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LATEINAMERIKA/2213: Zum Tod des haitianischen Armenpriesters Gérard Jean-Juste (SB)


Vorkämpfer der Haitianer in den USA und Anhänger Präsident Aristides


Vor wenigen Tagen ist der katholische Priester Gérard Jean-Juste im Alter von 62 Jahren in Miami gestorben. Er zählte zu den bekanntesten Vorkämpfern für die Rechte haitianischer Einwanderer in den USA und wurde als Anhänger Präsident Jean-Bertrand Aristides und entschiedener Kritiker der 2004 installierten Marionettenregierung in Haiti zweimal ins Gefängnis geworfen. Jean-Juste hatte sich der Befreiungstheologie verschrieben, die sich der "Verdammten dieser Erde" annimmt und die Auffassung vertritt, daß die Verbesserung der elenden Lebensverhältnisse über alle anderen Erwägungen zu stellen sei. Wer die christliche Botschaft so ernst nimmt, daß er nichts unversucht läßt, die Leiden seiner Mitmenschen zu lindern, gerät zwangsläufig in Konflikt mit den weltlichen Machthabern wie auch der Kirchenführung, die keineswegs bereit ist, ihre Beteiligung an der Herrschaft für christliche Werte und das leidende Volk preiszugeben. Wem es einfallen sollte, die Rettung der Menschen über die ihrer Seelen zu stellen und damit die Macht der Kirche in ihren Grundfesten zu erschüttern, muß neben der Verfolgung durch staatliche Kräfte auch mit Sanktionen von kirchlicher Seite rechnen.

Gérard Jean-Juste, der aus Cavaillon stammte, wurde in Kanada zum Priester ausgebildet und 1971 in Brooklyn, wo er als Diakon tätig war, als erster Haitianer in den Vereinigten Staaten ordiniert. Bald darauf kehrte er nach Haiti zurück, wo er eine kleine Gemeinde in einer abgelegenen Gegend unter seine Obhut nahm. Noch im selben Jahr lehnte er es ab, den geforderten Treueeid auf die Regierung des Diktators Jean-Claude Duvalier zu leisten und nahm seinen Wohnsitz wieder in den USA, wo er zunächst in Boston wirkte.

Angesichts um sich greifender Verelendung und politischer Verwerfungen in ihrer Heimat kamen Haitianer in den 1970er Jahren in wachsender Zahl als Flüchtlinge in die USA. Statt Asyl und besserer Lebensverhältnisse erwartete sie dort in der Regel Lagerhaft und die Abschiebung nach Haiti. Ende der 1970er Jahre gehörte Jean-Juste zu den Mitbegründern des Haitian Refugee Center in Miami, das es sich zur Aufgabe machte, Flüchtlinge zu unterstützen, die Stimme gegen die Einwanderungsgesetze zu erheben und vor Ort gegen Diskriminierung zu kämpfen. Im Jahr 1980 erstritt das Zentrum in einer Sammelklage vor einem Distriktgericht ein Urteil, das der Einwanderungsbehörde Diskriminierung attestierte und verfügte, daß mehr als 4.000 Haitianer nicht abgeschoben werden dürften, sondern Anspruch auf eine neue Anhörung hätten.

Als Direktor des Zentrums war "Father Gerry" weithin bekannt, da er sich entschieden für die Immigranten einsetzte, den Straßenprotest anführte und sich sogar vor Busse legte, um den Abtransport festgenommener Flüchtlinge zu verhindern. "Haitianer hatten keine Rechte in Haiti und sie haben auch hier keine Rechte", zitierte ihn 1980 der "Miami Herald". "Sie hungern, sie sind von ihren Familien getrennt, sie können nicht arbeiten." Zugleich focht er unermüdlich vor den Gerichten, um Haitianern, die von der US-Regierung lediglich als Wirtschaftsflüchtlinge eingestuft wurden, die Anerkennung als politische Flüchtlinge zu verschaffen.

Während die katholische Kirche die haitianischen Immigranten der bloßen Routine karitativer Maßnahmen anheimstellte, beharrte Jean-Juste darauf, daß es sich um eine schreiende Ungerechtigkeit handle, die Parteinahme unabdingbar mache. Mit seinem Engagement zog er sich den Zorn der Erzdiözese von Miami zu, der sich entlud, als er Begräbnisfeiern für nichtkatholische Haitianer abhielt, die bei der Überfahrt ertrunken waren. Damit nicht genug, stand er Streikposten vor der Residenz Erzbischof Edward McCarthys, dem er vorwarf, ein Rassist zu sein und sich nicht für die Rechte haitianischer Flüchtlinge einzusetzen. (New York Times 28.05.09)

Nach Ende der Diktatur unter François ("Papa Doc") und Jean-Claude ("Baby Doc") Duvalier und der Wahl des ehemaligen Armenpriesters Jean-Bertrand Aristide zum Präsidenten kehrte Gérard Jean-Juste aus dem Exil nach Haiti zurück, wo er ein Ministeramt in der neugebildeten Regierung bekleidete. Als Aristide jedoch nach nur sieben Monaten durch einen Militärputsch gestürzt wurde und das Land verlassen mußte, tauchte Jean-Juste für die Dauer von drei Jahren ab. Erst als Aristide im Zuge einer US-amerikanischen Intervention 1994 wieder in sein früheres Amt eingesetzt wurde, konnte auch Jean-Juste erneut öffentlich tätig werden, ohne ständig um sein Leben fürchten zu müssen. Als Rektor einer kirchlichen Einrichtung in einem Stadtviertel am Rande von Port-au-Prince leitete er eine Suppenküche für die Armen.

Nach dem zweiten Sturz Aristides im Frühjahr 2004 sah sich Jean-Juste Repressionen der Marionettenregierung ausgesetzt, die ihn festnehmen und zweimal ins Gefängnis werfen ließ. Ende Januar 2006 wurde er vorübergehend aus der Haft entlassen, um eine Behandlung seiner im Vorjahr diagnostizierten Leukämie-Erkrankung in den USA möglich zu machen. Die provisorische Haftentlassung kam jedoch viel zu spät, um die widerrechtliche Festnahme unter fingierten Vorwürfen zu revidieren, um seine geplante Kandidatur um das Präsidentenamt zu ermöglichen und schließlich auch um sein Leben zu retten. Als populärster Anhänger des ins Exil getriebenen Jean-Bertrand Aristide galt er als aussichtsreichster Kandidat, dessen Nachfolge anzutreten. Um den Aufstieg eines zweiten Armenpriesters in das höchste Staatsamt zu verhindern, schaltete man den wegen seines sozialen Engagements außerordentlich beliebten Priester aus und machte ihn im Juli 2005 zum politischen Gefangenen einer von Washington installierten Marionettenregierung und einer Willkürjustiz, die zahllose Parteigänger Aristides meist ohne Rechtsbeistand und Prozeß eingekerkert hatte.

Ursprünglich warf man Jean-Juste vor, er sei in die Ermordung des bekannten Journalisten Jacques Roche verwickelt, obwohl er sich zum Zeitpunkt des Attentats auf Roche im Ausland aufhielt und während seiner Verhaftung einen Trauergottesdienst für den Ermordeten abhielt. Die völlig absurde und durch nichts bewiesene Anklage wurde später fallengelassen, worauf man dem Priester illegalen Waffenbesitz und Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation zur Last legte.

Bei der Begräbnisfeier für den ermordeten Roche wurde Jean-Juste plötzlich angegriffen, doch statt die Angreifer festzunehmen, verhaftete die haitianische Polizei den Priester. An diesem offensichtlich geplanten Vorgang war auch die Zivilpolizei der UNO beteiligt, die Jean-Juste der haitianischen Polizei überstellte, ohne deren weiteres Vorgehen zu prüfen. Der Armenpriester wurde nach seiner Festnahme nie formell unter Anklage gestellt.

Vor seiner Verhaftung hatte Jean-Juste regelmäßig die Armenviertel der Hauptstadt Port-au-Prince aufgesucht, wo man ihn kannte und schätzte. Er tauchte auch bei Demonstrationen auf und hielt die Trauerfeier für jene, die den Schüssen von Polizei und UNO-Soldaten zum Opfer gefallen waren. Vergeblich bot er sich als Vermittler zwischen den verfeindeten Fraktionen an, doch war weder die Interimsregierung, noch die UNO oder die US-Botschaft bereit, seine Dienste in Anspruch zu nehmen, da man offenbar seine Popularität im Volk fürchtete. Jean-Juste verurteilte das Massaker vom 6. Juli 2005, das brasilianische UNO-Truppen im Armenviertel Cité Soleil verübten, und rief zu einer Protestkundgebung vor der Botschaft Brasiliens in Washington auf. Dafür und für vieles andere mehr warf man ihn in den Kerker.

Wenige Tage vor seiner vorübergehenden Haftentlassung hatte sich Jean-Juste mit einer Botschaft aus dem Gefängnis an seine Freunde und Anhänger gewandt, in der er seinen baldigen Tod ankündigte, wenn seine Krankheit nicht behandelt werde. Zugleich pries er sich glücklich, da seine Landsleute zumeist nicht so alt würden wie er selbst. Er nahm Abschied von seinen Weggefährten und versicherte ihnen zugleich, daß er fest im Glauben und guten Mutes sei. Sein überwiegend seelsorgerisch gehaltenes Schreiben schloß er mit den Worten, daß Wunder immer möglich seien.

Im November 2007 erschien er vor einem Berufungsgericht in Haiti, das über die verbliebenen Anklagepunkte zu befinden hatte. Auf die Frage, welche Waffen sich in seinem Besitz befänden, antwortete er dem Richter, seine einzige Waffe sei der Rosenkranz. Das Verfahren endete damit, daß alle Vorwürfe gegen Gérard Jean-Juste fallengelassen wurden.

2. Juni 2009