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LATEINAMERIKA/2207: William Clinton UN-Sondergesandter für Haiti (SB)


Generalsekretär Ban Ki Moon setzt Administrator des Elends ein


Wenn sich die Elendsfolgen der Konflikte und Katastrophen in einer Region so dramatisch zuspitzen, daß ausbrechende Hungerrevolten zum Initialzünder einer um sich greifenden Erhebung ausgebeuteter, unterdrückter und ausgegrenzter Menschenmassen zu werden drohen, pflegen die Vereinten Nationen einen Sondergesandten zu ernennen. Ihm wird die Aufgabe übertragen, die Gemengelage zu entschärfen und zu regulieren, auf daß die Verfügbarkeit der Unterworfenen nicht abhanden kommt. Wie angekündigt hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den früheren US-Präsidenten William Clinton zum Sondergesandten für Haiti ernannt. Das bestätigte Ban am Rande einer WHO-Tagung in Genf, der die Aufgabe Clintons mit den vagen Worten umriß, dieser solle helfen, daß das Land weiter ganz oben auf der Prioritätenliste bleibe. Aus UN-Kreisen in New York verlautete dazu, dieser Posten sei eigens für den ehemaligen US-Präsidenten geschaffen worden, der dazu beitragen werde, die soziale und wirtschaftliche Erholung Haitis voranzubringen.

Schon vor seiner offiziellen Ernennung hatte William Clinton der Zeitung "The Miami Herald" anvertraut, daß es ihm eine Ehre sei, die Einladung Bans für den Posten anzunehmen. Die beiden Politiker hatten im März gemeinsam Haiti besucht, wo sie die Staatengemeinschaft zu finanziellen Hilfen für das Land aufriefen. Auf einer internationalen Geberkonferenz in Washington im April stellten die Teilnehmer dem Karibikstaat für die kommenden zwei Jahre Hilfen in Höhe von 324 Millionen Dollar und damit nur einen Bruchteil dessen in Aussicht, was die Regierung in Port-au-Prince als unbedingt erforderliche Summe genannt hatte. Nach Angaben von Ministerpräsidentin Michèle Duvivier Pierre-Louis benötigt ihr Land in diesem Zeitraum rund 900 Millionen Dollar.

Hillary und William Clinton halten ein gewisses Faible für Haiti vor, seitdem sie ihre Hochzeitsreise dort verbracht haben. Er besuchte das Land 1995 als Präsident und noch einmal 2003, wobei ihm viele Haitianer bis heute zugute halten, daß er seinerzeit Jean-Bertrand Aristide zurückgebracht hat. Sie hat Haiti ebenfalls mehrfach besucht und reiste zuletzt im April als neue amerikanische Außenministerin nach Port-au-Prince. Dabei sagte sie US-Hilfsgelder in Höhe von rund 300 Millionen Dollar zu, was natürlich nicht heißt, daß die haitianische Regierung diese Summe sofort und zur freien Verfügung erhält. Auflagen für die Verwendung sind damit stets verbunden, wobei in aller Regel keineswegs sicher ist, wann die Tranchen bereitgestellt und ob sie jemals in voller Höhe gezahlt werden.

Nach Jahrzehnten der Diktatur unter Francois Duvalier ("Papa Doc") und seinem Sohn Jean-Claude Duvalier ("Baby Doc") ab 1956 hatten nach einem Militärputsch und einer Verfassungsreform 1990 schließlich Wahlen in Haiti stattgefunden. Als der Armenpriester Jean-Bertrand Aristide erstmals zum Präsidenten gewählt wurde, blieb die Situation weiter instabil und mündete in einen erneuten Militärputsch. Im Zuge einer militärischen Intervention der USA kam Aristide wieder an die Macht, bis er diese 1996 an seinen engen Weggefährten Rene Preval abgab, weil ihm die Verfassung keine weitere Amtszeit gestattete. Aristide konnte erst 2001 erneut kandidieren und gewann die Wahl. Unter wachsendem Druck Washingtons, das Hilfsgelder für Haiti einfror, konnte er die geplanten Sozialreformen kaum noch durchführen und mußte schließlich 2004 nach einer von den USA inszenierten Rebellion ins Exil gehen.

US-Marines, die man Aristide zuvor als Schutz gegen die Aufrührer verweigert hatte, rückten binnen Stunden ein und etablierten ein Besatzungsregime, das nicht lange darauf von einer UN-Stabilisierungstruppe übernommen wurde. Nachdem zunächst eine pro-amerikanische Marionettenregierung eingesetzt worden war, gewann Preval 2006 die Präsidentschaftswahl. Haiti blieb ein Spielball hegemonialer Interessen, welche die zunehmend unerwünschte, weil widerspenstige und sozialen Anliegen verhaftete Präsidentschaft Aristides sabotierten, für einen Staatsstreich sorgten und die Fragmente des Gemeinwesens durch die Besatzung verwalteten.

Haiti gilt als das ärmste Land der westlichen Hemisphäre, dessen dreijährige Phase leichter wirtschaftlichen Erholung 2008 endete, als steigende Preise für Nahrungsmittel und Kraftstoff zu einer Hungerkatastrophe führten und vier verheerende Stürme die Wirtschaft vollends in den Abgrund stürzten. Allein die tropischen Wirbelstürme, bei denen im September letzten Jahres 800 Menschen starben und immense Schäden angerichtet wurden, haben geschätzte 15 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung Haitis vernichtet. Mußten schon zuvor 80 Prozent der Bevölkerung mit zwei Dollar oder weniger am Tag ihr Dasein fristen, so haben sich die Lebensverhältnisse für die allermeisten Haitianer seither noch einmal dramatisch verschlechtert.

Da der Staatshaushalt inzwischen zu 60 Prozent von ausländischer Hilfe abhängt, wird das Land wirtschaftlich und politisch von fremden Kräften gesteuert, die nach ihrem Gutdünken spärliche Zuwendungen gewähren oder versagen, um den westlichen Teil der Insel Hispañiola unter Kontrolle zu halten. Viel auszubeuten gibt es dort längst nicht mehr, weshalb ein wesentlicher Aspekt administrativen Kalküls der Verwaltung des Elends geschuldet ist, das sich weder in einer verzweifelten Revolte erheben, noch in Gestalt eines rapide anschwellenden Flüchtlingsstroms in die USA drängen soll. Die International Crisis Group, eine auf Konfliktlösung und -vermeidung spezialisierte Organisation in Brüssel, warnte anläßlich der Geberkonferenz denn auch davor, daß es erneut zu politischer Instabilität und Unruhen kommen könnte. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon orakelte damals düster, Haiti befinde sich derzeit in einer kritischen Phase und werde entweder in noch tiefere Armut abrutschen oder mit Hilfe internationaler Geldgeber vorankommen.

Die Not in ihrer Heimat veranlaßt viele Haitianer, ihr letztes Geld zusammenzukratzen und sich zu verschulden, um sich von Schleusern übers Meer in die USA bringen zu lassen. Das kostet in der Regel mehrere tausend Dollar und ist aus einer Reihe von Gründen lebensgefährlich: Oft sind die Boote nicht seetüchtig und völlig überladen oder geraten in einen Sturm. Nicht selten entledigen sich die Schmuggler ihrer menschlichen Fracht auf hoher See oder vor Erreichen der Küste. Zudem machen Patrouillenschiffe der meisten karibischen Kleinstaaten Jagd auf diese unerwünschten Besucher und rammen mitunter die Flüchtlingsboote. Und schließlich lauert da noch die US-Küstenwache, die eigenen Angaben zufolge seit Oktober 2008 fast 1.400 Flüchtlinge festgenommen hat. Ob es Hunderte oder gar Tausende Haitianer sind, die allein im letzten Jahr den Versuch, die USA auf dem Seeweg zu erreichen, mit dem Leben bezahlen mußten, vermag niemand zu sagen, da man von den Opfern allenfalls dann etwas erfährt, wenn Leichen gesichtet werden oder Überlebende den Behörden etwas darüber berichten.

Wollte die US-Regierung den Haitianern tatsächlich zu Hilfe kommen, könnte sie zuallererst jenen 30.000 haitianischen Immigranten Aufenthaltsrecht gewähren, die derzeit von Abschiebung bedroht sind. Deren Deportation war im September 2008 suspendiert, später jedoch von der Bush-Administration wieder in Kraft gesetzt worden. Nicht anders verhält es sich unter Präsident Obama, denn die Heimatschutzbehörde hat im März die Gültigkeit der Abschiebeorder bestätigt. Flüchtlingen aus Ländern, die von Naturkatastrophen oder bewaffneten Konflikten heimgesucht werden, kann für einen längeren Zeitraum Aufenthalt in den USA gewährt werden, der eine Arbeitsgenehmigung einschließt. Mit dieser Gunst geht die Administration jedoch so sparsam um, daß lediglich eine Handvoll Länder unter die Regelung fallen. Am Beispiel eines Armenhauses wie Haiti, in dem viele Menschen Erde essen, die zu Kugeln geformt auf dem Markt verkauft wird, wird deutlich, daß es kein wie auch immer zu bemessendes Ausmaß tiefer Not gibt, das einen Anspruch auf Humanität erwirken könnte.

20. Mai 2009