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LATEINAMERIKA/2146: Milliardär Carlos Slim rettet New York Times (SB)


Mexikanischer Wirtschaftsmogul sucht Optionen auf die Zukunft


Der mexikanische Milliardär Carlos Slim wendet mit einer Investition von 250 Millionen Dollar eine drohende Liquiditätskrise der New York Times ab und verschafft dem Verlag damit Handlungsspielraum für die nächsten Monate. Verlagschefin Janet L. Robinson sprach im vergangenen Monat mit Blick auf 2009 von einem der schwierigsten Jahre in der Geschichte des Traditionsunternehmens. Wie die gesamte Zeitungsbranche leidet die New York Times nicht nur unter der weltweiten Wirtschaftskrise, sondern auch gravierenden strukturellen Problemen. Leser wandern massenhaft ins Internet ab und die Erlöse aus dem Anzeigengeschäft brechen dramatisch ein. So lagen die Anzeigenumsätze der Times im November um 21 Prozent niedriger als vor einem Jahr. In diesem Zeitraum hat die Aktie des Unternehmens 50 Prozent ihres Wertes verloren. Neben den Schwierigkeiten, mit denen auch die Konkurrenz zu kämpfen hat, gesellt sich eine Unterkapitalisierung des Verlags, da sich die Eigentümer bislang stets großzügige Dividenden gewährt haben. Die Times verschuldete sich in den Zeiten des Kreditbooms, wobei diese Kredite nun unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen fällig werden.

Um zu überleben, muß der Verlag dringend Kapital beschaffen und zugleich die Kosten senken. Im Mai läuft eine Kreditlinie über 400 Millionen Dollar aus, eine zweite in gleicher Höhe wird 2011 fällig, so daß Slim zwar Luft verschafft, jedoch diese Hürde nicht vollständig aus dem Weg geräumt hat. Ratingagenturen stufen Schuldverschreibungen des Verlags inzwischen als Schrottanleihen ein, die ein sehr hohes Ausfallrisiko tragen. Die Eigentümer nahmen eine Kürzung der Dividende um drei Viertel hin, ein New Yorker Vertriebszentrum wurde geschlossen und man spart durch Abstriche am Lokalteil Druckkosten ein. Darüber hinaus soll das neue Verlagsgebäude in Manhattan verkauft und anschließend zurückgemietet werden. Der von Stararchitekt Renzo Piano entworfene 52stöckige Wolkenkratzer gehört dem Times-Konzern zu 58 Prozent und könnte 225 Millionen Dollar bringen. Zudem steht der Anteil an der Baseball-Mannschaft der Boston Red Socks zur Veräußerung an, doch hat sich bislang kein Käufer gefunden.

Nach den Worten Janet L. Robinsons verbessert die mit Carlos Slim getroffene Vereinbarung die finanzielle Flexibilität des Konzerns und erlaubt es ihm, seine langfristige Strategie weiter zu verfolgen. Zugleich beschäftige man sich mit anderen finanziellen Initiativen und konzentriere sich darauf, mit Hilfe der Einkünfte aus der Geschäftstätigkeit und weiterer entscheidender Schritte die Schulden abzubauen.

Nun ist Carlos Slim natürlich kein Unternehmer, der sein Geld verschenkt. Er läßt sich den Kredit mit einer Laufzeit bis 2015 mit sagenhaften 14,1 Prozent verzinsen. Da der Kredit mit einem Bezugsrecht für Aktien verbunden ist, könnte der Mexikaner darüber einen Anteil von elf Prozent an der Times erwerben. Nachdem er bereits im September 6,9 Prozent der Aktien in seinen Besitz gebracht hat, hielte er dann 18 Prozent an dem Verlag und damit fast ebenso viel wie die Verlegerfamilie Ochs-Sulzberger, die über 19 Prozent verfügt. Bislang beherrschen die Sulzbergers den Konzern, da sie den überwiegenden Teil der B-Aktien halten, die mit einem Mehrfachstimmrecht ausgestattet sind.

Als der 68jährige Carlos Slim im Herbst 2008 bei der Times einstieg, bezeichnete er den Verlag als ein attraktives Unternehmen, für das er einen guten Preis geboten habe. Angesichts seiner jüngsten Investition machen Spekulationen die Runde, welcher Art die Motive seines verstärkten finanziellen Engagements sind. Vielleicht geht es ihm vorerst darum, die Verluste in Grenzen zu halten, die er mit den Aktien erlitten hat. Andererseits ist nicht auszuschließen, daß Slim eine Kontrolle des Konzerns anstrebt und dessen Notlage zu nutzen gedenkt.

Carlos Slim ist einer der reichsten Menschen der Welt. Das Magazin Forbes setzte ihn im Mai 2008 mit einem geschätzten Vermögen von 60 Milliarden Dollar auf Platz zwei hinter den US-Investor Warren Buffett, wobei die Wirtschaftskrise inzwischen erhebliche Teile der Vermögenswerte vernichtet und diesbezügliche Annahmen zu bloßen Mutmaßungen degradiert hat. Slim hat sein Vermögen vor allem mit der mexikanischen Telefongesellschaft Telmex und dem größten Mobilfunkbetreiber Lateinamerikas, America Movil, gemacht. Während der Privatisierungswelle in den 1990er Jahren kaufte er die antiquierte staatliche Telefongesellschaft. Er rationalisierte, modernisierte mit Millionenaufwand, schlug dank seiner guten Beziehungen zur Regierung ausländische Konkurrenten aus dem Feld und kontrolliert heute 90 Prozent des Festnetzes, während die Mobilfunktochter Telcel für fast 80 Prozent aller Handys verantwortlich zeichnet. Dies gestattete Slim wiederum, auch im Ausland zu investieren, so daß América Móvil inzwischen mit mehr als 100 Millionen Kunden der größte Mobilfunkbetreiber Lateinamerikas ist.

Zudem ist Slim an der Bank Inbursa beteiligt und besitzt eine Industrieholding mit einer breit gestreuten Palette, die von Zigarettenherstellern über Zementproduzenten, Baufirmen, Minen, Eisenbahngesellschaften, Ausrüstern der Ölindustrie, Supermärkte und Kaufhäuser bis hin zu Versicherungen und Immobilien reicht. Schätzungen zufolge sind mehr als 40 Prozent aller börsennotierten Unternehmen Mexikos in seinem Besitz, wobei man seinen Instinkt bei der Jagd nach bankrotten Unternehmen, die sich in eine Goldgrube verwandeln lassen, mit dem Warren Buffets auf eine Stufe stellt. Aus dieser unermüdlichen Expansion ging ein Wirtschaftsimperium hervor, das sich von Nord- bis Südamerika erstreckt.

Vor zehn Jahren übergab Carlos Slim nach einer Herzoperation das Tagesgeschäft seinen Kindern, um sich auf strategische Entscheidungen zu konzentrieren. Während er jahrzehntelang jedes öffentliche Aufsehen mied und seine Geschäfte vorzugsweise im Stillen abwickelte, trat er in jüngerer Zeit als Kunstsammler und Mäzen in Erscheinung, der mit Bill Clinton und diversen anderen prominenten und einflußreichen Leuten befreundeten Umgang pflegt. Da dem Trend in ganz Lateinamerika folgend auch in Mexiko immer häufiger Stimmen laut werden, die das Elend der Massen mit dem aberwitzigen Reichtum kleiner Eliten in Verbindung bringen, sah sich Slim veranlaßt, sein Image von Grund auf umzufrisieren. Galt er vordem als unangreifbarer Gigant, der ein aufwendig geschaffenes Beziehungsgeflecht mit Politikern und anderen einflußreichen Kräften steuerte, so tritt er heute zumindest mit Worten für soziale Verantwortung des Unternehmertums und größere wirtschaftliche Gleichheit der Bevölkerungsschichten ein.

Sein Mäzenatentum bleibt natürlich funktionaler Natur, da Spenden und Stipendien, Interviews und Auftritte vor dem Kongreß und schließlich das von ihm ins Leben gerufene "Abkommen von Chapultepec" Hoffnungen erwecken, Angriffsflächen abbauen und zugleich eigene Zukunftsoptionen schaffen sollen. Tausende hochrangige Politiker, Geschäftsleute und Intellektuelle haben das Abkommen unterzeichnet, das inhaltlich kaum mehr als Partnerschaften von Staat und Privatwirtschaft bei der Finanzierung von Schulen und Krankenhäusern anmahnt.

Längst hat man gemutmaßt, daß dieses Manöver vor allem dem Zweck geschuldet sei, das mit mehr oder minder fragwürdigen Methoden errichtete Wirtschaftsimperium vor Angriffen abzusichern, die der Wandel des politischen Klimas und insbesondere die Krise der kapitalistischen Wirtschaftsordnung mit sich bringen. Wie es heißt, habe Slim bereits mehr als die Hälfte seines früherem Reichtums durch verfallende Aktienkurse eingebüßt. Wie er im Oktober 2008 warnte, übertreffe das Ausmaß der aktuellen Wirtschaftskrise das der großen Depression von 1929. Seiner Überzeugung nach wird sich kein einziges Land von der globalen Krise schützen können. "Jetzt müssen Bankiers, Inhaber von Hypothekenfonds und deren Aktionäre leiden, wenn aber die Finanzkrise Industrie und Landwirtschaft erfaßt, werden alle leiden müssen", stellte der Multimilliardär damals fest.

Er weiß nur zu gut, daß Geldbesitz für sich genommen fast von heute auf morgen verschwinden kann und tatsächlicher Einfluß sich aus anderen Quellen speist. Das könnte einer seiner Gründe sein, in die New York Times zu investieren, der das Wasser bis zum Hals steht. Teilhabe an künftiger Medienmacht stünde Carlos Slim gut zu Gesicht, wenn die immanente Krise des Raubsystems, dessen Zwang zur Expansion seine eigenen Grundlagen zu verschlingen droht, den Kapitalismus, wie wir ihn kennen, zugunsten eines innovativen Regimes der Herrschaftssicherung zurückläßt, das die schwindenden Sourcen des Überlebens unumkehrbar unter den Zugriff einer elitären Minderheit bringt.

21. Januar 2009