Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

LATEINAMERIKA/2275: Guatemala von verheerender Hungersnot heimgesucht (SB)


Präsident Colom spricht von einer "Tragödie historischen Ausmaßes"


Guatemala wird derzeit von einer Hungersnot heimgesucht, der nach Angaben des Gesundheitsministeriums bereits 462 Menschen, darunter 54 Kinder, zum Opfer gefallen sind. Akut betroffen sind demnach 54.000 Familien, weitere 400.000 Familien könnten bis Jahresende hinzukommen. Dramatisch ist die Lage insbesondere in ländlichen Gemeinden, in denen die indígene Bevölkerung vom Anbau von Mais und Bohnen für den Eigenbedarf lebt. Dort haben die Familien oftmals zehn Kinder und mehr. Obgleich im Sommer eigentlich Regenzeit in dem mittelamerikanischen Land herrscht, ist seit Wochen kaum Niederschlag gefallen. Dadurch ist über die Hälfte der Ernte vertrocknet. [1] Betroffen von Hunger und Dürre sind insgesamt sieben Provinzen, wobei sich Regierungsangaben zufolge allein in den vergangen drei Monaten die Zahl der Hunger leidenden Gemeinden verdoppelt hat. Präsident Colom bezeichnete die Situation als eine "Tragödie historischen Ausmaßes". [2]

Der sozialdemokratische Staatschef wies darauf hin, daß Guatemala seit Jahrzehnten einen hohen Anteil von armen, notleidenden und hungernden Menschen habe. Schreiende Ungleichheit sei der eigentliche Grund für die Nahrungsmittelkrise. Zwar seien genug Lebensmittel vorhanden, doch hätten 51 Prozent der Bevölkerung nicht genug Geld, um sie zu kaufen. Besonders benachteiligt sind nach den Worten Coloms die Ureinwohner, die 60 Prozent der Bevölkerung und 75 Prozent der Armen stellen. Von den 13,3 Millionen Einwohnern Guatemalas lebt mehr als die Hälfte in Armut. Haupteinnahmequelle der meisten Menschen ist die Landwirtschaft, doch wurden bereits in den vergangenen Jahren oft die gesamten Ernten durch Dürre oder Überschwemmungen vernichtet. Dies trug dazu bei, daß Guatemala doppelt so viele Fälle von Unterernährung verzeichnet wie Haiti, das ärmste Land Lateinamerikas.

Ein ähnliches Urteil gab der UN-Beauftragte für Nahrungssicherheit, Olivier de Schutter, ab. Er charakterisierte Guatemala als ein sehr reiches Land, das jedoch einen sehr schwachen und armen Staat wie auch ein strukturelles Armutsproblem habe. Nach Angaben von UNICEF ist die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren unterernährt, wobei acht von zehn Ureinwohnerkinder dieser Altersgruppe unzureichend ernährt werden.

Präsident Colom hat die internationale Gemeinschaft um Unterstützung gebeten und Nothilfen angekündigt. Daraufhin begann das UN-Welternährungsprogramm, 20 Tonnen Kekse mit hohem Nährstoffgehalt zu verteilen. Mit dem Versuch, angesichts der Hungerkatastrophe den Notstand zu verhängen, ist der Staatschef jedoch zunächst im Parlament gescheitert, das ihm die erforderliche Zustimmung verweigert hat. Das erforderliche Quorum von 105 der 158 Parlamentarier wurde nicht erreicht. In wenigen Tagen werden sich die Abgeordneten erneut mit der von Colom geforderten Dringlichkeitsmaßnahme befassen. Die Ausrufung des Notstand soll dem Land einen besseren Zugang zu internationalen Hilfsleistungen ermöglichen und nationale Notfonds freigeben. Allerdings würden damit auch Grundrechte wie Presse- und Bewegungsfreiheit eingeschränkt.

Wie die EU-Kommission bekanntgegeben hat, verhandeln die EU-Mitgliedsstaaten derzeit über ein Nothilfepaket im Umfang von 42,1 Millionen Dollar für Guatemala. Damit sollen zum Teil die Kleinbauern, meist Angehörige des Volkes der Maya, direkt unterstützt werden. Die Abkömmlinge der Ureinwohner machen die Regierung für die Hungersnot verantwortlich, weil diese den Anbau von Palmöl und Zuckerrohr in Großplantagen für die Gewinnung von Biosprit gefördert hat.

Anmerkungen:

[1] Vertrocknete Ernte. Nach Dürre sind in Guatemala 460 Menschen verhungert - Parlament will keinen Notstand verhängen (12.09.09)
http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/Guatemala-Hunger;art1117,2897716

[2] Historische Dürre. Hungersnot in Guatemala (12.09.09)
FR-online.de

12. September 2009