Landebahn mitschuldig an der illegalen Verhaftung und Folter zweier Araber durch die CIA gemacht. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg (EGMR) am 24. Juli festgestellt. Entgegen jahrelanger gegenteiliger Beteuerungen aus Warschau gilt es nun höchstrichterlich als erwiesen, daß im fraglichen Zeitraum Vertreter des polnischen Staates wissentlich gegen das Folterverbot sowie gegen die Grundrechte auf Freiheit, Schutz des Familienlebens und einen fairen Prozeß verstoßen haben, indem sie die CIA im Osten des Landes eine sogenannte "black site" betreiben ließen. Laut dem Gericht soll die polnische Regierung den beiden Opfern, dem 43jährigen Palästinenser Abu Zubaydah und dem 49jährigen Saudi Abd Al Rahim Al Nashiri, 130.000 respektive 100.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

In Warschau hat man mit Unverständnis auf das historische Urteil reagiert, das erstmals die Existenz einer CIA-Folteranlage auf europäischem Boden beweist. Gegenüber dem Sender TVN 24 bedauerte Regierungssprecherin Malgorzata Kidawa-Blonska den Ausgang der Verhandlungen in Strasbourg und meinte, die Richter des EGMR hätten zunächst den Abschluß der Ermittlungen der polnischen Staatsanwaltschaft abwarten sollen. Der damalige Premierminister Leszek Miller ging voll in die Offensive. Vor der Presse erkannte er das EGMR-Urteil nicht an, sondern tat es als "ungerecht und unmoralisch" ab; ungerecht, weil es seiner Meinung nach auf "Mutmaßungen und Spekulationen" beruhe, und unmoralisch, weil es die Rechte von "Terroristen" höher einstufe als den Schutz der Menschen vor Anschlägen.

Die Argumentation von Miller ist hochgradig verlogen. Aber was soll man von jemanden erwarten, der 2003 zusammen mit dem damaligen Präsidenten Alexander Kwasniewski maßgeblich die Entscheidung traf, die polnischen Streitkräfte am illegalen Einmarsch der USA in den Irak zu beteiligen. Dadurch hat Polen neben Großbritannien in der EU eine Gegenposition zu der Deutschlands und Frankreichs eingenommen, wodurch seine Führung sich in den Lobpreisungen der Regierung von US-Präsident George W. Bush als Vertreter eines "neuen Europas" hatte sonnen dürfen. Der Hinweis auf den Irakkrieg ist in bezug auf das jetzige Urteil des EGMR deshalb relevant, weil es vermutlich im polnischen Szymany gewesen ist, wo einige der wichtigsten "Geheimdiensterkenntnisse", mit denen die Bush-Regierung gegenüber der Öffentlichkeit die Notwendigkeit des gewaltsamen Sturzes Saddam Husseins rechtfertigte, mittels Folter gewonnen wurden. Also hatte die Preisgabe westlicher Werte weniger mit dem Schutz unschuldiger Bürger vor den Missetaten irgendwelcher Moslem-Extremisten und vielmehr mit der Durchsetzung der aggressiven Welthegemonialpläne der Neokonservativen in Washington zu tun.

In einem Artikel, der am 21. April 2009 von der US-Zeitungsgruppe McClatchy unter der Überschrift "Report: Abusive tactics used to seek Irak-al Qaida link" veröffentlicht wurde, zitierte Jonathan Landay einen "ehemaligen ranghohen US-Geheimdienstbeamten" dahingehend, daß es Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld waren, die damals von den Vernehmungsbeamten verlangten, daß sie "Beweise" für eine Verbindung zwischen dem Salafisten Bin Laden und dem Baathisten Saddam Hussein finden sollten - koste es, was es wolle. Gegenüber Landay erklärte der Ex-Geheimdienstmann, dessen Name im Artikel nicht erwähnt wurde, warum die CIA Abu Zubaydah im August 2002 unter anderem mindestens 83 Mal dem Waterboarding aussetzte.

"Es gab zwei Gründe, warum diese Vernehmungen so lange dauerten und so hartnäckig durchgeführt wurden und warum extreme Methoden zur Anwendung kamen. Der Hauptgrund ist, daß sich alle Sorgen um einen weiteren Anschlag (nach 9/11) machten. Doch für einen Großteil von 2002 und bis in 2003 hinein verlangten insbesondere Cheney und Rumsfeld Beweise für eine Verbindung zwischen Al Kaida und dem Irak, von denen ihnen der (irakische Exilpolitiker Ahmed) Chalabi erzählt hatte, daß sie existierten.
Auf den Geheimdiensten und den Vernehmungsbeamten lastete der permanente Druck, alles, was erforderlich sein sollte, zu unternehmen, um jene Informationen aus den Gefangenen, insbesondere aus den paar hochwertigen, die wir hatten, zu bekommen, und wann immer die Leute berichteten, daß die nichts in Erfahrung hatten bringen können, wurde ihnen dann seitens Cheneys und Rumsfelds Leuten gesagt, daß sie sich noch mehr ins Zeug legen sollten.
Cheneys und Rumsfelds Leute wurden von der CIA und von anderen Leuten ... wiederholt informiert, daß es keine verläßlichen Erkenntnisse gab, die auf operative Verbindungen zwischen Bin Laden und Saddam hindeuteten, und daß solche Verbindungen unwahrscheinlich wären, weil die beiden im Grunde genommen Feinde und keine Verbündeten waren."
Dessen ungeachtet haben ranghohe Regierungsmitglieder "das beiseite geschoben und permanent darauf insistiert, daß wir etwas übersehen hätten, daß die Vernehmungsbeamten nicht genügend Druck ausübten, daß es irgend etwas Zusätzliches geben müßte, was wir machen könnten, um an die Informationen heranzukommen", erklärte er.

Schließlich wurde US-Außenminister Colin Powell von Bush, Cheney und Rumsfeld dazu genötigt, am 5. Februar 2003 vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York die durch Folter und andere dubiose Methoden gewonnenen Erkenntnisse über die Existenz eines "finsteren Nexus" zwischen dem Al-Kaida-"Netzwerk" und Saddam Husseins Irak zu präsentieren. Am 13. Mai 2009 hat Lawrence Wilkerson, damals Powells Stabschef, die Angaben von Jonathan Landays Geheimdienstinformanten bestätigt und seine früheren Kollegen in der Bush-Regierung schwer belastet. Auf der Website Democrats.com wurde Wilkerson mit folgender Aussage zitiert:

Was ich erfahren habe, ist, daß die Administration verschärfte Vernehmungsmethoden in April und Mai 2002 - lange bevor das Justizministerium irgendwelche Rechtsgutachten erstellt hatte - genehmigt hat. Oberste Priorität, was die Erkenntnisgewinnung betrifft, war nicht die Verhinderung eines weiteren terroristischen Anschlages auf die USA, sondern die Entdeckung eines rauchenden Colts, der den Irak mit Al Kaida verbinden würde.

Abu Zubaydah hatte in den ersten Wochen nach seiner Verhaftung in Pakistan im März 2002 mit dem FBI kooperiert und sein Wissen über Al Kaida und die Taliban dem US-Ermittlungsbeamten Ali Soufan freiwillig mitgeteilt. Danach verbrachte er viereinhalb Jahre im Foltergulag der CIA, darunter in Polen, bis er im September 2006 in das Sonderinternierungslager auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba eingeliefert wurde. 2007 hat dort ein Tribunal bescheinigt, daß er kein Al-Kaida-Mitglied, geschweige denn ein "Topterrorist", sondern lediglich ein ehemaliger Mudschaheddin gewesen ist, der in den neunziger Jahren im afghanischen Bürgerkrieg auf seiten der Taliban gekämpft hat. Dessen ungeachtet stützt sich die offizielle Version der "unabhängigen" 9/11-Kommission von den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 zu einem erheblichen Teil auf Aussagen, die Al Zubaydah in Verlauf seiner schweren Mißhandlungen durch die CIA gemacht hat.

Vermutlich aufgrund der Dürftigkeit belastender Beweise ist bis heute keine Anklage gegen Al Zubaydah erhoben worden. Und trotzdem sitzt er immer noch in Guantánamo hinter Gitter. Indes laufen zum Beispiel aus der damaligen kriegsbeteiligten Bush-Administration eine Reihe von Leuten unbehelligt herum, die ihre Hände wahrscheinlich auch nicht in Unschuld waschen können, und propagieren weiterhin den von ihnen maßgeblich geschürten "globalen Antiterrorkrieg". Man kann davon ausgehen, daß Al Zubaydah niemals die ihm zugesprochenen 130.000 Euro von Polen erhalten wird. Es läßt sich nicht einmal ausschließen, daß selbst der Versuch, die Entschädigungsgelder an ihn zu übergeben, aus Sicht Washingtons den Strafbestand der Finanzierung des "internationalen Terrorismus" erfüllen würde.

25. Juli 2014