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LATEINAMERIKA/2204: Regenwaldbewohner im Kampf gegen Verseuchung (SB)


Protestaktionen in Peru - Prozeß gegen Chevron in Ecuador


Die in politischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Kalkulationen weithin ausgeblendeten Zerstörungsfolgen der Industrialisierung werden allenfalls dann thematisiert, wenn die Menschen, auf die man sie abwälzt, sich dem widersetzen. Diesen droht daraufhin in der Regel massiver Einsatz der Staatsgewalt zur Wahrung und Durchsetzung jener Interessen, die höher als Gesundheit und Leben der als marginal eingestuften Existenzen angesiedelt werden. Diese Abwägung von Gütern und Werten, in der sich nackte Gewalt manifestiert, tritt besonders krass zutage, wenn Ureinwohner in entlegenen Regionen gegen die Vernichtung ihrer Lebensvoraussetzungen zu Felde ziehen. Todsicher greift der domestizierte Reflex des zivilisierten Metropolenbewohners, man könne sich schließlich nicht den anachronistischen Wünschen einer Handvoll Wilder beugen, wenn das Wohlergehen hochentwickelter Kulturen auf dem Spiel steht.

So hat die peruanische Regierung im Nordosten des Landes für mehrere Regionen im Amazonasgebiet den Ausnahmezustand verhängt, um den wochenlangen Protesten und Blockaden von Ureinwohnern ein Ende zu machen. Diese werfen der Regierung in Lima Umweltzerstörung durch den Bau von Industrieanlagen auf ihrem Gebiet vor und sperren unter anderem die Amazonas-Nebenflüsse Curaray und Napo. Diese Behinderung der Öl- und Gasförderung duldet die Administration Präsident Alan Garcías nicht, weshalb sie zunächst in zwei Fällen Militär einsetzte, um Schiffen des britisch-französischen Ölkonzerns Perenco freie Durchfahrt zu verschaffen. Nun hat sie für die Dauer von zunächst 60 Tagen Grundrechte wie die Unverletzlichkeit der Wohnung und die Versammlungsfreiheit außer Kraft gesetzt, um den Widerstand zu brechen. (junge Welt 11.05.2009)

Wie fundamental diese Auseinandersetzung ist, unterstreicht auch ein Prozeß, den Bewohner des Regenwaldes in Ecuador derzeit gegen den Giganten Chevron führen. Vor Jahrzehnten hat der US-Konzern Texaco, der 2001 von Chevron übernommen wurde, in dieser Region Öl gefördert und nach seinem Abzug einen nicht annähernd beseitigten Grad von Vergiftung hinterlassen, der noch immer zum Tod zahlreicher Menschen führt. Im nordöstlichen Urwaldgebiet des Landes verseuchen vielerorts die Überreste der Ölproduktion Erdreich, Grundwasser und Flüsse, woran es im Prinzip keinen Zweifel gibt, da die Schäden zumeist mit bloßem Auge zu erkennen sind. Da sich der seit Jahren geführte Rechtsstreit mit möglichen Entschädigungsforderungen in Höhe von 27 Milliarden Dollar zum weltgrößten bislang im Umweltbereich geführten Prozeß auswachsen könnte, weist Chevron jede Verantwortung vehement von sich und kündigt einen gnadenlosen Gang durch alle Instanzen an. (New York Times 15.05.09)

Wenngleich es dabei zunächst nur um Chevron geht, könnte ein Urteil zugunsten der Kläger weitreichende Folgen für die gesamte Branche und deren verheerende Altlasten haben. Texaco nahm in den 1960er Jahren die Exploration in dieser Region auf und begann Anfang der 1970er Jahre, Öl zu fördern, ohne die geringste Rücksicht auf die dort lebenden indígenen Völker zu nehmen. Damals herrschte eine Militärdiktatur, mit der sich der US-Konzern bestens zu arrangieren verstand. Auch mit den nachfolgenden Regierungen wußte man sich ins Benehmen zu setzen, und so vereinbarte Texaco bei seinem Abzug in den frühen 1990er Jahren die Beseitigung angerichteter Schäden auf einem Teil der konzessionierten Flächen, wofür 40 Millionen Dollar veranschlagt wurden. Mit dieser Summe wollte sich der Konzern von allen weiteren Forderungen freikaufen und damit einen Schlußstrich unter sein Engagement in dieser Region ziehen.

Dorfbewohner machten jedoch geltend, daß vermehrt auftretende Krankheiten und Todesfälle auf die hinterlassene Verseuchung zurückzuführen waren, und reichten Klage in den USA ein. Dort schleppte sich das Verfahren durch diverse Instanzen, bis es schließlich mit der Begründung abgewiesen wurde, US-Gerichte seien dafür nicht zuständig. Da in Quito zwischen 1996 und 2006 nicht weniger als zehn Präsidenten einander die Klinke in die Hand gaben, war aus dieser Richtung keine nennenswerte Initiative zu erwarten. Das änderte sich fast schlagartig, als mit Rafael Correa ein Präsident ans Ruder kam, der nationale und soziale Interessen auf eine Weise zu bündeln verstand, die Rückhalt bei der Bevölkerungsmehrheit fanden.

Correa hat sich wiederholt eindeutig auf die Seite der Kläger gestellt und Chevrons Vergangenheit in Ecuador als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet. Dies war ein eindeutiges Signal, daß die Regierung in Quito den grundsätzlichen Charakter dieser Form der Ausplünderung anzuprangern bereit ist und damit die jahrzehntelange Kollaboration einheimischer Eliten mit multinationalen Konzernen und imperialistischen Mächten zu beenden trachtet. Die Kläger haben daher gute Aussichten, den ersten Prozeß in Lago Agrio zu gewinnen, der jedoch nur der Auftakt zu einer Kette weiterer Verfahren sein wird.

Chevron schiebt die Verantwortung auf die einheimische Ölgesellschaft Petroecuador ab, welche die Anlagen von Texaco übernommen hat und ihrerseits eine denkbar schlechte Umweltschutzbilanz aufweist. Dem halten die Kläger entgegen, daß der US-Betreiber die Voraussetzungen geschaffen habe, derer sich Petroecuador in der Folge bediente. Der Konzern spricht von einer Politisierung und Korrumpierung des Falls, die man mit allen erdenklichen Rechtsmitteln beantworten werde. Er bietet hochkarätige Juristen und Lobbyisten auf, darunter den früheren US-Handelsbeauftragten Mickey Kantor und den Stabschef des Weißen Hauses unter Clinton, Mack McLarty. Sie sollen Druck auf die Obama-Administration mit dem Ziel ausüben, Ecuador die Handelsvergünstigungen zu streichen.

Der US-Konzern will die Regierung in Quito zwingen, Verhandlungen über eine Kompensationszahlung aufzunehmen, die erstens unter dem Streitwert liegt und zweitens den Charakter einer endgültigen Abwicklung hat. Aus Sicht der Präsidentschaft Ecuadors geht es darum, an dieser Stelle zumindest einen Bruchteil dessen abzugelten, was die Ausplünderung des Landes an Verheerungen hinterlassen hat, und dabei nicht zuletzt der politischen Dimension Rechnung zu tragen, die weit über den aktuellen Fall hinausreicht.

15. Mai 2009