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LATEINAMERIKA/2259: Calderóns Mexiko paktiert mit der US-Justiz (SB)


Auslieferung und Hochsicherheitstrakt nicht nur für Kartellbosse


Die seit Jahren erhobene Forderung der Vereinigten Staaten, Mexiko möge sich der engen Zusammenarbeit in allen Aspekten einer gemeinsamen Sicherheitspolitik nicht verschließen, findet bei dem konservativen Präsidenten Felipe Calderón ein offenes Ohr. Die zwischen ihm und George W. Bush ausgehandelte Mérida-Initiative sorgt für massive Militärhilfe, die Washington nicht nur zum Finanzier, sondern zugleich auch Kontrolleur der mexikanischen Streitkräfte macht. Das beginnt bei Auflagen für deren Verhaltenskodex, an die Teile der Gelder gekoppelt sind, und führt über die Lieferung US-amerikanischer Waffensysteme bis hin zu Ausbildern für die Armee des Nachbarlands oder Schulung mexikanischer Offiziere in den USA. Mexikos Rolle in diesem Pakt ist die eines Puffers gegen die Armut, welche die Vereinigten Staaten auf diese Weise von ihrer Südgrenze fernhalten wollen. Ähnlich wie die Mächte Europas ihre Bollwerke gegen die Migration nach Nordafrika vorlagern und dort Vasallenstaaten rekrutieren, züchtet sich die US-Administration einen von ihr abhängigen Verbündeten heran.

Die traditionell mißtrauische Haltung auf mexikanischer Seite ist ein Resultat historischer Niederlagen gegen den alten Erzfeind im Norden, dessen angeblich offene Arme man zu Recht als neuerliche Falle interpretiert. So legte man bis vor wenigen Jahren größten Wert darauf, die eigenen Institutionen gegen die Behörden und Dienste der USA abzuschotten, auch wenn dies zwangsläufig den Vorwurf nach sich zog, man lege damit einer international organisierten Verbrechensbekämpfung Steine in den Weg. Auf dem Feld der Justiz, Polizei und Sonderabteilungen bis hin zu den Geheimdiensten zusammenzuarbeiten, ist zwangsläufig mit einer Öffnung verbunden, die weit über eine einvernehmliche Kooperation hinausreicht und einer Auslieferung an die finanziell, technologisch und organisatorisch überlegenen Apparate des übermächtigen nördlichen Nachbarn gleichkommt. Ein klassisches Beispiel ist die Bestückung mexikanischer Behörden mit Hard- und Software US-amerikanischer Provenienz, die dem Sponsor heimlich installierten Zugang zu den Datenbeständen des Empfängers verschafft.

Es steht außer Frage, daß die beiden Länder hinter den Kulissen längst in Fragen der Sicherheitspolitik weit enger zusammenarbeiten, als dies einer breiteren Öffentlichkeit oder den Parlamenten bekannt ist. Unter den Präsidentschaften der US-freundlichen Staatschefs Vicente Fox und Felipe Calderón trieb die Regierung die Schaffung von gesetzlichen Grundlagen bis hin zu Verfassungsänderungen voran, um den sicherheitsrelevanten Zusammenschluß politisch salonfähig zu machen und zu legalisieren. Den Generalvorwand liefert der aktuellen Administration der von ihr selbst massiv forcierte Antidrogenkampf, dessen Eskalation offen gewalttätiger Auseinandersetzungen alle anderen gesellschaftlichen Konflikte wie insbesondere die zunehmend prekären Lebensverhältnisse in den Hintergrund drängt und die repressive Umgestaltung in den Rang der dominanten Doktrin erhebt.

Vor diesem Hintergrund wird auch die Situation im mexikanischen Strafvollzug auf eine Weise diskutiert, die als Königsweg den Zusammenschluß mit der US-Justiz geradezu aufdrängt. Jüngsten Anlaß, einen Schub auf diesem Gebiet lautstark anzumahnen, bot eine Revolte in der Strafanstalt von Gómez Palacio im nordmexikanischen Bundesstaat Durango, bei der 19 Häftlinge getötet und mehr als 20 verletzt wurden. Als Gefängnis mit allenfalls mittleren Sicherheitsstandards ausgewiesen, wurde die Einrichtung in zunehmendem Maße mit Delinquenten aus Kreisen des organisierten Verbrechens wie insbesondere der Drogenkartelle belegt. Diese Praxis ist eine unmittelbare Folge der enorm gestiegenen Inhaftierungen im Kontext des forcierten Antidrogenkampfs, der eine Überbelegung der Gefängnisse zur Folge hat. Seit Amtsantritt Präsident Calderóns im Dezember 2006 wurden mehr als 50.000 Personen im Zusammenhang mit Drogendelikten verurteilt.

Soweit bislang bekannt, brach Feuer im Gefängnis von Gómez Palacio aus, worauf Häftlinge einander Schußwechsel lieferten und den größten Teil der Strafanstalt vorübergehend unter ihre Kontrolle brachten. Nach Angaben der Behörden handelte es sich um einen Machtkampf unter den Insassen, wobei noch zu klären sei, wie die Waffen eingeschmuggelt worden waren. Im September 2008 starben 23 Häftlinge bei zwei Revolten in einem Gefängnis von Tijuana und im folgenden Monat 21 weitere in Reynosa, woraus hervorgeht, daß das jüngste Blutbad durchaus kein Einzelfall, sondern in eine Kette derartiger Zwischenfälle einzustufen ist. Im Mai 2009 brachen 53 Häftlinge aus einem Gefängnis in Zacatecas aus, wobei sie Hilfe von außen erhielten und das Personal offensichtlich bestochen war. [1]

Vertreter der Administration von Durango haben in Reaktion auf die letzte Gefängnisrevolte von der Regierung verlangt, Häftlinge in andere Strafanstalten zu verlegen, die wegen Verstößen gegen Bundesgesetze hinter Gitter gebracht wurden. Nachdem entsprechende Forderungen bereits in mehreren Landesteilen erhoben worden sind, wurde erneut ein beschleunigter Bau neuer Gefängnisse in Aussicht gestellt. Zudem plant man die Schaffung einer Ausbildungsstätte für Gefängnispersonal und schickt seit einigen Monaten die Bediensteten von Bundesgefängnissen zur Schulung nach New Mexico und Colorado.

Zu der Subventionierung des mexikanischen Strafvollzugs und der Schulung des Personals in den USA gesellt sich eine deutlich gestiegene Zahl von Auslieferungen mutmaßlicher Straftäter an die Vereinigten Staaten. Obgleich das US-Justizministerium Mexiko seit Jahren gedrängt hatte, dieses Praxis zu forcieren, limitierten Urteile mexikanischer Gerichte bis 2005 die Auslieferung auf solche Fälle, in denen weder die Todesstrafe noch eine lebenslange Freiheitsstrafe drohte. Da die Verfassung Mexikos diese beiden Sanktionen ausschließt, war es nur konsequent und rechtmäßig, derartige Strafen für die eigenen Staatsbürger generell zu verhindern. So setzten sich mexikanische Regierungen in der Vergangenheit auch für Landsleute ein, die in den USA festgenommen und verurteilt wurden. Mit Präsident Calderón nahmen jedoch die Auslieferungen schlagartig zu, wobei er bislang über 200 Personen und damit mehr als doppelt so viele wie seine Amtsvorgänger der US-Justiz überantwortet hat.

Obamas Justizminister Eric H. Holder lobte erst kürzlich diese Praxis als den denkbar besten Weg, kriminelle Organisationen zu zerschlagen, indem man sie ihrer Anführer beraubt und deren Gelder beschlagnahmt. Wie die mexikanische Regierung einräumt, hätten die Strafvollzugsbehörden mitunter keine vollständige Kontrolle über die Gefängnisse, die intern von Anführern einflußreicher Kartelle regiert würden, die sich Privilegien bis hin zur Flucht erkauften. Demgegenüber böten US-amerikanische Hochsicherheitsgefängnisse erheblich größere Gewähr, hochrangige Mitglieder von Drogenbanden zu isolieren und damit an der Fortführung ihrer Geschäfte zu hindern. [2]

Kontrastiert man die Verhältnisse in mexikanischen Strafanstalten mit jenen in den USA, so wird deutlich, daß sie naturgemäß nicht grundsätzlich anders sind. Als am 8. August eine Revolte in einem Gefängnis der kalifornischen Stadt Chino ausbrach, bei der 175 Häftlinge verletzt wurden und Teile der Einrichtung in Flammen aufgingen, war auch dies vor allem eine Folge massiver Überbelegung, die sich in Kämpfen zwischen schwarzen und hispanischen Insassen entlud. In diesem Bundesstaat hat die Zahl der Häftlinge massiv zugenommen, seit nach drei Verurteilungen auch bei geringfügigen Straftaten horrende Sanktionen verhängt werden. Dem steht eine Reduzierung der Mittel für den Strafvollzug gegenüber, die für um so verheerendere Zustände in den Gefängnissen sorgt.

Wenngleich es diese Strategien staatlicher Drangsalierung zu kritisieren gilt, kann dem doch nicht die absurde Forderung nach einem humanen oder sicheren Strafvollzug gegenüberstehen, die sich zum Sprachrohr ausgefeilterer und höherentwickelter Gefangenschaft macht. Wie schnell man in das trügerische Fahrwasser derartiger Partizipation an herrschaftsrelevanten Sanktionsmechanismen zu steuern droht, zeigt die Debatte um das mexikanische Gefängniswesen, wie sie in den Mainstreammedien geführt wird. Das Hohelied US-amerikanischer Hochsicherheitsgefängnisse, mexikanischer Gefängnisneubauten und besser ausgebildeten Haftanstaltspersonals bleibt einem im Halse stecken, wenn man die Folgen und Ziele dieser Zusammenarbeit zwischen Mexiko und den USA über die Vorwandslage der Drogenbosse hinaus weiterdenkt.

Anmerkungen:

[1] 19 Inmates Die in Mexico Prison Melee (16.08.09)
New York Times

[2] War Without Borders. Mexico's Drug Traffickers Continue Trade in Prison (11.08.09)
New York Times

17. August 2009